Sexualtherapeutin Silke Niggemeier über BDSM als erotische und sexuelle Praxis

Wann und wo beginnt die Geschichte von SM?
Silke Niggemeier
: In der Moderne und der westlichen Welt liegen die Ursprünge in der schwulen Leder-Bewegung in den USA der 1960er Jahre. Deswegen sind auch viele Begriffe aus dem Englischen übernommen worden. BDSM – was SM detaillierter beschreibt – steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Darüber hinaus besteht eine historische Verbindung zur AIDS-Hilfe, mit der auch heute noch viele SM-Stammtische kooperieren. Abgesehen davon ist SM schon seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kultur, wie Quellen belegen.

Was muss bei Erotik und Sexualität im SM-Bereich beachtet werden?
Der Grundpfeiler ist Respekt. Danach kommt ein Credo, das auch aus der Leder-Schwulenbewegung stammt. Es lautet: Safe, Sane and Consensual, kurz SSC. Also sicher, bei geistiger Gesundheit und einvernehmlich. Mit Sicherheit ist dieselbe Sicherheit gemeint, die auch bei jedem anderen Date gilt. Wer sich als Top [dominanter Part, Anm. der Redaktion] oder als Sub [sich unterwerfender Part] in eine Spielsituation begibt und nicht dafür sorgt, dass er abgesichert ist, hat ein Problem mit Sicherheit ganz allgemein. Auch hier gilt: „Trau, schau wem!“

Wie sieht so eine Absicherung aus?
Indem mich eine dritte Person covered. Dazu informiere ich vorher diese Person darüber, wo ich hingehe und melde mich auch wieder ab, wenn alles vorbei ist. Damit ist sichergestellt, dass ich aus einer Spielsituation gesund herauskomme. Meine Kontaktperson kann auch zwischendurch anrufen und fragen, ob alles ok ist. Da kann dann ein Codewort vereinbart werden. Zum Beispiel: Wenn ich „Hey Mama“ sage, weiß mein Kontakt, dass ich Hilfe benötige. Außerdem kann man sich erst mal in der Öffentlichkeit treffen, etwa beim Stammtisch. Da kann ich auch beobachten, wie der/die gewünschte Partner*in auf bestimmte Themen reagiert und ob er oder sie überhaupt öffentlich in Erscheinung tritt, das eigene Gesicht zeigt. Prinzipiell ist jeder One-Night-Stand, bei dem Fremde miteinander Vanilla-Sex haben – also Sexualität ohne SM – ebenso riskant.

Über die Praxis hinaus, was unterscheidet SM noch von „Vanilla“-Sex?
Zum SM gehört mehr als zu jeder anderen Art von Sexualität oder Erotik Kommunikation. Reden, reden, reden! So schrecklich die „Fifty Shades of Grey“-Bücher sind, dort gibt es einen Vertrag zwischen dem Top und dem Sub. Solche Verträge, die die Regeln einer Spielsituation oder Beziehung beschreiben, gibt es tatsächlich, sie sind jedoch nicht rechtlich bindend. Im Internet finden sich unzählige Varianten davon und ich rate gern dazu, sich mit so einem Vertrag mal hinzusetzen und diesen als Basis für ein Gespräch zu nehmen, was die Partner voneinander wollen, brauchen und was eben gar nicht infrage kommt.

Ist der machtvolle Manager privat eher unterwürfig oder ist das nur ein Klischee?
Ich glaube, dazu gibt es keine Zahlen. Es ist ein Klischee, aber vielleicht nicht ohne Grund. Es gibt bestimmt den Manager, der sich auspeitschen lässt. Genauso wie es im Alltagsleben dominante Männer gibt, die auch in ihrem Sexualleben dominant sind. Ich kenne tatsächlich mehr Frauen in Verantwortungspositionen als Männer, die im SM Sub sind. Männer sind oft im Alltag ähnlich positioniert, wie in ihrer erotischen Rolle. Auch hier besteht ein Kontrast. Es sind meist sehr toughe Frauen, auf ihre Art Managerinnen, mit Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit, die im Alltag ständig ihren Mann stehen müssen und sich dann im privaten SM-Bereich fallen lassen können. Es ist der Spaß am Rollentausch, der selbst gewählt ist und daher als befreiend empfunden wird. Das ist für mich eine sehr emanzipierte Form von Erotik, bei der ich selbst entscheide, wann ich mich zum Spaß als „kleines Weibchen“ unterwerfe und wann ich in meinen Alltag zurückkehre, stark bin und mein Leben regiere.

Was ist mit Dominas?
Da muss zwischen klassischen Dominas und sogenannten Bizarr-Ladies unterschieden werden. Letztere haben meist auch sexuellen Körperkontakt. Klassische Dominas haben den mit ihren Kunden nicht. Da gibt es sehr tolle Frauen, die Workshops anbieten, Vorträge halten, hervorragend vernetzt sind und das privat leben. Gute Dominas benötigen viel Empathie, psychologische Grundkenntnisse und medizinisches Fachwissen um die menschliche Anatomie. Diese Kompetenzen einer guten Domina sind jeden Cent wert.

Das ungekürzte Interview ist zuerst erschienen auf trailer-ruhr.de.

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