Internationales Frauenfilmfestival Dortmund | Köln 2017

Ein Bild ist in den letzten Monaten in den Sozialen Netzwerken stark verbreitet worden: Es zeigt eine ältere Frau, die ein Schild mit der Aufschrift „I can’t believe I still have to protest this fucking shit“ hält. Aufgenommen wurde das Motiv vermutlich im Oktober 2016 bei den erfolgreichen Demonstrationen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen.

Den Macherinnen des Internationalen Frauenfilmfestivals (IFFF) dürfte dieser Satz im 30. Jahr des Bestehens auch gelegentlich durch den Kopf gehen. Die Intention des IFFF, feministische Diskurse über Film zu stärken, weibliche Filmschaffende zu vernetzen und zu fördern, ist noch immer notwendig und aktuell. Das zeigt auch der dritte Diversitätsbericht des Bundesverbandes Regie: 2015 hat mit einem deutschlandweiten Frauenanteil von nur 15,7% im Kinobereich eine so schlechte Bilanz wie seit fünf Jahren nicht mehr.

Wie gewohnt geht es beim IFFF aber nicht nur um die Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Filmindustrie. Politische Entwicklungen und gesellschaftskritische Ansätze, die vor allem aber nicht nur Frauen betreffen, spiegeln sich in allen Beiträgen. Vom 4.-9. April sind mehr als 100 Filme unterschiedlicher Genres, Längen und Formate zu sehen. Im Wettbewerb konkurieren acht Filme aus Brasilien, Frankreich, Polen, Belgien und Südafrika miteinander, darunter auch Sally Potters bitterböse Ensemblefarce „The Party“ mit Kristin Scott Thomas, Bruno Ganz und Patricia Clarkson, mit der das IFFF am 4.4. um 18.30 Uhr im Dortmunder Cinestar offiziell eröffnet. Hinzu kommen Specials, Performances und Diskussionen.

Der diesjährige Schwerpunkt „IN CONTROL…of the situation / Alles unter Kontrolle“ setzt sich aus elf kuratierten Programmreihen zusammen. Leitmotiv ist der Widerspruch zwischen analoger und digitaler Überwachung, Vermessung und Archivierung unserer Körper und Daten einerseits und dem Ohnmachtsgefühl angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt andererseits. Kontrollwahn trifft Kontrollverlust, aber wer übt über wen Kontrolle aus? Die filmische Reflexion von Flucht und Vertreibung, bezogen auf aktuelle und historische Migrationsbewegungen, im regionalen bis globalen Kontext, zieht sich wie ein zweiter roter Faden durch das Programm.

Ästhetisch wie politisch knüpft der Schwerpunkt an die Ausstellung „Ich bin eine Kämpferin – Frauenbilder der Niki de Saint Phalle“ im Museum Ostwall und somit eine Künstlerin an, die stets Macht über das eigene Bild zu erlangen versuchte. In Kooperation mit dem Museum Ostwall findet am 5.4. ab 10 Uhr ein Symposium im Kino im U statt, ab 17.30 Uhr startet dort das dazugehörige Film- und Kurzfilmprogramm.

Die vielfältigen, feministischen Strömungen unsere Zeit präsentieren sich in Dortmund aber auch humorvoll und bieten ermutigende Momente der Selbstermächtigung. Die lange Kurzfilmnacht (Fr. 7.4. ab 20.30 Uhr im sweetSixteen) zeigt Musikvideos und (experimentelle) Kurzfilme, die Schwerpunkt-Reihe „In this together“ stärkt mit der filmischen Begegnung von AktivistInnen aus drei Kulturkreisen den Glauben an die Unerschöpflichkeit kreativer Protestmethoden und gegen das Ungeborene, das in dem Splatter-Juwel „Prevenge“ Mordbefehle aus der Fruchtblase gibt, sieht Rosemaries Baby wie ein harmloser Hosenscheißer aus.

Das vollständige Programm ist Online auf der Homepage des IFFF verfügbar:
www.frauenfilmfestival.eu/programm

Internationales Frauenfilmfestival Dortmund | Köln | 4.-9.4. | div. Kinos in Dortmund | Festivalzentrum: Dortmunder U | www.frauenfilmfestival.eu

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Das Recht zu schreiben – Good Girls Revolt

Schreibmaschinen-Stakkato, auf Papier kritzelnde Bleistifte, klingelnde Telefone, klackernde Wählscheiben und Telexmaschinen: Schon die ersten Einstellungen von „Good Girls Revolt“ kreieren ein Gefühl wohliger Nostalgie aus einer Zeit, als Journalismus noch ein Handwerk und Recherche mehr als eine Wikipedia-Stippvisite war.

Die Sequenz zeigt die Redaktion der New Yorker Zeitschrift „News of the Week“ 1969. Draußen auf der Straße wird für den Frieden und gegen den Vietnamkrieg protestiert, Malcolm X und Martin Luther King sind bereits ermordet worden, die Schwarze Bürgerrechtsbewegung wehrt sich gegen die seit dem Civil Rights Act 1964 gesetzlich illegale Diskriminierung…

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Rezension zu „Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“ (Sarah Helm)

Als Synonym für die Vernichtung der europäischen Juden ist Auschwitz längst Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Das einzige Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg blieb von der Holocaust-Forschung lange Zeit unbeachtet und ist auch heute weniger bekannt. Von 1939-1945 wurden hier je nach Zählung ca. 40.-50.000 Frauen getötet – durch Hunger, Kälte, Seuchen, Zwangsarbeit, drakonische Strafen, medizinische Experimente, Erschießungen, Gift und ab 1942 auch durch Gas. Leser*innen der „Lagerbiografie“ der britischen Journalistin Sarah Helm wird Ravensbrück als Chiffre für die systematische Vernichtung von Frauen während des Zweiten Weltkriegs durch die Nationalsozialisten im Gedächtnis bleiben.

Basierend auf subjektiven Erinnerungsfragmenten von Überlebenden aus ganz Europa, die Helm zu Anfang ihrer Recherche ausfindig machte und interviewte, wie auch anhand erhaltender Quellen schildert sie den Alltag im Lager, der steig unmenschlicher und unberechenbarer wird…

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Rezension zu „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ (Ulrike Herrmann)

Als vor Kurzem der Westdeutsche Rundfunk zum Funkhausgespräch unter dem Thema „Brauchen wir eine andere Demokratie?“ nach Köln lud, sagte Podiumsgast und CDU-Politiker Stephan Eisel voller Überzeugung: „Wir leben nun gerade in einem System, wo eben die Wirtschaft nicht alles machen kann, was sie will, sondern es gibt Grenzen dazu.“ Das Publikum reagierte mit Gelächter. Diese Anekdote steht exemplarisch für ein Gefühl, das bei vielen Menschen vorherrscht: Ob Finanzkrise, Panama Papers oder Euro-Rettungsschirm – die Wirtschaft ist ebenso allgegenwärtig wie komplex und arbeitet, so scheint es, nicht zugunsten unserer Gesellschaft, sondern einiger weniger Privilegierter.

Kurzum: Alle sind wütend auf die Finanzelite – aber keiner weiß genau warum, geschweige denn, ob und wie man dieses System ändern kann. Ulrike Herrmann, ausgebildete Bankkauffrau und Wirtschaftskorrespondentin der „taz“, schreibt dagegen an.

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Somebody’s gotta do the job: Sex wollen alle, Verhütung ist aber noch immer Frauensache

Hitzige Debatten werden um die Gleichberechtigung im Berufsleben geführt, wenn es z.B. um die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere geht. Doch während die Väter hier stärker partizipieren sollen und wollen, scheinen die Herren der Schöpfung beim Thema Verhütung nur dabei, statt mittendrin zu sein. Blickt man auf die Geschichte der Verhütungsmethodik des letzten halben Jahrhunderts zurück, liest sich diese zunächst wie die Fabel eines weiblichen Befreiungsschlages: beginnend mit der Zulassung der Anti-Baby-Pille 1960, fortgesetzt durch die Fristenregelung des Abtreibungsgesetzes Mitte der 1970er und ergänzt um die rezeptfreie Zulassung der „Pille danach“ durch die EU-Kommission Anfang 2015. Diese medizinischen Innovationen und gesetzlichen Liberalisierungen verschaffen Frauen mehr Souveränität über ihren Uterus, sind sinnvoll und fortschrittlich. Frauen haben aber nicht nur die Kontrolle, sondern tragen auch die Pflicht zur Verhütung meist allein, gerade in festen Beziehungen.

Laut einer Online-Umfrage der Zeitschrift Men’s Health 2014 wollen zwar 30 % der befragten Männer die Verhütung nicht der Frau allein überlassen, für mehr als die Hälfte (55 %) ist aber die Pille das Mittel „ihrer“ Wahl. Auch eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Verhütungsverhalten, die 2011 unter sexuell Aktiven zwischen 18 und 49 Jahren durchgeführt wurde, spricht dafür. Mehr als die Hälfte der Befragten beiderlei Geschlechts gaben die Anti-Baby-Pille als favorisiertes Verhütungsmittel an. Der männliche Wunsch nach Eigenverantwortung scheint vorhanden, besteht aber hauptsächlich darin, dass frau die Pille nehmen möge. Zu der subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit kommen bei immer mehr Frauen medizinische Bedenken. Die hormonelle Verhütung greift aggressiv in den natürlichen Zyklus ein, kann starke Nebenwirkungen verursachen und über ein erhöhtes Krebsrisiko in Verbindung mit der Pille streitet die Medizin seit Jahren. In stark frequentierten Foren wie dem des Online-Frauenmagazins gofeminin häufen sich zudem Einträge zur Unverträglichkeit der Pille und der Wunsch nach natürlichen Alternativen nimmt zu. Biotrendwende und Hormoncocktail passen eben schlecht zusammen.

Doch was könnten Männer tun? Aktiv bleibt ihnen tatsächlich nur das Kondom oder die unumkehrbare Sterilisation, wollen sie nicht allein in das verantwortungsvolle Verhütungsverhalten der Frau vertrauen. Vorerst wird sich daran auch nichts ändern, das WHO-Forschungsprojekt für die Spritze für den Mann wurde bereits 2011 eingestellt. Die Gleichberechtigung ist, was Verhütung betrifft, noch am Anfang. Hier sollte die Medizin neue Wege finden – oder zumindest danach suchen. Bis dahin muss die Mehrheit der Männer vermutlich zunehmend mit Kondomen leben (lernen), denn sonst bleibt ihnen künftig vielleicht nur das einzige, 100% sichere Verhütungsmittel: die Enthaltsamkeit.

Zuerst erschienen unter: www.choices.de

Sex and the City in Accra: Die Webserie „An African City“

Sadé, Ngozi and Zainab, drei der fünf Protagonistinnen der 2014 gestarteten Webserie „An African City“, sitzen im Restaurant. Ngozi, gläubige Christin und Nesthäkchen der Gruppe, hat ein Blind Date mit drei Männern arrangiert. Der lahm laufende Small Talk kommt auf das Berufliche. Geschäftsfrau Zainab erzählt von einer Präsentation, bei der es auch um den Gebrauch von Kondomen ging. Die Männer sind überrascht: „Why you use condoms? You look clean?“…

Zum vollständigen Text unter: www.missy-magazine.de

Diskussion zu „Rassismus und Sexismus: Intervention“ in Bochum

Seit den Vorfällen, die sich in der Silvesternacht 2015 in Köln ereigneten, ist „nach Köln“ zu einer Chiffre geworden. Wer über sexualisierte Gewalt, Frauenrechte oder allgemein über Feminismus spricht, wird früher oder später mit ihr konfrontiert. Die große Aufmerksamkeit galt und gilt aber nicht den Opfern oder dem Missstand sexualisierter Gewalt an sich. Das mediale Interesse verbiss sich früh in die Herkunft der Täter, Islamkritik und die Angst vor dem „nordafrikanisch aussehenden Mann“. „Besorgte Bürger“, PEGIDA-Anhänger und die AfD, „vor Köln“ nicht gerade für ein modernes Frauenbild bekannt, schrieben sich begeistert Frauenrechte auf die schwarz-rot-goldene Flagge.

Die Zuspitzung der öffentlichen Debatte, die bis heute mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungen geführt wird, war laut Laura Chlebos von der Initiative Feminismus im Pott der Anlass für die Veranstaltung „Rassismus und Sexismus: Intervention“, organisiert gemeinsam mit der medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum und dem Bahnhof Langendreer.

Ergänzt wird das Podium durch Menschen, die die persönliche Erfahrung von Mehrfachdiskriminierung – etwa als Flüchtlingsfrau, Woman of Color oder Muslimin – gemacht haben. Neben Madeleine Mwamba von „Women in Exile & Friends“ ist Antonia Schui, die sich seit fünf Jahren als solidarische Aktivistin ohne Fluchthintergrund bei den Friends engagiert, eingeladen. Erweitert wird die Runde um Emine Aslan und Hengameh Yaghoobifarah, beide Mitverfasserinnen des Aufrufs #ausnahmslos, der noch im Januar 2016 mit dem Anspruch „Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall.“ veröffentlicht wurde.

Die Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt zur Bestätigung rassistischer Vorurteile einerseits und die kaum thematisierten Übergriffe auf Flüchtlingsfrauen, Women of Color oder Musliminnen andererseits sollen im Kontext der Kölner Debatten diskutiert werden.

Bianca Schmolze von der medizinischen Flüchtlingshilfe, die u.a. psychotherapeutische Hilfe für Flüchtlinge und Folteropfer anbietet, eröffnet die Diskussion schon in der Vorstellungsrunde mit klaren Worten. „Seit der Silvesterdebatte ist uns die Galle hochgekommen. Dass das Asylrecht verschärft worden ist, finden wir eklig“, bezieht sie klar Stellung.

Wut und leidenschaftlicher Wille zu gesellschaftlicher Veränderung sind auch Madeleine Mwamba anzumerken. Die ursprünglich aus Kamerun stammende Aktivistin stellt mithilfe einer Dolmetscherin die Arbeit von Women in Exile dar. Seit 2002 besuchen die Aktivistinnen Flüchtlingsheime und dokumentieren dortige Missstände. Mangelnde Privatsphäre selbst in den sanitären Anlagen oder sexuelle Übergriffe gehören zum Alltag der in den Heimen untergebrachten Frauen.

Berichtet wird darüber kaum, eine breite Empörung wie angesichts der Übergriffe an Silvester scheint gar undenkbar. Die sexuellen Übergriffe, die Flüchtlingsfrauen aus einem Heim in Köln Gremberg im Februar öffentlich gemacht hatten, sind wieder in Vergessenheit geraten. Erkennbare Konsequenzen für die Täter gab es nicht, dafür wurde die Ehrlichkeit der Opfer umso mehr in Frage gestellt.

„Ein öffentlicher Brief, den wir sehr vielen Medien zugespielt haben, wurde meines Wissens nach nirgendwo veröffentlicht“, stellt Antonia Schui resigniert fest. Für Madeleine Mwamba lautet das Ziel von Women in Exile daher nach wie vor: „Keine Lager für Frauen und Kinder! Alle Lager abschaffen! Hört auf, Diskriminierung und Rassismus mit Frauenrechten zu legitimieren.“

Selber Sturm, anderes Boot

Zu einer anderen Gruppe, die sich mit Mehrfachdiskriminierung auskennt, gehört die Aktivistin Emine Aslan, Muslimin ohne Fluchthintergrund. Mit #SchauHin, einer Plattform, die Alltagsrassismus sichtbar machen will und anderen Projekten unterstützt sie junge Muslime und Musliminnen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Frauen, die einer Ethnie oder Religion angehören, die in Deutschland eine Minderheit ist, sind anders von Rassismus und Sexismus betroffen. „Wir sind im selben Sturm, aber in unterschiedlichen Booten“, veranschaulicht Aslan. „Wir schauen nur hin, wenn ‚weiße‘ Frauen belästigt werden und stellen gleichzeitig die muslimische Community unter Generalverdacht. Die Stimmung wird – auch nach den Terroranschlägen in Paris und Brüssel – ängstlicher. Die Menschen sehen dann auch mich als Teil eines Phantasiekollektivs. Das ist ein Klima, in dem Rassismen legitimer werden.“

Auch abseits von Belästigung oder Gewalterfahrungen erleben muslimische Frauen Sexismus anders. „Ihr beschäftigt euch mit dem Gender Gap beim Gehalt, ich frage mich, ob ich mit meinem Kopftuch überhaupt einen Job bekommen werde“.

Sexualisierte Gewalt an Frauen vor „Köln“

Hengameh Yaghoobifarah, Bloggerin und freie Journalistin u.a. für das Missy Magazine, erweitert die Runde noch um eine weitere Gruppe: alle Frauen, die auch schon vor Köln die Erfahrung sexualisierter Gewalt gemacht haben. „Es ist ja nicht so, als wären wir nicht schon früher mit ungutem Gefühl durch die Straßen gelaufen. Die Bedrohung oder das Gefühl der Angst gab es für Frauen auch davor schon.“

Dass es sich dabei nicht nur um ein Gefühl handelt, bestätigt die Statistik. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, die sich auf die erste repräsentative Umfrage zum Thema aus dem Jahr 2003 bezieht, sind Formen sexualisierter Gewalt in Deutschland schon lange weit verbreitet.

13 % der in Deutschland lebenden Frauen sind schon einmal Opfer sexueller Nötigung oder Vergewaltigung geworden, sexuelle Belästigung haben 58 % der Frauen erfahren. Die Umfrage fand nicht nur vor dem Höhepunkt der Migrationsbewegung statt. Die Täter waren mehrheitlich (Ex-)Beziehungspartner, Familienangehörige, Nachbarn oder Kollegen, nicht der „nordafrikanisch aussehende Mann“.

All diese Erfahrungen sind in die zahlreichen Interventionen „nach Köln“ eingeflossen. Aber was bewirken diese letztlich und wie könnte man die Verbindung von Sexismen und Rassismen besser sichtbar machen und bekämpfen?

Antonia Schui appelliert an die Gründung eigener Projekte, während Emine Aslan fordert, dass Aktivistinnen auch realpolitisch wirken sollen: „Wir brauchen professionelle Lobbyarbeit für Feminismus und Antirassismus“. Hengameh Yaghoobifarah rät dazu, das eigene Engagement zu reflektieren. „Ein Turnbeutel mit Refugees Welcome-Logo ist zwar schön, aber was habe ich konkret bewirkt? Geht auf Demos, macht was in politischen Gruppen.“

In der abschließenden Publikumsdiskussion wird die Frage an Emine Aslan gerichtet, was für eine Berichterstattung sie sich nach Köln gewünscht hätte. Sie erwiedert „Ich wünschte, wir hätten die Gelegenheit genutzt, eine Debatte zu führen, die allen Opfern sexualisierter Gewalt Gehör verschafft.“

Trotz des großen Interesses an diesem Abend bleibt der Eindruck, dass hier wieder nur die, die ohnehin einer Meinung sind, miteinander ins Gespräch kommen. Kristin Schwierz vom Bahnhof Langendreer bringt diese Resignation abschließend auf den Punkt: „Die Situation mag deprimierend sein. Aber es hilft ja nichts. Wir müssen gemeinsam weiterkämpfen.“ Für die Sicherheit von Frauen in Deutschland, egal welcher Herkunft, welcher Ethnie oder Religion sie angehören mögen.

Zuerst erschienen auf: www.trailer-ruhr.de

Rezension zu „Unsagbare Dinge“ (Laurie Penny)

Wer die aktuelle Debatte und die medialen Hass- und Liebeserklärungen zum aktuellen Stand des Feminismus verfolgt, muss erkennen: der Feminismus ist tot.
Die Frauenbewegungen verhalten sich in den letzten Jahren wie der Rest der zunehmend globalisierten Welt: heterogen, pluralistisch und manchmal auch widersprüchlich.

Da es den Feminismus als einheitliche Strömung nicht mehr gibt, wird nach neuen Modellen gefahndet. Die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ widmete ihre Ausgabe vom 28.4.2015 einer durchaus selbstkritischen Reflextion des eigenen Umgangs mit Frauen(themen), die Nummer 17 der Wochenzeitung „Der Freitag“ unterstreicht mit dem Titelthema „Mir nach, Leute! Der Feminismus ist eine Erfolgsstory. Manche wollen das nicht begreifen“ die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Feminismus und auch choices lieferte im März mit dem Monatsthema FRAUENMENSCHEN eine Bestandsaufnahme.

In diese Richtung geht auch Laurie Penny mit ihrem Manifest „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“. Die noch nicht einmal 30-jährige Autorin, Bloggerin und Journalistin schreit uns auf knapp 280 Seiten ein wütendes Pamphlet entgegen, in dem sie persönliche Erfahrungen, politische Entwicklungen, akademisches Wissen und die daraus gezogenen Schlüsse zu größtenteils Polemik verdichtet.

Schon zu Beginn stellt die gebürtige Britin klar: „Dieses Buch hilft euch nicht dabei, einen Mann zu finden, eure Frisur zu richten oder euren Job zu behalten. Dieses Buch handelt von Liebe, Sex, Schönheit und Ekel, Macht, Leidenschaft und Technik.“ Ebenso schnell wird deutlich, dass sich Pennys Kritik nicht pauschal an die üblichen Verdächtigen wie die Medien, den Staat, die Pornoindustrie oder gar an die Männer richtet. Ihr Buch ist im klassischen Sinne kein feministisches Werk, denn Ziel ihrer stilistisch eigenwilligen und von revolutionärem Pathos durchwirkten Attacken ist nicht der Antifeminismus, sondern das kapitalistische System.

Anders als FEMEN oder Alice Schwarzer lehnt sie Prostitution oder Pornografie nicht kategorisch ab. Untypisch ist auch, dass sich Penny als Romantikerin sieht und ein ganzes Kapitel der Liebe und zwischenmenschlichen Beziehungsformen widmet. Als digital native liefert sie zudem ungewöhnliche Einblicke in den Komplex „Sexistische Gewalt im Internet“.

Die Männer oder die „verlorenen Jungs“, denen sie ebenfalls ein eigenes Kapitel zugesteht, definiert sie gleichsam als Verlierer einer paternalistischen Herrschaftsform, die alle Geschlechter unterdrückt. Die nur scheinbar über Frauen herrschenden Männer sind auch nicht die Urheber dieser Gesellschaftsordnung. Durch den ihnen zugestandenen Einfluss werden sie davon abgehalten, Machtverhältnisse, die auch sie selbst an ihrer Entfaltung hindern, kritisch zu hinterfragen. Gleiches gelte verstärkt für alle, die von der heterosexuellen cisgender-Norm abweichen.

Feminismus als Instrument

Dreh- und Angelpunkt ist aber auch für Penny das Frauenbild, das Instrument zur Umsetzung revolutionärer Visionen bleibt der Feminismus. Die großen Fortschritte, die FrauenrechtlerInnen auf dem Terrain von Recht und Selbstbestimmung in den letzten Jahrzehnten erwirkt haben, bewertet sie kritisch. Die Verheißung der Gleichberechtigung richte sich vornehmlich an die Karrierefrau, die sowohl ihr intellektuelles, als auch ihr erotisches Kapital fortwährend im Sinne des Neoliberalismus maximiert und nun alles sein und haben kann: 60-Stunden-Woche, Kinder, Haushalt, Beziehung und anschließendes Burnout.

Für Penny ist diese fortwährend schöne und erfolgreiche Frau „ausnahmslos weiß und fast völlig fiktional.“ Sie verlangt stattdessen eine Stimme für alle Frauen, die von diesem Ideal abweichen, denn generell gelte für Frauen noch immer „Wir haben Objekte des Verlangens zu sein, nicht verlangende Subjekte“. Sexismus ist ihrer Meinung nach immer dann präsent, wenn nur ein Geschlecht betroffen ist. Das zeigt sich ihrer Meinung nach auch bei den medialen Identifikationsangeboten. „Gute kleine Jungs sollen davon träumen, die Welt zu verändern. Gute kleine Mädchen sollen davon träumen, sich zu verändern“.

Mehr Phantasie bitte!

Anders als WELT-Autorin Ronja von Rönne, die Anfang April 2015 unter dem Titel „Warum mich der Feminismus anekelt“ perfekt vorführte, wie man als Wohlstandstöchterchen hedonistisch soziale Gerechtigkeit am eigenen, und nur am eigenen Erfahrungshorizont abmisst, ist sich Penny ihrer privilegierten Stellung durchaus bewusst. Ihr Anspruch ist kein geringerer, als eine bessere Welt für alle sozial Benachteiligten, wenn schon nicht zu schaffen, dann doch wenigstens gedanklich zu antizipieren.

Früher nannte man diese Denkweise übrigens Utopie oder in ihrer unpolitischen Variation die Phantasie von einer besseren Welt. Eine Qualität, an der es der EU-Politik zwischen Ukraine-Konflikt, IS-Terror und Griechenlandkrise – kurz angesichts der vielgestaltigen Anforderungen der Postmoderne – zu fehlen scheint.

Wer „Unsagbare Dinge“ zur Hand nimmt, darf weder eine stringente, noch eine ausnahmslos sachliche Argumentation, einfache Antworten oder klare Handlungsanweisungen erwarten. Der Stil schwankt zwischen poetisch-plakativen Zeilen wie „Der Neoliberalismus kolonialisiert unsere Träume“ und Statements wie „die ideale Frau ist fickbar. Fickt aber nie selber“, die beide im Gedächtnis bleiben.

Neben intimen, autobiografischen Einblicken spricht „Unsagbare Dinge“ gesellschaftliche Probleme aus, die all jene angehen, die sich eine gerechtere Gesellschaft für Frauen und Männer wünschen und das gegenwärtige System nicht als der Weisheit letzter Schluss und schon gar nicht als geeignet für die Anforderungen unserer Zeit empfinden. Am harten Realismus orientiert sich aber Pennys letzter Appell: Vor uns liegt ein langer Weg, der weh tun wird. Fangt an.

Laurie Penny: „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ | aus dem Englischen von Anne Emmert | Edition Nautilus | 283 S. | 2015

Zuerst erschienen auf: www.choices.de