Archive des Alltags (filmdienst)

Rezension zu „Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990“

Petra Tschörtners Dokumentarfilm „Berlin –Prenzlauer Berg. Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990“ beginnt mit einer Einstellung der filmhistorisch symbolisch aufgeladenen „Ecke Schönhauser“. Von dort setzt sich der Streifzug durch den Szenekiez fort. In der alten Eckkneipe, vor „Konnopkes Imbiss“ oder in der Textilfabrik offenbaren DDR-Bürgerinnen und -Bürger Hoffnungen und Ängste, die sie wegen der bevorstehenden Währungsunion umtreiben. Das Gewohnte scheint sich bereits aufzulösen, die interviewten Menschen wirken fast skurril. Die filmische Ästhetik, mit der die Regisseurin hier auf 35mm-Schwarz-weiß-Material diesen Schwebezustand, den urbanen Rhythmus und die verschiedenen Subkulturen einfängt, assoziiert große Vorbilder wie Walter Ruttmanns „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“ oder Dziga Vertovs „Der Mann mit der Kamera“. Wer „Berlin – Prenzlauer Berg“ gesehen hat, fragt sich, warum bloß Petra Tschörtner, die in Babelsberg mit Helke Misselwitz und Thomas Heise studierte, „als Filmemacherin verloren“ gegangen ist, wie Matthias Dell 2012 in seinem Nachruf auf sie schrieb.

Der Sammelband „Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990“ nimmt diese und weitere Fragen, die über die Filmhistorie hinausreichen, in den Blick. Der Schwerpunkt liegt dabei meist auf Dokumentar- und Experimentalfilmen. Die ehemaligen DEFA-Regisseurinnen waren hier im Vergleich zum Spielfilm stärker vertreten, ihre Geschichte und ihre Erfahrungen der Wendejahre sind jedoch bisher weit weniger erforscht. Anders als der Titel suggeriert, wird neben dem ostdeutschen Filmschaffen nach 1990 auch die DDR selbst immer wieder zum Thema….

Der vollständige Text ist erschienen auf filmdienst.de. Hier geht’s zum vollständigen Text.

Rezension zu „Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“ (Sarah Helm)

Als Synonym für die Vernichtung der europäischen Juden ist Auschwitz längst Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Das einzige Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg blieb von der Holocaust-Forschung lange Zeit unbeachtet und ist auch heute weniger bekannt. Von 1939-1945 wurden hier je nach Zählung ca. 40.-50.000 Frauen getötet – durch Hunger, Kälte, Seuchen, Zwangsarbeit, drakonische Strafen, medizinische Experimente, Erschießungen, Gift und ab 1942 auch durch Gas. Leser*innen der „Lagerbiografie“ der britischen Journalistin Sarah Helm wird Ravensbrück als Chiffre für die systematische Vernichtung von Frauen während des Zweiten Weltkriegs durch die Nationalsozialisten im Gedächtnis bleiben.

Basierend auf subjektiven Erinnerungsfragmenten von Überlebenden aus ganz Europa, die Helm zu Anfang ihrer Recherche ausfindig machte und interviewte, wie auch anhand erhaltender Quellen schildert sie den Alltag im Lager, der steig unmenschlicher und unberechenbarer wird…

Zum vollständigen Text auf www.missy-magazine.de

Rezension zu „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ (Ulrike Herrmann)

Als vor Kurzem der Westdeutsche Rundfunk zum Funkhausgespräch unter dem Thema „Brauchen wir eine andere Demokratie?“ nach Köln lud, sagte Podiumsgast und CDU-Politiker Stephan Eisel voller Überzeugung: „Wir leben nun gerade in einem System, wo eben die Wirtschaft nicht alles machen kann, was sie will, sondern es gibt Grenzen dazu.“ Das Publikum reagierte mit Gelächter. Diese Anekdote steht exemplarisch für ein Gefühl, das bei vielen Menschen vorherrscht: Ob Finanzkrise, Panama Papers oder Euro-Rettungsschirm – die Wirtschaft ist ebenso allgegenwärtig wie komplex und arbeitet, so scheint es, nicht zugunsten unserer Gesellschaft, sondern einiger weniger Privilegierter.

Kurzum: Alle sind wütend auf die Finanzelite – aber keiner weiß genau warum, geschweige denn, ob und wie man dieses System ändern kann. Ulrike Herrmann, ausgebildete Bankkauffrau und Wirtschaftskorrespondentin der „taz“, schreibt dagegen an.

Zum vollständigen Text auf www.missy-magazine.de

Rezension zu „Das Leben der Mächtigen“ (Zora del Buono)

Der Titel „Das Leben der Mächtigen“ klingt pathetisch. Das weckt Assoziationen von überlebensgroßen Herrschern, Despoten in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Der Mensch ist in dem Buch der Architektin und freien Autorin Zora del Buono aber nur eine Randnotiz. Denn sie hat, so verrät der Untertitel, „Reisen zu alten Bäumen“ in Europa und den USA unternommen. Darunter sind die ältesten, höchsten, dicksten Exemplare. Manche sagenumwogen und berühmt, andere zu ihrem eigenen Schutz anonym und ungekennzeichnet, in tiefen Wäldern vor den neugierigen Augen, Bohrern und Sägen übereifriger Baumjäger und Wissenschaftler versteckt.

Vierzehn besondere Bäume hat die Autorin im Verlauf eines Jahres unter teils schwierigen Bedingungen ge- und besucht, sie tragen Namen wie „Lady Liberty“, „Old Tjikko“ oder „Dicke Marie“, jedem widmet sie ein eigenes Kapitel. Ihre Faszination für die Samenpflanze überträgt sich bei der Lektüre schnell, beispielsweise in der Geschichte des mit 390 Jahren noch jungen Bonsais mit Namen „Hiroshima Survivor“: Seit sechs Generationen in Familienbesitz, überlebt er den Bombenabwurf 1945 drei Kilometer vom Explosionszentrum entfernt und landet in den 1970ern als Geschenk an den Präsidenten im Washingtoner Arboretum.

Die meisten Exemplare sind aber weniger mobil. Seit mehr als 5000 Jahren trotzt eine langlebige Kiefer in den Kalifornischen White Mountains widrigstem Wetter, seit gar 9550 Jahren hält sich eine unscheinbare Fichte in einem schwedischen Nationalpark. Der Riesenmammutbaum „General Sherman Tree“ wiederum ist zwar „nur“ 2200 Jahre alt, aber mit über 80 Metern so hoch, dass in seiner Krone ein eigener Mikrokosmos lebt, für dessen Bewohner der Baum ein ganzes Universum ist.

Auch wenn die Lebensspanne des Homo Sapiens im Durchschnitt dem einer Birke entspricht – eine der kurzlebigsten Baumarten – können auch einzelne Menschen binnen weniger Momente das Schicksal eines jahrtausendealten Baumes besiegeln. Das beweist das Abfackeln einer 3570 Jahre alten Sumpfzypresse in Florida. Für die AnwohnerInnen ist das übrigens ein klarer Fall von Mord.

Wieder andere Exemplare haben trotz der Nähe zum Menschen Jahrtausende überdauert und wurden stumme Zeugen menschlicher Historie. Einige sind Legenden, wie die „Kastanie der hundert Pferde“, unter der eine sizilianische Königin es mit 100 Kavalleristen getrieben haben soll. Andere sind Orte menschlicher Tragödien. Zu den Füßen der Lebenseiche in Virginia wurden im 17. Jahrhundert Sklaven ermordet, eine Sommerlinde im Hessischen Schenklengsfeld ist eng mit der Geschichte der Juden und Jüdinnen des Dorfes zur Zeit des Nationalsozialismus verbunden.

Del Buono recherchiert akribisch, wenn auch ohne geschichtswissenschaftlichen Anspruch die historischen Ereignisse und kulturell geprägten Mythen, die in Verbindung mit den Bäumen stehen. Sie lässt Anekdoten und skurrile Persönlichkeiten einfließen, die sie im Verlauf ihrer Reise getroffen hat. Botanische Fakten und neue Erkenntnisse in der Baumkunde flicht sie geschickt ein. Dazu gesellen sich ein ästhetisches und ein emotionales Interesse, für die LeserInnen in poetisch-haptischen Beschreibungen und fotografischen Porträts der Bäume festgehalten. Jedem einzelnen Baum nähert sie sich so buchstäblich und im übertragenen Sinn mit Respekt und manchmal auch mit Staunen.

Wer jetzt schon Alexandras Schlager „Mein Freund der Baum“ trapsen hört, kann unbesorgt sein. Mit esoterischem Baum-Umarmen hat das nichts zu tun. Del Buono vermittelt Ehrfurcht vor der Natur und diesen besonders langlebigen Wesen. „Das Leben der Mächtigen“, mit denen eben nicht die Menschen gemeint sind, erzählt von Lebensformen, die schon vor der Menschheit die Erde bevölkerten und vermutlich noch existieren werden, wenn wir längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Und wäre das wirklich so schlimm? Denn viele Bäume, wenig Menschen – das macht den Wald so schön.

Zora del Buono: Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen | Matthes & Seitz Berlin | 147 S. | 32 €

Zuerst erschienen auf: www.choices.de

Rezension zu „Unsagbare Dinge“ (Laurie Penny)

Wer die aktuelle Debatte und die medialen Hass- und Liebeserklärungen zum aktuellen Stand des Feminismus verfolgt, muss erkennen: der Feminismus ist tot.
Die Frauenbewegungen verhalten sich in den letzten Jahren wie der Rest der zunehmend globalisierten Welt: heterogen, pluralistisch und manchmal auch widersprüchlich.

Da es den Feminismus als einheitliche Strömung nicht mehr gibt, wird nach neuen Modellen gefahndet. Die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ widmete ihre Ausgabe vom 28.4.2015 einer durchaus selbstkritischen Reflextion des eigenen Umgangs mit Frauen(themen), die Nummer 17 der Wochenzeitung „Der Freitag“ unterstreicht mit dem Titelthema „Mir nach, Leute! Der Feminismus ist eine Erfolgsstory. Manche wollen das nicht begreifen“ die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Feminismus und auch choices lieferte im März mit dem Monatsthema FRAUENMENSCHEN eine Bestandsaufnahme.

In diese Richtung geht auch Laurie Penny mit ihrem Manifest „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“. Die noch nicht einmal 30-jährige Autorin, Bloggerin und Journalistin schreit uns auf knapp 280 Seiten ein wütendes Pamphlet entgegen, in dem sie persönliche Erfahrungen, politische Entwicklungen, akademisches Wissen und die daraus gezogenen Schlüsse zu größtenteils Polemik verdichtet.

Schon zu Beginn stellt die gebürtige Britin klar: „Dieses Buch hilft euch nicht dabei, einen Mann zu finden, eure Frisur zu richten oder euren Job zu behalten. Dieses Buch handelt von Liebe, Sex, Schönheit und Ekel, Macht, Leidenschaft und Technik.“ Ebenso schnell wird deutlich, dass sich Pennys Kritik nicht pauschal an die üblichen Verdächtigen wie die Medien, den Staat, die Pornoindustrie oder gar an die Männer richtet. Ihr Buch ist im klassischen Sinne kein feministisches Werk, denn Ziel ihrer stilistisch eigenwilligen und von revolutionärem Pathos durchwirkten Attacken ist nicht der Antifeminismus, sondern das kapitalistische System.

Anders als FEMEN oder Alice Schwarzer lehnt sie Prostitution oder Pornografie nicht kategorisch ab. Untypisch ist auch, dass sich Penny als Romantikerin sieht und ein ganzes Kapitel der Liebe und zwischenmenschlichen Beziehungsformen widmet. Als digital native liefert sie zudem ungewöhnliche Einblicke in den Komplex „Sexistische Gewalt im Internet“.

Die Männer oder die „verlorenen Jungs“, denen sie ebenfalls ein eigenes Kapitel zugesteht, definiert sie gleichsam als Verlierer einer paternalistischen Herrschaftsform, die alle Geschlechter unterdrückt. Die nur scheinbar über Frauen herrschenden Männer sind auch nicht die Urheber dieser Gesellschaftsordnung. Durch den ihnen zugestandenen Einfluss werden sie davon abgehalten, Machtverhältnisse, die auch sie selbst an ihrer Entfaltung hindern, kritisch zu hinterfragen. Gleiches gelte verstärkt für alle, die von der heterosexuellen cisgender-Norm abweichen.

Feminismus als Instrument

Dreh- und Angelpunkt ist aber auch für Penny das Frauenbild, das Instrument zur Umsetzung revolutionärer Visionen bleibt der Feminismus. Die großen Fortschritte, die FrauenrechtlerInnen auf dem Terrain von Recht und Selbstbestimmung in den letzten Jahrzehnten erwirkt haben, bewertet sie kritisch. Die Verheißung der Gleichberechtigung richte sich vornehmlich an die Karrierefrau, die sowohl ihr intellektuelles, als auch ihr erotisches Kapital fortwährend im Sinne des Neoliberalismus maximiert und nun alles sein und haben kann: 60-Stunden-Woche, Kinder, Haushalt, Beziehung und anschließendes Burnout.

Für Penny ist diese fortwährend schöne und erfolgreiche Frau „ausnahmslos weiß und fast völlig fiktional.“ Sie verlangt stattdessen eine Stimme für alle Frauen, die von diesem Ideal abweichen, denn generell gelte für Frauen noch immer „Wir haben Objekte des Verlangens zu sein, nicht verlangende Subjekte“. Sexismus ist ihrer Meinung nach immer dann präsent, wenn nur ein Geschlecht betroffen ist. Das zeigt sich ihrer Meinung nach auch bei den medialen Identifikationsangeboten. „Gute kleine Jungs sollen davon träumen, die Welt zu verändern. Gute kleine Mädchen sollen davon träumen, sich zu verändern“.

Mehr Phantasie bitte!

Anders als WELT-Autorin Ronja von Rönne, die Anfang April 2015 unter dem Titel „Warum mich der Feminismus anekelt“ perfekt vorführte, wie man als Wohlstandstöchterchen hedonistisch soziale Gerechtigkeit am eigenen, und nur am eigenen Erfahrungshorizont abmisst, ist sich Penny ihrer privilegierten Stellung durchaus bewusst. Ihr Anspruch ist kein geringerer, als eine bessere Welt für alle sozial Benachteiligten, wenn schon nicht zu schaffen, dann doch wenigstens gedanklich zu antizipieren.

Früher nannte man diese Denkweise übrigens Utopie oder in ihrer unpolitischen Variation die Phantasie von einer besseren Welt. Eine Qualität, an der es der EU-Politik zwischen Ukraine-Konflikt, IS-Terror und Griechenlandkrise – kurz angesichts der vielgestaltigen Anforderungen der Postmoderne – zu fehlen scheint.

Wer „Unsagbare Dinge“ zur Hand nimmt, darf weder eine stringente, noch eine ausnahmslos sachliche Argumentation, einfache Antworten oder klare Handlungsanweisungen erwarten. Der Stil schwankt zwischen poetisch-plakativen Zeilen wie „Der Neoliberalismus kolonialisiert unsere Träume“ und Statements wie „die ideale Frau ist fickbar. Fickt aber nie selber“, die beide im Gedächtnis bleiben.

Neben intimen, autobiografischen Einblicken spricht „Unsagbare Dinge“ gesellschaftliche Probleme aus, die all jene angehen, die sich eine gerechtere Gesellschaft für Frauen und Männer wünschen und das gegenwärtige System nicht als der Weisheit letzter Schluss und schon gar nicht als geeignet für die Anforderungen unserer Zeit empfinden. Am harten Realismus orientiert sich aber Pennys letzter Appell: Vor uns liegt ein langer Weg, der weh tun wird. Fangt an.

Laurie Penny: „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ | aus dem Englischen von Anne Emmert | Edition Nautilus | 283 S. | 2015

Zuerst erschienen auf: www.choices.de