Woody Allen
*1.12.1935
„Ich will nie einem Club angehören, der einen wie mich als Mitglied aufnimmt.“ Dieser Satz aus der Eröffnungssequenz von Der Stadtneurotiker charakterisiert Woody Allens Haltung zum Business Hollywood. Als er 1978 dafür mit vier Oscars ausgezeichnet wird, spielt er wie jeden Montag in seinem Stammpub Klarinette. Hollywood ist auch künstlerisch kein Vorbild. Er orientiert sich an europäischen Vorbildern. Mit Innenleben, September oder Eine andere Frau liefert er Charakterstudien mit Großaufnahmen von sprachlosen Figuren in verstörenden (Bild)räumen voller Leere, bei Letzterem arbeitet er mit Sven Nykvist zusammen, dem Kameramann seines Favoriten Ingmar Bergman.
Harry außer sich experimentiert mit Jump Cuts und dekonstruktivistischer Formsprache, inspiriert durch die russische Avantgarde. Mit Stardust Memories zollt er Federico Fellini Respekt. Sein schönster Schwarzweiß-Film ist aber Manhattan. Eine Ode an den Big Appel, eröffnet durch urbane Impressionen, untermalt von George Gershwins rhapsodischen Klängen. New York war seine Stadt, blieb es aber nicht immer. Allen Steward Konigsberg, so der bürgerliche Name Allens, wurde 1935 in der Bronx geboren. Mit 16 Jahren bessert er sein Taschengeld als Gagschreiber auf, entwickelt als Stand up-Comedian seine Paraderolle als neurotischer, tollpatschiger Intellektueller, verfasst Theaterstücke und erlangt mit Bananas, Der Schläfer oder der Posse Was sie schon immer über Sex wissen wollten in den 1970er Jahren ein Renommee als Macher schräger Slapstickstreifen.
Die letzte Nacht des Boris Gruschenko ist erstmals auch von einem düsteren, melancholischen Grundton durchwirkt, der Allens Schaffen bis in die 1980er dominiert. Der Stadtneurotiker, seine erste Zusammenarbeit mit Kameramann Gordon Willis, lebt von einer völlig neuen bildästhetischen und narrativen Form. Darsteller wenden sich direkt an den Zuschauer, heimliche Gedanken werden während eines Gesprächs als Untertitel eingeblendet.
An einer Stelle zerrt Alvy Singer, wieder gespielt von Allen selbst, Medientheoretiker Marshall McLuhan hinter einer Wand hervor. Mit Zelig, Hannah und ihre Schwestern und Verbrechen und andere Kleinigkeiten wendet er sich wieder Elementen der Komödie zu und brilliert mit Beziehungs-geschichten. Männer und Frauen – dieses Thema ist der rote Faden, der sich durch alle seine Werke zieht.
Die 1990er sind eher eine lockere Phase in Allens Oeuvre. Trotz Mord (Manhattan Murder Mystery), Dramatik mit einem griechischem Chor (Geliebte Aphrodite) oder Hollywood-Satire (Celebtrity) sind die Filme in dieser Zeit leicht, ohne aber seicht zu sein. Danach verschlägt es Allen nach London, wo er 2005 mit Match Point seinen ersten Thriller und komplett ernsten Film verwirklicht, der von Publikum und Kritik gleichermaßen bejubelt wird. Filmisch verweilt er dort, bevor er den Rest Europas für sich entdeckt.
Er inszeniert einen flotten Dreier in Barcelona, feiert die Roaring Twenties um Mitternacht in Paris und sendet Liebesgrüße aus der ewigen Stadt. Zwischendurch platziert er sein zynischstes und gleichzeitig lebensbejahendstes Werk Whatever Works, wo er Seinfeld-Schöpfer Larry David seine Rolle einnimmt.
Mehr als 40 Filme hat er bis jetzt gemacht, bei der Mehrzahl ist er Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller in Personalunion und ist damit eine der produktivsten Persönlichkeiten der Filmgeschichte. Doch Allen bleibt bescheiden, dreht hoffentlich auch mit über 80 Jahren noch jedes Jahr einen weiteren Film und spielt jeden Montag Klarinette.
Erschienen in: Werner / Bothmann, Nils (Hrsg.): Schüren Filmkalender 2015, Schüren Verlag 2014.