Leitartikel zum Thema FAIR HANDELN (trailer ruhr-Magazin 08/18)

Mach halt einfach!

Lokales Wirtschaften und Sharing-Konzepte gegen den Kapitalismus

Die Großstadt gilt als anonym. Auf meine Hood in Essen, immerhin eine Stadt mit fast 600.000 EinwohnerInnen, trifft das nicht zu. Gehe ich einkaufen, treffe ich immer jemanden zum Plausch. Zum Beispiel den Bekannten, der sein Atelier mit einem Mechaniker mit Vorliebe für alte Waschmaschinen teilt und tags darauf unsere AEG repariert. Die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit – keine Kette, sondern von einer ortsansässigen Einzelhändlerin geführt – bietet nicht nur, aber viele saisonale, relativ regionale Leckereien: Sauerkirschen von Bauer Felchner aus Mülheim, Salat aus dem Windrather Tal bei Velbert. Fußläufig erreichbar ist auch ein Foodsharing-Kühlschrank, wo gerettete Lebensmittel zur freien Verfügung stehen. Habe ich mehr zu schleppen, kann ich auf ELA, das mit bis zu 100 kg beladbare Lastenrad, zurückgreifen; eine lokale Initiative verleiht es kostenlos. Muss ich doch weiter weg, leihe ich mir das Auto einer guten Freundin, da sie es nicht täglich braucht. In die Innenstadt komme ich ohnehin mit U- und S-Bahn, Bus oder Rad in 10 Minuten. Dort findet regelmäßig eine von Greenpeace organisierte Kleidertausch-Börse statt, wo ich alte Klamotten los werde und neue bekomme.

Was wie ein Bericht aus der links-grünen Filterblase oder ferne Stadt-Utopie klingt, hat sich in Frohnhausen, liebevoll Froho oder die Fronx von Essen genannt, organisch ergeben. Hier wird viel lokal gelebt, gekauft, geteilt kurz: gehandelt, im doppelten Sinn. Einmalig ist das nicht. Urban Gardening, Foodsharing, Kleidertauschbörsen, Car- & Bikesharing, Bücherschränke, eine Bibliothek der Dinge oder Repair-Cafés – früher wurde das schlicht Nachbarschaftshilfe genannt – gibt es im ganzen Ruhrgebiet und weit darüber hinaus. Manche Städte und Gemeinden gehen mit dieser Idee noch weiter und werden zu „Transition Towns“ (TT, Stadt im Wandel). Hervorgegangen ist das TT-Konzept 2005 aus einem Hochschulprojekt des britischen Permakulturdozenten Rob Hopkins, die erste TT war seine Wahlheimat Totnes in Südwest-England. Was als Wunsch begann, unabhängiger zu werden und eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft anzustreben, breitete sich in wenigen Jahren zu einer globalen Graswurzelbewegung aus.

TTs streben danach, sich gegen steigende Energiepreise, wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Ungleichheit zu wappnen. Die lokale Ökonomie spielt dabei unter dem Stichwort REconomy eine wichtige Rolle…

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 08/18 und online auf:
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Wechselwirkungen: HIV und Aids in der Filmgeschichte

Filme greifen gesellschaftliche Stimmungen auf und können ihrerseits den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist Jonathan Demmes Drama „Philadelphia“ aus dem Jahr 1993. Tom Hanks erhielt für seine Verkörperung des aidskranken Anwalts, der gegen seine Entlassung klagt, seinen ersten Oscar. Aus der schwulen Community kam seinerzeit Kritik: an der heterosexuell besetzten Hauptfigur und der ohne die Andeutung sexuellen Begehrens inszenierten Liebesbeziehung zwischen Hanks‘ Figur und seinem Partner (gespielt von Antonio Banderas). Dennoch veränderte die erste Hollywood-Produktion zum Thema die Darstellung homosexueller Beziehungen im Mainstream-Kino sowie den gesellschaftlichen Dialog über Aids.

„Philadelphia“ war aber nicht der erste Film, in dem Aids thematisiert wurde. Schon 1984 wurde Manfred Salzgeber auf „Buddies“ von Arthur Bressan Jr. aufmerksam, der zu einem  frühen Zeitpunkt Vorurteile und Irrtümer rund um HIV und Aids aufgriff. Kein deutscher Verleiher traute sich an den Vertrieb, woraufhin Salzgeber selbst einen Verleih gründete und „Buddies“ 1985 in die westdeutschen Kinos brachte. Heute ist Edition Salzgeber der Traditionsverleih für queeres Kino in Deutschland. Bill Sherwoods „Parting Glances“ von 1986 (Steve Buscemi in seiner ersten Hauptrolle) und „Longtime Companion“ von Norman René (1989) waren zwei weitere, einfühlsame Filme zu der Thematik, an der viele der Pioniere persönliches Interesse hatten. Arthur Bressan Jr., Bill Sherwood, Manfred Salzgeber und Norman René – alle starben an den Folgen von Aids.

Erst seit den späten 1990er Jahren kam im Kino die Botschaft an, dass Aids nicht ausschließlich schwule Männer, Drogensüchtige und Prostituierte, sondern alle Menschen betrifft. In Larry Clarks Independent-Aufreger „Kids“ (1995) wird HIV durch heterosexuellen Sex übertragen, in Almut Gettos „Fickende Fische“ (2002) ist der Protagonist durch eine Bluttransfusion HIV-positiv. Kommerziell und bei der Kritik erfolgreiche Produktionen der letzten Jahre wie „Dallas Buyers Club“ (2013) oder „120 BPM“ (2017) werfen mit ebenso spannend wie emotional erzählten Geschichten den Blick zurück auf die frühe Aids-Ära und zeugen von der allmählichen Historisierung des Themas.

Aktuell ist in den Kinos Carla Simóns einfühlsames Debüt „Fridas Sommer“ zu sehen, in dem eine Sechsjährige 1993 nach dem plötzlichen Tod der Mutter zur Familie ihres Onkels ziehen und neben der Trauer auch Vorurteile und Ausgrenzung bewältigen muss. Denn es ist unklar, ob Frida sich bei ihrer Mutter angesteckt hat. HIV muss hier nicht explizit erwähnt werden. Die Zeit, in der die Geschichte spielt und die Panik anderer Eltern, als Frida sich beim Spielen das Knie blutig schrammt, rufen die fast 40-jährige Geschichte von HIV und Aids in unserem kollektiven Gedächtnis auf.

Heute ist die Krankheit gut therapier-, jedoch nicht heilbar, Neuinfektionen gibt es nach wie vor. Medizinische Aufklärung bleibt daher wichtig. Seit Ausbreitung des Virus vor fast 40 Jahren haben sich aber Vorurteile und Diskriminierung verringert und das Verständnis für Betroffene ist deutlich empathischer. Davon zeugt die Entwicklung der Darstellung von Aids im Film. Andersherum dürften die Filme zum Thema einen Anteil an dieser positiven Entwicklung gehabt haben.

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