Verrückt sind die anderen

Psychische Erkrankungen im Film

Die Darstellung psychischer Krankheiten ist ein beliebtes Filmsujet. Besonders Borderline, dissoziative Persönlichkeitsstörung oder paranoide Schizophrenie sind gern herangezogene Motive oder rückwirkende Erklärungsmuster. In Mindfuck-Movies wie „Fight Club“, „Identity“ oder „Shutter Island“ steht nicht die realistische Abbildung eines Krankheitsbildes im Fokus, die Diagnose dient hier der Plausibilität des Plot Twist. Porträts von Persönlichkeiten wie Mathematiker John Nash („A Beautiful Mind“) oder Pianist David Helfgott („Shine – Der Weg ins Licht) sind schon eher um die reale Darstellung der Krankheit bemüht – Nash litt an Schizophrenie, Helfgott hat eine schizoaffektive Störung. Instabile Psychen sind aber auch schon mal Motor einer (romantischen) Komödie wie in „Besser geht‘s nicht“ oder „Benny & Joon“. Die Frage, was die psychisch erkrankte Person und ihr Handeln von uns vermeintlichen „Normalos“ unterscheidet, fasziniert dabei so sehr, wie das Szenario zu Unrecht für „verrückt“ gehalten zu werden („Einer flog über das Kuckucksnest“). Der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer ist mit „Der Boden unter den Füßen“ (Start: 16.5.) ein Film auch über paranoide Schizophrenie gelungen, der kein Drama, kein Thriller und auch keine romantische Komödie ist, aber dennoch ziemlich spannend.

Eine psychische Herausforderung wollen traditionell auch die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen sein (1.-5. Mai). Das Themenprogramm widmet sich diesmal aus historischen, sozialen und ästhetischen Perspektiven dem Genre Trailer: vom klassischen Filmtrailer, über Werbetrailer für kinotechnische Innovationen bis hin zu Trailermaterial als Ausgangspunkt für Arbeiten audiovisueller Künstler*innen. In der Sektion Profile stehen unter anderem das Frühwerk des russischen Regisseurs Alexander Sokurow oder die philippinische Künstlerin und Filmemacherin Kiri Dalena im Fokus. Weitere vertraute Sektionen wie die Wettbewerbe, der MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo und ein Rahmenprogramm halten die Hirne außerdem reizüberflutend auf Trab.

Danach geht es mit dem 71. Filmfestival von Cannes (14.-25. Mai) weiter. Über das diesjährige Programm an der Croisette stand zu Redaktionsschluss noch nicht viel fest – außer dass vermutlich kein Netflix-Film zu sehen sein wird. Als sicher gilt dagegen die Premiere von Quentin Tarantinos neuestem Film. Allein, weil am 21. Mai 1994 „Pulp Fiction“ ebenfalls in Cannes Premiere feierte. In „Once Upon a Time in Hollywood“ erzählt Tarantino nun vor der historischen Folie der Manson-Morde 1969 die Geschichte eines abgehalfterten TV-Western-Stars. Bei dem realen Sektenführer Charles Manson, der Adolf Hitler bewunderte, im Alter von 80 Jahren im Knast eine 24-Jährige ehelichte und 2017 starb, wurde übrigens nie eine psychische Krankheit diagnostiziert. Als völlig durchgeknallten Irren darf man ihn aber trotzdem bezeichnen.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 05/19 und online auf www.trailer-ruhr.de

Gesellschaft aus dem Takt

Filmkritik: „Waldheims Walzer“ legt spannend montiert wie ein Politthriller die Mechanismen von Fake News und Populismus offen.

Geschichte wiederholt sich nicht. Bestimmte gesellschaftliche Muster schon, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Seit 2015 sind es anti-muslimische Ressentiments, mit denen rechte Bewegungen und Parteien in Österreich, Ungarn oder Deutschland gegen Geflüchtete und Migrantinnen mobilisieren. Als Ex-UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidierte, waren es längst überwunden geglaubte antisemitische Vorurteile, die plötzlich wieder laut ausgesprochen wurden. Es sind vor allem jene Szenen in „Waldheims Walzer“, die offenen Antisemitismus in den Straßen Wiens Ende der 1980er dokumentieren, die uns daran erinnern, wie dünn die Membran ist, die unsere demokratische Zivilisation umgibt. Während des Wahlkampfs traten Lücken in der Kriegsbiografie Waldheims zwischen 1941 und 1945 zutage, die dieser nicht erklären konnte und wollte. Österreichische Medien und der Jüdische Weltkongress in New York recherchierten und legten Beweise vor, dass Waldheim im Zweiten Weltkrieg mehr gesehen und getan hatte, als er öffentlich zugab. Konfrontiert mit Vorwürfen zu seiner Beteiligung bzw. Mitwisserschaft an NS-Kriegsverbrechen, verstrickte er sich in Widersprüche. Er inszenierte sich als Opfer einer Verschwörung und zog sich auf die Position soldatischer Pflichterfüllung zurück. Es kam zu heftigen Protesten gegen Waldheim, andererseits schien er vielen Österreicherinnen aus der Seele zu sprechen. Die Vorwürfe gegen ihren Kandidaten empfanden sie als ungerechtfertigte Einmischung von außen und standen gemäß dem Motto „Jetzt erst recht!“ umso vehementer hinter ihm.

Fesselnder Politkrimi. Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann erzählt diese Ereignisse, die als „Waldheim-Affäre“ in die Geschichte eingegangen sind, chronologisch zuspitzend wie einen Politthriller. Die Wienerin war 1986 selbst „halb dokumentierend, halb demonstrierend“, wie sie im Film erwähnt, vor Ort an den Anti-Waldheim-Protesten beteiligt. Auf eine historische Rückschau mit klassischen Talking Heads verzichtet sie bewusst. Stattdessen kompiliert sie ihr eigenes Filmmaterial und solches, das sie in akribischen Recherchen in den Archiven des ORF sowie in den USA, Großbritannien und Israel aufspüren konnte. Derart verdichtet liefert sie nicht nur eine Analyse der Affäre und eines Generationenkonfliktes, sondern legt auch die Charakterstudie eines für seine Generation typischen Mannes vor.
Für „Jenseits des Krieges“ (1996) interviewte Beckermann Besucher*innen und Zeitzeug*innen auf der viel diskutierten Wehrmachts-Ausstellung unter direktem Eindruck der Exponate, um individueller Erinnerung nachzuspüren. In „Waldheims Walzer“ geht es ihr dagegen um kollektive Verdrängung und die Rekonstruktion von Vergangenheit. Das von Editor Dieter Pichler in perfektem Rhythmus montierte Bildmaterial bringt in Kombination mit dem Off-Kommentar der Regisseurin Objektivität und Subjektivität, aber auch Vergangenheit und Gegenwart in ein fesselndes Spannungsverhältnis. So behandelt der Kompilationsfilm zwar ein abgeschlossenes historisches Ereignis, ist aber zugleich ein Lehrstück über die universellen Mechanismen von Fake News, Populismus und das Schüren von Ressentiments. Diese waren auch schon vor Social Media wirkmächtig und sie sind es noch heute. 2018 denkt dabei niemand mehr an Waldheim. Dafür aber an Trump, Orban oder die menschenverachtenden Ausfälle der FPÖ oder AfD.

Beginn historischer Aufarbeitung. Kurt Waldheim wurde in einem zweiten Wahlgang dennoch gewählt. Aber der „Österreicher, dem die Welt vertraut“ blieb während seiner gesamten Amtszeit international isoliert und landete 1987 sogar auf der Watchlist der USA für mutmaßliche Kriegsverbrecher. Die Waldheim-Affäre markierte jedoch den Beginn eines Aufarbeitungsprozesses: Die bis dato gültige und für viele Österreicher* innen bequeme Lebenslüge, ihr Land sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen, wurde erstmals kritisch hinterfragt. Ein wichtiger Film über eine historische Zäsur, der viel über unsere Gegenwart aussagt und beweist, wie viel gesellschaftlicher Druck bewirken kann.

Erschienen in: an.schläge 2018, an.sehen, Kultur, VII / 2018 (Print)
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