Filmkritik zu „Das Blau des Kaftans“ in epd film

Maryam Touzani kehrt in die marokkanische Medina zurück und inszeniert eine berührende Dreiecks­geschichte rund um die Liebe und das Sterben mit fabelhaftem Cast.

Behutsam streicht eine Hand den edlen Stoff glatt. Die Nadel sticht mit leichtem Druck hindurch, zieht den Faden straff. Millimeter um Millimeter entsteht ein goldenes Ornament auf blauem Grund in makelloser Handarbeit. So formvollendet wie das titelgebende Gewand ist auch der zweite Spielfilm von Maryam Touzani insgesamt. In der Medina von Salé betreibt Schneidermeister Halim (Saleh Bakri) mit seiner Frau Mina (Lubna Azabal) eine traditionelle Schneiderei. Halim entwirft und näht Gewänder für besondere Anlässe, Mina verwaltet den Laden und verklickert der nervigen Kundschaft, warum Handwerk eben seinen Preis hat und Zeit braucht. Zur Unterstützung nehmen sie den Lehrling Youssef (Ayoub Missioui) auf. So subtil, wie Youssef bald mit Halim begehrende Blicke tauscht, deutet sich parallel an, dass die starke Mina schwer krank ist. Statt eines vorhersehbaren Eifersuchtsdramas mit Halims Homosexualität als Motor der Handlung entspinnt sich von da an eine zärtlich erzählte Geschichte über Liebe, Partnerschaft und das Sterben. 

Vieles bleibt dabei unausgesprochen. Es braucht keine Worte, um zu vermitteln, dass Halim seine Homosexualität unterdrückt, aber trotzdem Sex mit Männern im Geheimen hat, wovon Mina seit Jahren weiß. Wie schlecht es ihr gesundheitlich geht, verheimlicht sie hingegen lange und lässt erst spät Halims Hilfe zu. All das transportiert sich in der fantastischen Bildgestaltung von Virginie Surdej, mit der Touzani bereits bei ihrem Spielfilmdebüt Adam zusammenarbeitete. Das beginnt schon mit der visuellen Würdigung des Handwerks. Die Kamera gleitet über leuchtende Stoffe, verweilt auf schimmerndem Samt, ruht geduldig auf Händen, die geschickt filigrane Arbeit verrichten. Surdejs Einstellungen haben eine haptische Qualität, schwelgen in Sinnlichkeit. Wir spüren die trockene Hitze in den engen Gassen der Altstadt. Atmen den Duft, der aus einer Tajine aufsteigt. Wir spüren die schwere Feuchtigkeit eines Hammam. Beißen mit Mina in eine saftige Mandarine. Eingefangen in einer Beiläufigkeit…

Der Text ist erschienen in epd film 3/23 und online abrufbar unter epd-film.de