Porträt Alice Gruia in der Freitag

Alice Gruias Serie „Lu von Loser“ mit der Regisseurin selbst in der Titelrolle überzeugt auch in der zweiten Staffel – die Zuschauer:innen erwartet schwarzer Humor und ein ehrlicher Blick auf das Leben einer Alleinerziehenden

Als Alice Gruia nach der Premiere der zweiten Staffel ihrer „Sadcom“ Lu von Loser im Rahmen des Kölner Seriencamps im Juni die Bühne betritt, ist ihr die Erleichterung sichtlich anzumerken. Sie holt ihr Team nach vorne, dankt jedem und jeder Einzelnen und badet im Applaus. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer unerwarteten Erfolgsgeschichte.

Schon die erste Staffel rund um die ungeplant schwangere Musikerin Lu, die wieder bei ihrer Mutter in Köln einziehen muss, nachdem sie sich mit ihrer Band zerstritten hat, war eine Überraschung, auch für Lus Schöpferin Gruia selbst. 1983 geboren und in Bonn aufgewachsen, absolvierte sie eine….

Der Text ist erschienen in der Freitag 30/23 und online abrufbar unter freitag.de

Filmkritik zu „Barbie“ in epd film

Die erste Realverfilmung der weltberühmten und polarisierenden Puppe überrascht mit originellen Ideen, verzettelt sich aber in zu vielen Handlungssträngen

Seitdem Barbie am 9. März 1959 das Licht der Weltöffentlichkeit erblickte, sorgt sie für Kontroversen. Für die einen symbolisiert sie alles, was Frauen unterdrückt. Von unrealistischen Körperidealen bis hin zu stereotypen Rollenklischees. Für andere ist Barbie ein feministisches Vorbild, das schon in den 1960er Jahren als Ärztin, Wissenschaftlerin, Astronautin oder Präsidentschaftskandidatin in männlich dominierte Sphären vordrang.

Die Marke Barbie jedenfalls ist weit über die Grenzen der USA hinaus bekannt. Die erste Realverfilmung war somit nur eine Frage der Zeit. Zwischenzeitlich war Amy Schumer, dann Anne Hathaway für die Titelrolle unter der Regie von Patty Jenkins im Gespräch, bis Greta Gerwig gemeinsam mit Noah Baumbach zunächst für das Drehbuch, dann als Regisseurin verpflichtet wurde. Spätestens als erste Setfotos mit Margot Robbie und Ryan Gosling in schrillen Neonklamotten auf Inlinern kursierten, begannen sich viele dafür zu interessieren, was die für ihre feministische Haltung bekannte Gerwig aus dem Stoff wohl machen wird.

In Plastik gegossene Misogynie oder Ikone weiblicher Selbstbestimmung? Schon das Intro bricht mit jeder Erwartungshaltung und inszeniert Barbies Genese als Reminiszenz an Kubricks…

Der Text ist erschienen in epd film 8/23 und online abrufbar unter epd-film.de

Aus sicherer Entfernung

Einleitung zur Essayreihe „Distanzmontage“ im Auftrag der Duisburger Filmwoche 2023

Kollektives Filmerleben wird in Duisburg seit fast 50 Jahren durch anschließende Gespräche in den öffentlichen Raum des Diskussionssaals verlängert, die dort ausgetauschten Seherfahrungen und Gespräche in den Protokollen festgehalten. Die gezeigten Filme wirken so in mehrfacher Hinsicht nach. Seit 2020 ist das Protokoll-Archiv virtuell zugänglich und um einen Blog mit weiteren Texten zum Dokumentarfilm ergänzt worden. Für die aktuelle Textreihe haben wir 2023 Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Filmemacher und -vermittlerinnen eingeladen, dort in der Festivalhistorie nach verbindenden Elementen zu suchen: Zwischen den in Duisburg gezeigten Filmen und den in ihnen und im Anschluss an sie verhandelten Diskursen. Ihre Ausgangspunkte sind – neben den Filmen der 46. Duisburger Filmwoche 2022 – ausführliche Recherchen in unserem Protokoll-Archiv. Ihre Texte erscheinen hier unter dem Titel Distanzmontage.

Der Begriff Distanzmontage geht auf den armenischen Dokumentarfilmregisseur Artavazd Peleschjan zurück. Ihre Besonderheit liegt darin, „daß eine Montageverbindung über Abstände hinweg nicht nur Einzelelemente als solche […] verknüpft, sondern auch […] ganze Elementkomplexe wobei es zu einer Wechselwirkung zwischen einem Prozeß mit einem anderen, ihm kontroversen Prozeß kommt. Dies nenne ich das Blockprinzip der Distanzmontage.“1 Peleschjan geht davon aus, so die Wahrnehmung für das filmische Erleben zu intensivieren. Mit jeder neu hinzukommenden Einstellung soll das zuvor Gesehene neu bewertet, definiert und reflektiert werden. Fast so, als würden wir einen Film mit jeder Szene erneut rekapitulieren und am Ende nochmals rückwärts lesen.

Um eine gedankliche Einkreisung, die im Rückblick bisher Unverbundenes zueinander in Bezug setzt, bemühen sich auch die hier versammelten Texte. Wie bei der Distanzmontage ergibt sich durch die rückwärtige Lektüre eine neue Sicht auf die Filme, aber auch auf Fragen und Diskurse, die darüber hinausweisen.

Michelle Koch denkt über Spannungs- und Machtverhältnisse innerhalb der Konstellation Protagonist:in – Regie – Publikum nach und fragt, wer hier eigentlich das Wort hat. Marion Biet beschreibt, wie sich das Verhältnis von Untertiteln mit und im Bild in den letzten Jahrzehnten verändert hat und streift ebenfalls Fragen der Übersetzung zwischen kulturellem Transfer und bewusster Auslassung. Petra Palmer widmet sich den sozialen Räumen, die Dokumentarfilme abbilden, (re)konstruieren und antizipieren – ästhetisch oder in utopischen Konzepten – und wie sich Menschen darin situieren oder diese subversiv unterlaufen. Ausgehend von der ersten gemeinsamen Konferenz mit unserem Partnerfestival doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche überlegt Mirjam Baumert, wie Dokumentarfilmen und Kurator:innen ein intergenerationeller Dialog gelingen kann. Oliver Schwabe wendet sich Filmen zu, die das Fernsehen historisieren, untersucht die Mitwirkung des Mediums an meinungsbildenden Prozessen und schildert seine persönlichen Erfahrungen im Umgang mit TV-Archivmaterial. Fiona Berg schließlich betrachtet, wie Natur als Resonanzraum für die teils romantisierten Sehnsüchte der urbanisierten Gesellschaften inszeniert und vereinnahmt wird, statt sie in ihrem Wert an sich und in ihrer verletzlichen Vergänglichkeit filmisch zu respektieren und zu bewahren.

Die Texte selbst laden dazu ein, die Programmhistorie der Duisburger Filmwoche noch einmal zu rekapitulieren und dabei neue Standpunkte, Diskurse oder schlicht noch ungesehene Dokumentarfilme zu entdecken.

1 Zitiert nach: Norbert M. Schmitz: „Distanzmontage als modernes Kunstprinzip. Artavazd Peleschjans Theorie und Praxis der Montage“ in: montage AV 20/1/2011.

Die Texte der Essayreihe erscheinen sukzessive auf dem Blog der Duisburger Filmwoche und können hier online abgerufen werden.
Als verantwortliche Redakteurin habe ich gemeinsam mit den Verantwortlichen der Filmwoche Themen erarbeitet, Autor*innen gesucht und die Veröffentlichung der Texte betreut.