Christopher Nolan  (* 30.7. 1970)  und sein Einfluss auf das Kino
„Are re you watching closely?“ – mit dieser an die Zuschauer*innen gerichteten Frage endet Christopher Nolans Prestige – Die Meister der Magie  (2006). Es geht um zwei rivalisierende Magier im ausgehenden 19.  Jahrhundert, die einander ein Leben lang übertrumpfen und die Tricks des  anderen entlarven wollen, bis beide daran zugrunde gehen und alles  verlieren. Zahlreiche falsche Fährten führen sowohl die Zauberer als  auch das Publikum mehrfach in die Irre. Der Rat, ganz genau hinzusehen,  empfiehlt sich aber für alle von Nolans Filmen, der selbst einer der  großen Kinomagier des zeitgenössischen Films ist.
Christopher Nolan wird am 3. Juli 1970 als Sohn einer US-Amerikanerin
 und eines Briten in London geboren. Schon früh experimentiert er mit 
der Super-8-Kamera seines Vaters, ab 1977 verengt sich sein kindliches 
Sujet auf das Weltall. Grund ist mit Star Wars das erste 
prägende Kinoereignis, an das er sich erinnert. Als Nolan 12 Jahre alt 
ist, reift in ihm die Idee, Regisseur zu werden. Er bewundert Alien (1979) ebenso wie Blade Runner
 (1982) und erkennt, dass die Handschrift von Regisseur Ridley Scott 
auch in zwei so unterschiedlichen Filmen erkennbar ist. Seine Eltern 
unterstützen ihn in seinem Wunsch – auch als er die teure Super-8-Kamera
 kaputt macht. Wie konkret und realistisch seine Einschätzung des 
Filmemachens ist, zeigt sich in der frühen Erkenntnis: Niemand gibt 
einem unbekannten Filmemacher ein fertiges Drehbuch. Fortan verfasst er 
selbst Drehbücher, um eigene Geschichten in petto zu haben. Er findet 
Gefallen daran, ebenso wie sein jüngerer Bruder Jonathan, mit dem er bis
 heute an fünf Filmen zusammengearbeitet hat.
Ende der 1980er beginnt Christopher Nolan ein Studium der Englischen 
Literatur am University College in London (UCL), vor allem wegen des 
Zugangs zum filmischen Equipment. Er wird Mitglied, dann Präsident des 
studentischen Filmclubs und lernt seine spätere Frau Emma Thomas kennen.
 Sie produziert bis heute alle seine Filme, mit ihr gründet er die 
Produktionsfirma „Synkopie“ und das Paar bekommt vier Kinder. Der 
Filmclub zeigt 35mm-Filme während des Semesters, in den Ferien kann 
Nolan die 16mm-Kamera des Clubs für eigene Projekte nutzen.
Nach seinem Bachelor-Abschluss arbeitet Nolan als Skriptreader, 
Kameraoperateur und Regisseur für Unternehmens- und Industriefilme, 
bevor 1998 sein mit minimalem Budget realisiertes Spielfilm-Debüt 
Following erscheint, für das er auch als Drehbuchautor verantwortlich 
zeichnet. Der schwarzweiße Neo-Noir-Thriller mit unerwartetem Ende 
beinhaltet schon alle Nolan-typischen Zutaten. Dazu gehört auch die da 
noch dezent, später labyrinthisch verschachtelte Narration, die er mit Memento (2000) weiter ausbaut. Basierend auf einer Kurzgeschichte und dem Drehbuch seines Bruders erscheint Memento in
 der Hochphase des Mindfuck-Kinos. Gekennzeichnet durch eine 
unzuverlässige Erzählweise führen um die Jahrtausendwende Filme wie Die üblichen Verdächtigen (R: Bryan Singer, 1995), The Sixth Sense (R: M. Night Shyamalan, 1999) oder Fight Club (R:
 David Fincher, 1999) ihr Publikum konsequent und raffiniert in die Irre
 und warten im Finale mit einem unvorhersehbaren Plottwist auf. Auch am 
Ende von Memento steht ein Twist, aber die verschachtelte und rückwärts erzählte Geschichte ist die eigentliche Attraktion.
Memento markiert auch die erste Zusammenarbeit mit Nolans  langjährigem Kameramann Wally Pfister. Der Dreh an Originalschauplätzen  und in urbanen Settings statt in kulissenhaften Studiobauten sowie der  möglichst geringe Einsatz von visuellen Spezialeffekten wird zu einem  weiteren Markenzeichen Nolans. CGI dient bei ihm nie dazu, Geschichten  zu überdecken. Digitale Special Effects nutzt er nur, um die  praktischen, „handgemachten“ Effekte aufzuwerten. Filmsprachliche,  formale Spielereien sucht man in seinen Werken ebenfalls vergeblich. Die  Form dient dazu, Betrachter*innen in die Handlung einzunähen.  Dokumentarisch sind seine Filme jedoch nicht, da der Realismus  der Diegese durch den geschickten Einsatz von Musik oder Montage oftmals  bewusst in Zweifel gezogen wird.
Nach Memento folgt mit der US-Adaption des norwegischen Thrillers Insomnia (2002)
 eine Auftragsarbeit, mit der Nolan beweist, dass er auch ein größeres 
Budget händeln kann. Erst dadurch wird sein Engagement bei Batman Begins (2005) denkbar. Es wird ein Erfolg bei Kritik und Publikum. Wo Sam Raimis Spider-Man (2002) die Genese von Peter Parker zum Spinnenmann als selbstironische Coming-of-Age-Geschichte erzählt, wischt Nolans Batman Begins „the smile off the face of Superhero movies“, wie Kyle Smith damals in der New York Post bemerkt. Nolan belebt mit Batman Begins
 nicht nur die Reihe um DCs düsteren Heroen wieder, er haucht dem ganzen
 Superheldengenre neues Leben ein, eine Vielzahl anderer Reboots folgt. 
Auch sein eigenes Sequel The Dark Knight (2008) wird mit Heath 
Ledger als legendärem Joker ein Erfolg. Hierfür dreht er vier Sequenzen,
 darunter die Auftaktszene des Bankraubs, im 70mm-IMAX-Format. So 
sparsam Nolan mit CGI umgeht, so sehr bevorzugt er teures, analoges 
Filmmaterial. Auch über seine eigenen Filme hinaus. Als Mitglied der 
gemeinnützigen Organisation „The Film Foundation“ engagiert er sich für 
die Bewahrung und Archivierung analoger Filme.
Bevor Nolan die Batman-Trilogie mit The Dark Knight Rises (2012) beendet, etabliert er mit Inception  (2010) endgültig seine Stellung als einziger Auteur Hollywoods. Er  schreibt das Drehbuch selbst, verzichtet wie bei den Batman-Filmen auf  ein zweites Kamerateam bei Action-Sequenzen, wie sonst für Filme dieser  Größenordnung üblich. Wieder setzt er auf Originalschauplätze und dreht  in sechs Ländern, darunter in Tokio, Kanada oder Marokko. Leonardo  DiCaprio gibt in dem Science-Fiction-Heist-Film den Dieb Dom Cobb, der  die Träume anderer Menschen infiltriert, um Informationen zu stehlen. In  einem letzten, entscheidenden Coup dringt er in immer tiefere Schichten  der menschlichen Psyche vor und landet, gejagt von den eigenen Dämonen,  schließlich im unentrinnbaren Limbo des Unterbewusstseins. Oder doch  nicht? 
Was hier Realität, was Illusion oder Traumwelt ist, lässt Nolan 
bewusst offen. Nach zweieinhalb Stunden faszinierender Beugung 
physikalischer Gesetzmäßigkeiten und waghalsiger Verfolgungsjagden durch
 die Gehirnwindungen ist das Popcorn alle und der Mund steht offen. Der 
Ariadnefaden reißt ab und der Regisseur lässt sein Publikum mit der 
eigenen Interpretation zurück, zwingt uns dazu, unser eigenes Verhältnis
 zur Realität zu reflektieren. Es gibt keinen anderen Blockbuster, der 
ein Mainstreampublikum mit einem derart hohen künstlerischen und 
intellektuellen Anspruch konfrontiert. Da stören auch die vielen 
Parodien der „Traum im Traum im Traum“-Struktur, beispielsweise in einer
 Episode der Simpsons, nicht.
2014 taucht Nolan mit Interstellar in extraterrestrische 
Sphären und arbeitet erstmals mit dem niederländischen Kameramann Hoyte 
van Hoytema zusammen. In einer dystopischen Zukunft steht die Erde vor 
dem Kollaps und drei Astronaut*innen machen sich auf eine ungewisse 
Reise durch ein Wurmloch, um neue Refugien für die dem Aussterben nahe 
Menschheit zu finden. Nolans Narration wechselt dabei nicht nur elegant 
die zeitlichen Ebenen, die Grenzen der Physik, von Zeit und Raum werden 
hier gleich ganz gesprengt. Der Regisseur lässt sich dafür von dem 
theoretischen Physiker Kip Thorne beraten, der ihm wiederum attestiert, 
wie ein Mathematiker zu denken. Tatsächlich fertigt Nolan stets 
akribisch Diagramme an, um bei seinen Erzählstrukturen den Überblick zu 
behalten. Interstellar ist nicht nur unter den zehn 
erfolgreichsten Filmen 2014, er ist auch als einziger in dieser Top Ten 
kein Remake, kein Sequel, kein Reboot und keine Adaption.
Danach kehrt Nolan in irdische Gefilde und in die Zeitgeschichte zurück. Der Kriegsfilm Dunkirk
 (2017) basiert auf den realen Ereignissen der „Operation Dynamo“ im 
Zweiten Weltkrieg, bei der 1940 britische Soldaten über den Ärmelkanal 
evakuiert wurden. Mit drei unterschiedlichen Erzählperspektiven ist er 
für Nolans Verhältnisse fast schon konventionell erzählt. Es ist der 
erste Film, für den er eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Beste 
Regie erhält, nachdem er schon 2012 als jüngster Regisseur der 
Geschichte seine Hand- und Schuhabdrücke im Zement vor dem Grauman‘s 
Chinese Theatre verewigen durfte.
Der Text ist zuerst erschienen in:  Bothmann, Nils  (Hrsg.): Schüren Filmkalender 2020, Schüren Verlag 2019 & online hier:  www.filmgeblaetter.schueren-verlag.de