Filmkritik: Milch ins Feuer

Lakonie trifft Sinnlichkeit: Drei ­Generationen von Bäuerinnen ­zwischen ländlichem Alltag, Arbeit und Zukunftsplanung

Das deutsche Kino hat nicht zu Unrecht den Ruf, spröde zu sein. In Justine Bauers Debüt »Milch ins Feuer« mischt sich diese Eigenschaft mit einer bildsprachlichen Sinnlichkeit und einer guten Portion Lakonie. Es ist die Geschichte eines Sommers auf dem Land, bei dem verschiedene Generationen von Bäuerinnen im Mittelpunkt stehen. Katinka (Karolin Nothacker) ist gerade mit der Schule fertig und will Bäuerin werden, so wie ihre Mutter (Johanna Wokalek) und ihre Oma (Lore Bauer) vor ihr. Die Mutter sieht in der sich immer weniger auszahlenden Landwirtschaft allerdings keine Zukunft und wünscht sich für ihre Töchter ein anderes Leben. Katinka packt trotzdem beim Kühemelken, beim Einfahren des Heus oder beim Kastrieren der Lamas mit an. Ihre Freizeit verbringt sie mit ihren beiden jüngeren Schwestern und ihrer Freundin Anna (Pauline Bullinger) meistens am Teich, wo sie Abkühlung suchen. Anna ist ungewollt schwanger und überlegt, was aus ihr werden soll. Dazwischen passiert einiges, aber nichts, was die landwirtschaftlichen Kreisläufe durcheinanderbringen oder gar unterbrechen könnte. 

Regisseurin Justine Bauer weiß, wovon sie erzählt. Sie ist auf einer Straußenfarm aufgewachsen, kennt sich in der Landwirtschaft aus und wollte auch die Krise, in der sich diese befindet, nicht aussparen. Zu ihrem präzise beobachtenden Blick trägt die mutige Entscheidung bei, ihre Figuren Hohenlohisch sprechen zu lassen. Johanna Wokalek arbeitete dafür mit einem Dialektcoach und fügt sich hemdsärmelig und zupackend in den mehrheitlich aus Laien bestehenden Cast ein. Die Darstellerin der Katinka fand Bauer durch einen Aufruf in einer Lokalzeitung. Ihre Schwestern…..

Ganze Kritik auf epd Film online lesen (zuerst in Print erschienen in epd Film 08/25)

Filmkritik: Memoiren einer Schnecke

Mit Akribie, Einfallsreichtum und skurrilen Figuren erzählt dieser »Claymationfilm« die berührende Lebensgeschichte eines australischen Zwillingspaars für ein erwachsenes Publikum

Swingende Adoptiveltern (die Musikrichtung ist hier nicht gemeint), Nudistencamps, Schimpfworte, religiöser Fanatismus, Fetische, Alkoholismus, Kleptomanie und fickende Meerschweinchen – Adam Elliots neuer Animationsfilm »Memoiren einer Schnecke« ist wirklich nichts für Kinder – oder allzu zartbesaitete Erwachsene. Was aufgeschrieben nach purer Provokation klingt, entfaltet sich auf der Leinwand zu der wunderbar aufrichtigen, von vielen Schicksalsschlägen geprägten Geschichte der Zwillinge Grace und Gilbert.

Nachdem die Mutter im Kindbett stirbt, gibt der Vater von Grace und Gilbert sein Bestes. Trotz Armut und Alkoholabhängigkeit versucht er, ihnen ein sorgloses Leben zu ermöglichen. Als auch er stirbt, werden die beiden Geschwister getrennt. Grace wird in Canberra bei einem herzensguten Ehepaar untergebracht, mit dem sie jedoch nie ganz warm wird. Gilbert landet bei einer fundamental christlichen Farmersfamilie, in der er hart arbeiten und ständig beten muss. Über die Jahre schreiben sich die beiden Briefe und sehnen ein Wiedersehen herbei. Grace füllt die Leere, die der Bruder hinterlassen hat, mit dem erratischen Sammeln von Schnecken in jeder Form. Bis sie Pinky kennenlernt, eine exzentrische ältere Frau, die sie unter ihre Fittiche nimmt….

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Sterben

Kaputte Körper im Alter, unkaputtbare Frauenfiguren, dysfunktionale Familien und ein sympathischer Lars Eidinger: Matthias Glasner riskiert viel und erschafft einen fast grandiosen Film, bei dem er nur manchmal die Balance verliert

Es besteht ein schmaler Grat zwischen der kreativen Vision, mit der Künstler*innen kreativ ihr Innerstes nach außen vermitteln wollen, und dem, was einem Publikum zuzumuten ist. Wer kompromisslos sein Ding durchzieht, geht das Risiko ein, nicht verstanden zu werden. Biedert man sich zu sehr an den Mainstream an, kippt die emotionale Botschaft schnell in Kitsch. So erklärt es sinngemäß der von Selbstzweifeln geplagte Komponist Bernard (Robert Gwisdek) an einer Stelle in Matthias Glasners »Sterben«. Es passt zur feinen Selbstironie des Films, dass dieser den beschriebenen Balanceakt selbst nicht durchgehend meistert….

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Porträt Alice Gruia in der Freitag

Alice Gruias Serie „Lu von Loser“ mit der Regisseurin selbst in der Titelrolle überzeugt auch in der zweiten Staffel – die Zuschauer:innen erwartet schwarzer Humor und ein ehrlicher Blick auf das Leben einer Alleinerziehenden

Als Alice Gruia nach der Premiere der zweiten Staffel ihrer „Sadcom“ Lu von Loser im Rahmen des Kölner Seriencamps im Juni die Bühne betritt, ist ihr die Erleichterung sichtlich anzumerken. Sie holt ihr Team nach vorne, dankt jedem und jeder Einzelnen und badet im Applaus. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer unerwarteten Erfolgsgeschichte.

Schon die erste Staffel rund um die ungeplant schwangere Musikerin Lu, die wieder bei ihrer Mutter in Köln einziehen muss, nachdem sie sich mit ihrer Band zerstritten hat, war eine Überraschung, auch für Lus Schöpferin Gruia selbst. 1983 geboren und in Bonn aufgewachsen, absolvierte sie eine….

Der Text ist erschienen in der Freitag 30/23 und online abrufbar unter freitag.de

„Male or Female? Yes!“ (Missy Magazine)

Zwanzig Jahre nach der Doku „Gendernauts“ trifft Monika Treut die damaligen Protagonist*innen wieder.

Die wohl bekannteste Szene aus „Gendernauts“: Stafford schaut in die Kamera und gibt an, auf die häufig gestellte Frage „Are you male or female?“ stets mit „Yes!“ zu antworten. Monika Treuts Dokumentarfilm von 1999 setzte trans Menschen wie Stafford erstmals respektvoll ins Bild und porträtierte die vibrierende queere Szene San Franciscos zu einer Zeit, in der Gendergrenzen zu fließen und sich scheinbar aufzulösen begannen.

Rund zwanzig Jahre später besucht die Regisseurin ihre Protagonist*innen von einst. Die damals florierende Szene ist heute durch Tech-Boom und Gentrifizierung weitgehend verschwunden. Auch Stafford hat die Bay Area verlassen und lebt heute als Mann. Andere sind geblieben, ihr Kampf um Akzeptanz geht weiter. So wie Susan Stryker, Pionierin auf dem Feld der Transforschung. Oder Publizistin und Computergeek Sandy Stone, die sich als eine der ersten MtF (Male to Female) der USA in den 1970er-Jahren für eine „geschlechtsangleichende Operation“ entschied und heute mit über achtzig Jahren einen alternativen Radiosender leitet. Die cisgeschlechtliche Verbündete und Ex-Pornodarstellerin Annie Sprinkle wiederum ist als „Ökosexuelle“ unterwegs und engagiert sich mit ihrer Partnerin Beth für Klimaaktivismus.

Jede dieser von Offenheit und Vertrauen zur Regisseurin geprägten Begegnungen rahmt Bildgestalterin Elfi Mikesch mit großartigen Einstellungen und in satten Farben…

Erschienen in: Missy Magazine 05/21 (Print). Hier geht’s zum vollständigen Artikel.

Roadtrip abseits der Straße

Rezension zu Charlie Kaufmans „I’m Thinking of Ending Things“

Eine Kellertür voller Kratzspuren, ein Hund der sich in Dauerschleife schüttelt, ein Kinderfoto von einem selbst an der Wand eines fremden Hauses. Etwas ist faul in diesem Farmhaus mitten in der US-amerikanischen Einöde, während draußen ein Schneesturm anschwillt und drinnen die Zeit aus den Fugen gerät. In einem Horrorfilm würde im Keller der Killer lauern. In Charlie Kaufmans narrativem Universum ist die Sache komplizierter. Der Drehbuchautor von Filmen wie Being John Malkovich oder Eternal Sunshine of the Spotless Mind arbeitet seit 2008 selbst als Regisseur. 2015 gewann sein Stop-Motion-Thriller Anomalisa als erster animierter Film den Großen Preis der Jury in Venedig. Aktuell ist I‘m Thinking of Ending Things, Kaufmans Adaption von Ian Reids gleichnamigen Romans, auf Netflix zu sehen…

Der vollständige Text ist online erschienen auf www.ray-magazin.at. Hier geht es direkt zur vollständigen Filmkritik.

Kritik zu „Manifesto“ mit Cate Blanchett (R: Julian Rosefeldt, 2017)

Audiovisuelle Partitur

„I do manifest because I have nothing to say“ – dieser Satz aus Julian Rosefeldts ursprünglich als 13-Kanal-Installation für Museen konzipiertem Werk „Manifesto“ ist durchaus augenzwinkernd gemeint. In der Installation schallt Cate Blanchett mehrstimmig in verschiedenen Rollen von zwölf Leinwänden herab.

In der linearen Kinofassung geht der polyphone Rausch verloren, dafür bleibt Zeit, in die von Kameramann Christoph Krauss vorwiegend on location in Berlin komponierten Sequenzen einzutauchen. Die Monologe, die Blanchett u. a. als Nachrichtensprecherin, Obdachlose, Puppenspielerin, Punk oder Brokerin proklamiert, bestehen aus gekürzten und neu editierten Manifesten aus den Bereichen der bildenden Kunst, Architektur, Literatur und Film. Einige der rezitierten Statements zu Dada, Futurismus, Fluxus oder Dogma korrespondieren mit den Settings. Andere funktionieren als ironischer Kommentar zu den Situationen, die gleichermaßen alltäglich wie fremdartig wirken.

Julian Rosefeldt vertraut dabei sowohl auf die künstlerische und literarische Kraft der einzelnen Texte als auch auf Cate Blanchett. In nur elf Drehtagen streifte sie sich mit Leichtigkeit unterschiedlichste Akzente, Gesten und diverse Habitus über. Statt Kunsttheorie in Bilder zu gießen, gelingt Rosefeldt eine audiovisuelle Partitur, die Lust macht, die Ursprungstexte – übrigens alle von Männern verfasst und daher bewusst durch eine Schauspielerin performed – aufzuspüren und deren Bedeutung für die Gegenwart selbst zu ergründen.

Zuerst erschienen in:  Missy Magazine

Rezension zu „Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“ (Sarah Helm)

Als Synonym für die Vernichtung der europäischen Juden ist Auschwitz längst Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Das einzige Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg blieb von der Holocaust-Forschung lange Zeit unbeachtet und ist auch heute weniger bekannt. Von 1939-1945 wurden hier je nach Zählung ca. 40.-50.000 Frauen getötet – durch Hunger, Kälte, Seuchen, Zwangsarbeit, drakonische Strafen, medizinische Experimente, Erschießungen, Gift und ab 1942 auch durch Gas. Leser*innen der „Lagerbiografie“ der britischen Journalistin Sarah Helm wird Ravensbrück als Chiffre für die systematische Vernichtung von Frauen während des Zweiten Weltkriegs durch die Nationalsozialisten im Gedächtnis bleiben.

Basierend auf subjektiven Erinnerungsfragmenten von Überlebenden aus ganz Europa, die Helm zu Anfang ihrer Recherche ausfindig machte und interviewte, wie auch anhand erhaltender Quellen schildert sie den Alltag im Lager, der steig unmenschlicher und unberechenbarer wird…

Zum vollständigen Text auf www.missy-magazine.de

Rezension zu „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ (Ulrike Herrmann)

Als vor Kurzem der Westdeutsche Rundfunk zum Funkhausgespräch unter dem Thema „Brauchen wir eine andere Demokratie?“ nach Köln lud, sagte Podiumsgast und CDU-Politiker Stephan Eisel voller Überzeugung: „Wir leben nun gerade in einem System, wo eben die Wirtschaft nicht alles machen kann, was sie will, sondern es gibt Grenzen dazu.“ Das Publikum reagierte mit Gelächter. Diese Anekdote steht exemplarisch für ein Gefühl, das bei vielen Menschen vorherrscht: Ob Finanzkrise, Panama Papers oder Euro-Rettungsschirm – die Wirtschaft ist ebenso allgegenwärtig wie komplex und arbeitet, so scheint es, nicht zugunsten unserer Gesellschaft, sondern einiger weniger Privilegierter.

Kurzum: Alle sind wütend auf die Finanzelite – aber keiner weiß genau warum, geschweige denn, ob und wie man dieses System ändern kann. Ulrike Herrmann, ausgebildete Bankkauffrau und Wirtschaftskorrespondentin der „taz“, schreibt dagegen an.

Zum vollständigen Text auf www.missy-magazine.de

Rezension zu „Das Leben der Mächtigen“ (Zora del Buono)

Der Titel „Das Leben der Mächtigen“ klingt pathetisch. Das weckt Assoziationen von überlebensgroßen Herrschern, Despoten in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Der Mensch ist in dem Buch der Architektin und freien Autorin Zora del Buono aber nur eine Randnotiz. Denn sie hat, so verrät der Untertitel, „Reisen zu alten Bäumen“ in Europa und den USA unternommen. Darunter sind die ältesten, höchsten, dicksten Exemplare. Manche sagenumwogen und berühmt, andere zu ihrem eigenen Schutz anonym und ungekennzeichnet, in tiefen Wäldern vor den neugierigen Augen, Bohrern und Sägen übereifriger Baumjäger und Wissenschaftler versteckt.

Vierzehn besondere Bäume hat die Autorin im Verlauf eines Jahres unter teils schwierigen Bedingungen ge- und besucht, sie tragen Namen wie „Lady Liberty“, „Old Tjikko“ oder „Dicke Marie“, jedem widmet sie ein eigenes Kapitel. Ihre Faszination für die Samenpflanze überträgt sich bei der Lektüre schnell, beispielsweise in der Geschichte des mit 390 Jahren noch jungen Bonsais mit Namen „Hiroshima Survivor“: Seit sechs Generationen in Familienbesitz, überlebt er den Bombenabwurf 1945 drei Kilometer vom Explosionszentrum entfernt und landet in den 1970ern als Geschenk an den Präsidenten im Washingtoner Arboretum.

Die meisten Exemplare sind aber weniger mobil. Seit mehr als 5000 Jahren trotzt eine langlebige Kiefer in den Kalifornischen White Mountains widrigstem Wetter, seit gar 9550 Jahren hält sich eine unscheinbare Fichte in einem schwedischen Nationalpark. Der Riesenmammutbaum „General Sherman Tree“ wiederum ist zwar „nur“ 2200 Jahre alt, aber mit über 80 Metern so hoch, dass in seiner Krone ein eigener Mikrokosmos lebt, für dessen Bewohner der Baum ein ganzes Universum ist.

Auch wenn die Lebensspanne des Homo Sapiens im Durchschnitt dem einer Birke entspricht – eine der kurzlebigsten Baumarten – können auch einzelne Menschen binnen weniger Momente das Schicksal eines jahrtausendealten Baumes besiegeln. Das beweist das Abfackeln einer 3570 Jahre alten Sumpfzypresse in Florida. Für die AnwohnerInnen ist das übrigens ein klarer Fall von Mord.

Wieder andere Exemplare haben trotz der Nähe zum Menschen Jahrtausende überdauert und wurden stumme Zeugen menschlicher Historie. Einige sind Legenden, wie die „Kastanie der hundert Pferde“, unter der eine sizilianische Königin es mit 100 Kavalleristen getrieben haben soll. Andere sind Orte menschlicher Tragödien. Zu den Füßen der Lebenseiche in Virginia wurden im 17. Jahrhundert Sklaven ermordet, eine Sommerlinde im Hessischen Schenklengsfeld ist eng mit der Geschichte der Juden und Jüdinnen des Dorfes zur Zeit des Nationalsozialismus verbunden.

Del Buono recherchiert akribisch, wenn auch ohne geschichtswissenschaftlichen Anspruch die historischen Ereignisse und kulturell geprägten Mythen, die in Verbindung mit den Bäumen stehen. Sie lässt Anekdoten und skurrile Persönlichkeiten einfließen, die sie im Verlauf ihrer Reise getroffen hat. Botanische Fakten und neue Erkenntnisse in der Baumkunde flicht sie geschickt ein. Dazu gesellen sich ein ästhetisches und ein emotionales Interesse, für die LeserInnen in poetisch-haptischen Beschreibungen und fotografischen Porträts der Bäume festgehalten. Jedem einzelnen Baum nähert sie sich so buchstäblich und im übertragenen Sinn mit Respekt und manchmal auch mit Staunen.

Wer jetzt schon Alexandras Schlager „Mein Freund der Baum“ trapsen hört, kann unbesorgt sein. Mit esoterischem Baum-Umarmen hat das nichts zu tun. Del Buono vermittelt Ehrfurcht vor der Natur und diesen besonders langlebigen Wesen. „Das Leben der Mächtigen“, mit denen eben nicht die Menschen gemeint sind, erzählt von Lebensformen, die schon vor der Menschheit die Erde bevölkerten und vermutlich noch existieren werden, wenn wir längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Und wäre das wirklich so schlimm? Denn viele Bäume, wenig Menschen – das macht den Wald so schön.

Zora del Buono: Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen | Matthes & Seitz Berlin | 147 S. | 32 €

Zuerst erschienen auf: www.choices.de