Thementext „Lächle doch mal!“ in epd 7/24

Zu dünn, zu dick, zu cool, zu schüchtern… und dann auch noch schlecht gelaunt. Junge Schauspielerinnen können nichts richtig machen. Prominente leben von der öffentlichen Aufmerksamkeit, Aber niemand steht mehr unter den Argusaugen der Presse als junge Schauspielerinnen. Warum machen wir ihnen das Leben und Arbeiten so schwer?

Die Dreharbeiten zu James Camerons »Titanic« (1997) verlangten Hauptdarstellerin Kate Winslet einiges ab. Vier Monate lang schlief sie maximal vier Stunden pro Nacht, litt an Unterkühlung, war mehrfach schwer erkältet und wäre einmal fast ertrunken. Was den Medien-Hype um »Titanic« begleitete, war aber nicht die physische oder darstellerische Leistung der damals erst 22-jährigen Winslet, die zuvor in Peter Jacksons »Heavenly Creatures« und »Sinn und Sinnlichkeit« ihr Talent bewiesen hatte. Während sich eine Generation von Fans in Leonardo DiCaprio schockverliebte, ging es bei seinem Co-Star meistens ums Gewicht. Hartnäckig hielt sich beispielsweise folgender Gag: Wäre Rose nur schlanker gewesen, hätten beide nach der Havarie des Schiffs auf der Tür überleben können und Jack wäre nicht ertrunken. Die Boulevardzeitungen konnten auch Jahre später nicht genug davon bekommen, Winslets angeblich zu großes Gewicht wieder und wieder zu thematisieren. 

Jetzt ließe sich einwenden: Prominenz bringt eben nicht nur Privilegien. Die Boulevardpresse interessiert sich nicht für künstlerische Leistungen. Klatsch und Tratsch sind schnell produziert und locken die Masse. Trotzdem gehen Medien und Öffentlichkeit mit keiner Gruppe härter ins Gericht als mit jungen Schauspielerinnen, insbesondere wenn sie im Rampenlicht erwachsen werden. Ihre Körper werden anders als die ihrer Kollegen ganz selbstverständlich zur Verhandlungssache, die öffentlich kommentiert, kritisiert und fetischisiert werden darf. Hinzu kommt ein Phänomen, das Schauspielerin Amandla Stenberg, damals Nebendarstellerin in »Die Tribute von Panem«, 2016 als »Jennifer Lawrence Fatigue« bezeichnete…..

Der Text erschien in der Print-Ausgabe von epd-Film und ist hier online abrufbar.

„Male or Female? Yes!“ (Missy Magazine)

Zwanzig Jahre nach der Doku „Gendernauts“ trifft Monika Treut die damaligen Protagonist*innen wieder.

Die wohl bekannteste Szene aus „Gendernauts“: Stafford schaut in die Kamera und gibt an, auf die häufig gestellte Frage „Are you male or female?“ stets mit „Yes!“ zu antworten. Monika Treuts Dokumentarfilm von 1999 setzte trans Menschen wie Stafford erstmals respektvoll ins Bild und porträtierte die vibrierende queere Szene San Franciscos zu einer Zeit, in der Gendergrenzen zu fließen und sich scheinbar aufzulösen begannen.

Rund zwanzig Jahre später besucht die Regisseurin ihre Protagonist*innen von einst. Die damals florierende Szene ist heute durch Tech-Boom und Gentrifizierung weitgehend verschwunden. Auch Stafford hat die Bay Area verlassen und lebt heute als Mann. Andere sind geblieben, ihr Kampf um Akzeptanz geht weiter. So wie Susan Stryker, Pionierin auf dem Feld der Transforschung. Oder Publizistin und Computergeek Sandy Stone, die sich als eine der ersten MtF (Male to Female) der USA in den 1970er-Jahren für eine „geschlechtsangleichende Operation“ entschied und heute mit über achtzig Jahren einen alternativen Radiosender leitet. Die cisgeschlechtliche Verbündete und Ex-Pornodarstellerin Annie Sprinkle wiederum ist als „Ökosexuelle“ unterwegs und engagiert sich mit ihrer Partnerin Beth für Klimaaktivismus.

Jede dieser von Offenheit und Vertrauen zur Regisseurin geprägten Begegnungen rahmt Bildgestalterin Elfi Mikesch mit großartigen Einstellungen und in satten Farben…

Erschienen in: Missy Magazine 05/21 (Print). Hier geht’s zum vollständigen Artikel.

Ziemlich befriedigende Sache

In der Mini-Serie „Loving Her“ brilliert Banafshe Hourmazdi als lesbische Titelheldin, die Fleabags kleine Schwester sein könnte.

Eine Frau steht in einem kleinen Club auf der Bühne und haucht eine balladige Version von Britney Spears Popsong „Toxic“ ins Mikrofon. Im Publikum beobachtet sie eine Frau mit leuchtenden Augen und lächelt sie an. Ihrem begehrenden Blick folgen wir zurück zur Sängerin. Während diese zärtlich von einem „poison paradise“ singt, verlieren wir uns in einer Nahaufnahme ihres Gesichts, ihrer Lippen, in ihrem hypnotischen Blick, der nur auf uns gerichtet zu sein scheint. Hanna, die Frau aus dem Publikum, ist völlig verknallt in die Sängerin und wir schmelzen mit ihr dahin.

Es sind Szenen wie diese, mit denen die Mini-Serie „Loving Her“ das Verlangen, das Kribbeln im Bauch und die flirrende Erotik so greifbar macht. Die Serie basiert auf dem niederländischen Vorbild „Anne+“ und ist die erste deutsche TV-Serie, in der eine lesbische Beziehung im Mittelpunkt steht. Ich-Erzählerin Hanna (Banafshe Hourmazdi) hat gerade ihr Literaturstudium in Berlin abgeschlossen. Kurz vor ihrem Wegzug aus der geliebten Wahlheimat läuft sie ihrer ersten großen Jugendliebe Franzi (Lena Klenke, zuletzt mit „How To Sell Drugs Online (Fast)“ bei Netflix) über den Weg. Diese Begegnung ist Anlass für Hanna, die letzten Jahre und Affären Revue passieren zu lassen, die in sechs komprimierten Episoden erzählt werden.

Mit Hanna mitzufiebern fällt leicht. Sie ist cool, draufgängerisch und streitlustig, dann wieder nachdenklich, völlig verpeilt und eine ­Loserin. Bewusst wird darauf verzichtet, eine naheliegende Einwanderungsgeschichte aufzugreifen. Die im Ruhrpott aufgewachsene, deutsch-iranische Schauspielerin Banafshe Hourmazdi („Futur Drei“) ist einfach Hanna, fertig. Folgerichtig steht auch ihre Homosexualität nicht im Vordergrund, das Drama ergibt sich aus den Figurenkonstellationen und dem alltäglichen, zwischenmenschlichen Wahnsinn…

Erschienen in: an.schlaege VI/2021 (Print). Hier geht’s zum vollständigen Online-Artikel.

Gesundheitswissenschaftlerin Nicola Bauer über wiederentdecktes Hebammenwissen

Frau Bauer, Sie sind Leiterin des Studienbereichs und Professorin für Hebammenwissenschaft an der hsg Bochum. Wie lange gibt es den Studiengang schon?
Nicola Bauer:
Wir haben im Wintersemester 2010/11 als Modellstudiengang in NRW angefangen. Möglich wurde das erst durch eine Änderung im Berufsgesetz, die 2009 beschlossen wurde. Um Hebamme oder Entbindungspfleger – so die männliche Bezeichnung, in Deutschland gibt es aber nur fünf Entbindungspfleger – zu werden, musste man bis dahin eine dreijährige Berufsschulausbildung absolvieren. Über eine Akademisierung der Gesundheitsfachberufe wird aber seit 15-20 Jahren nachgedacht, alle europäischen Länder haben das inzwischen auch umgesetzt.

Der Beruf der Hebamme ist sehr alt, der Studiengang relativ jung. Warum braucht es eine Akademisierung?
Das Kompetenzprofil einer Hebamme hat sich sehr erweitert. Das Berufsgesetz der Hebammen und auch die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung stammt aber noch von 1985. Damals war klar: Hebammen sind klinisch tätig oder maximal noch zehn Tage nach der Geburt in der Wochenbettbetreuung. Heute ist das Spektrum sehr viel größer: Hebammen können ab der Zeit der Familienplanung tätig werden, Schwangerschaften betreuen und Vorsorge anbieten, genau wie GynäkologInnen. Rund um die Geburt sind Hebammen in Kliniken als angestellte Hebammen oder als Beleghebammen, in Geburtshäusern oder bei Hausgeburten tätig. Auch das Wochenbett hat sich immens verlängert: Hebammen können Frauen bis zu 12 Wochen nach der Geburt zu Hause betreuen oder noch darüber hinaus bis zum Ende der Stillzeit. In manchen Fällen betreut die Hebamme Mütter auch bis zum ersten Geburtstag des Kindes. Die Lernfelder und die Einsatzorte der Praxis haben also gar nicht mehr zusammengepasst, die Menge an zu lernendem Stoff sprengt die dreijährige Berufsausbildung. Die Evidenzbasierung – das heißt begründen zu können, warum ich etwas wie tue – vor mir selbst, rechtlich und gegenüber der Frau und der Familie, ist absolut geworden. Dabei beziehe ich wissenschaftliche Erkenntnisse, Berufserfahrung sowie die Wünsche der Frau mit ein.

Wo bleibt die Praxis?
Es ist wichtig, dass auch Hebammen in akademischer Ausbildung reflektierte Praktikerinnen sind. Im Verlauf des Studiums sollten Studierende daher praktische Erfahrungen mit Frauen und Kindern sammeln. Für die Praxis kooperieren wir mit Kliniken in ganz NRW, bundesweit und im Ausland mit außerklinischen Einrichtungen. Die Studierenden absolvieren im Rahmen des Studiums 3.000 Praxisstunden in zwei unterschiedlichen Kliniken und 12 Wochen bei freiberuflichen Hebammen…

Hier geht’s direkt weiter zur vollständigen Online-Fassung.

Das ungekürzte Interview ist zuerst erschienen in trailer 01/19 und auf: https://www.trailer-ruhr.de

Rezension „The Handmaid’s Tale“ (Serie)

Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung

Was passiert, wenn die Menschheit durch Unfruchtbarkeit vom Aussterben bedroht ist? In Margaret Atwoods Roman „Der Report der Magd“ (1985) führt dies nach Atomkriegen und Staatsstreich zur Gründung der Republik Gilead, einer paramilitärische Diktatur mit theokratischen Zügen. Die verbliebenen fruchtbaren Frauen werden von mächtigen Männern, den „Kommandanten“, wie Zuchttiere gehalten, um als Leihmütter wider Willen den Fortbestand der Menschheit zu sichern.

Fanatismus. Die für den Streaming-Dienst Hulu produzierte US-Serie „The Handmaid‘s Tale“ orientiert sich in der ersten Staffel an der Romanhandlung. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht der Magd Offred (Elisabeth Moss). Vor der Diktatur hieß sie June Osborne, hatte einen Partner und eine Tochter, von denen sie bei einem Fluchtversuch getrennt wurde. Wie alle Mägde trägt sie nun das Besitz anzeigende Patronym des Kommandanten Fred Waterford (Joseph Fiennes), in dessen Haus sie leben muss. An fruchtbaren Tagen wird sie von ihm in einer Zeremonie, die strikten Regeln folgt, unter Mitwirkung seiner Ehefrau vergewaltigt. Gefügig gemacht werden alle Mägde zuvor im „Roten Zentrum“: einem Umerziehungslager, in dem sie von „Tanten“ genannten Aufseherinnen mit Elektroschocks malträtiert werden.

In Rückblenden wird erläutert, wie es so weit kommen konnte: zunehmender Fanatismus, Einschränkung von Frauen- und Freiheitsrechten, Kriminalisierung von Homosexualität – alles im Namen der Sicherheit und für den Fortbestand der Spezies. Das erinnert nicht zufällig an die derzeit reale politische Tendenz, Freiheitsrechte zugunsten einer vermeintlich größeren Sicherheit einzuschränken.

Triggerwarnung. Die dargestellte sexualisierte, physische und psychische Gewalt ist explizit, das Gefühl der Beklemmung und Ausweglosigkeit in jeder Einstellung präsent. Auf den Straßen patrouillieren Sicherheitsleute mit Maschinengewehren. Konsum, Mode, Soziale Medien sind bedeutungslos, back to the roots in ehemals prunkvollen Villen. Drinnen wird gestrickt, draußen im Vorgarten hängen die Leichen von Dissident*innen. Wer der Hinrichtung entgeht, wird in den Giftmülldeponien außerhalb der Stadt durch Zwangsarbeit entsorgt. Das alles muss so drastisch gezeigt werden, weil es zum Alltag Gileads gehört. Die Kamera schwelgt nicht in Gewaltexzessen, sie schaut nur nicht weg, und macht sich so mit den Täter*innen gemein, die sich im göttlichen Recht wähnen. Auch der weibliche Körper wird nicht ausgestellt, ist selten Objekt männlicher Begierde. Das Äußere spielt keine Rolle mehr, der neue „Warenwert“ bemisst sich in intakten Eierstöcken.

Motor der Handlung. Insgesamt treiben weibliche Figuren die Handlung voran. Besonders Elisabeth Moss („Mad Men“, „Top of the Lake“) beeindruckt in jedem Close-Up. Wo bereits eine zu unehrerbietige Verbeugung fürchterliche Konsequenzen haben kann, genügen ihr Blicke, um Abscheu, Verzweiflung oder den Willen zum Widerstand auszudrücken. Ihre Antagonistin ist Serena Waterford, unberechenbare Ehefrau des Kommandanten. Yvonne Strahovski gibt ihr eine distinguierte Strenge, die urplötzlich in Gewalt umschlagen kann. In der zweiten Staffel deutet sich nicht nur eine fragile, feministische Zweckgemeinschaft zwischen ihr und June an. Die Handlung entfernt sich von der literarischen Vorlage, enthüllt Details über die Vorgeschichte einzelner Figuren und lässt Hoffnung auf eine Revolution keimen.

In Puncto Diversität wäre noch mehr möglich. Zwar gibt es immerhin zwei Schwarze Protagonist_innen, und homosexuelle Beziehungen aus der Zeit vor Gilead werden als liebevoll und selbstverständlich dargestellt. Die Führungsriege in Gilead ist allerdings ausnahmslos weiß und alle noch fruchtbaren Frauen entsprechen – so ein Zufall – dem gängigen Schönheitsideal. Das ist das kleine Manko dieser sehenswerten, aber schwer verdaulichen Serie. „The Handmaid‘s Tale“ taugt nicht für chipsmampfenden Eskapismus auf der Couch, aber wer einmal hingesehen hat, wird kaum mehr wegschauen können.

Erschienen in: an.schläge V/2018

Wechselwirkungen: HIV und Aids in der Filmgeschichte

Filme greifen gesellschaftliche Stimmungen auf und können ihrerseits den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist Jonathan Demmes Drama „Philadelphia“ aus dem Jahr 1993. Tom Hanks erhielt für seine Verkörperung des aidskranken Anwalts, der gegen seine Entlassung klagt, seinen ersten Oscar. Aus der schwulen Community kam seinerzeit Kritik: an der heterosexuell besetzten Hauptfigur und der ohne die Andeutung sexuellen Begehrens inszenierten Liebesbeziehung zwischen Hanks‘ Figur und seinem Partner (gespielt von Antonio Banderas). Dennoch veränderte die erste Hollywood-Produktion zum Thema die Darstellung homosexueller Beziehungen im Mainstream-Kino sowie den gesellschaftlichen Dialog über Aids.

„Philadelphia“ war aber nicht der erste Film, in dem Aids thematisiert wurde. Schon 1984 wurde Manfred Salzgeber auf „Buddies“ von Arthur Bressan Jr. aufmerksam, der zu einem  frühen Zeitpunkt Vorurteile und Irrtümer rund um HIV und Aids aufgriff. Kein deutscher Verleiher traute sich an den Vertrieb, woraufhin Salzgeber selbst einen Verleih gründete und „Buddies“ 1985 in die westdeutschen Kinos brachte. Heute ist Edition Salzgeber der Traditionsverleih für queeres Kino in Deutschland. Bill Sherwoods „Parting Glances“ von 1986 (Steve Buscemi in seiner ersten Hauptrolle) und „Longtime Companion“ von Norman René (1989) waren zwei weitere, einfühlsame Filme zu der Thematik, an der viele der Pioniere persönliches Interesse hatten. Arthur Bressan Jr., Bill Sherwood, Manfred Salzgeber und Norman René – alle starben an den Folgen von Aids.

Erst seit den späten 1990er Jahren kam im Kino die Botschaft an, dass Aids nicht ausschließlich schwule Männer, Drogensüchtige und Prostituierte, sondern alle Menschen betrifft. In Larry Clarks Independent-Aufreger „Kids“ (1995) wird HIV durch heterosexuellen Sex übertragen, in Almut Gettos „Fickende Fische“ (2002) ist der Protagonist durch eine Bluttransfusion HIV-positiv. Kommerziell und bei der Kritik erfolgreiche Produktionen der letzten Jahre wie „Dallas Buyers Club“ (2013) oder „120 BPM“ (2017) werfen mit ebenso spannend wie emotional erzählten Geschichten den Blick zurück auf die frühe Aids-Ära und zeugen von der allmählichen Historisierung des Themas.

Aktuell ist in den Kinos Carla Simóns einfühlsames Debüt „Fridas Sommer“ zu sehen, in dem eine Sechsjährige 1993 nach dem plötzlichen Tod der Mutter zur Familie ihres Onkels ziehen und neben der Trauer auch Vorurteile und Ausgrenzung bewältigen muss. Denn es ist unklar, ob Frida sich bei ihrer Mutter angesteckt hat. HIV muss hier nicht explizit erwähnt werden. Die Zeit, in der die Geschichte spielt und die Panik anderer Eltern, als Frida sich beim Spielen das Knie blutig schrammt, rufen die fast 40-jährige Geschichte von HIV und Aids in unserem kollektiven Gedächtnis auf.

Heute ist die Krankheit gut therapier-, jedoch nicht heilbar, Neuinfektionen gibt es nach wie vor. Medizinische Aufklärung bleibt daher wichtig. Seit Ausbreitung des Virus vor fast 40 Jahren haben sich aber Vorurteile und Diskriminierung verringert und das Verständnis für Betroffene ist deutlich empathischer. Davon zeugt die Entwicklung der Darstellung von Aids im Film. Andersherum dürften die Filme zum Thema einen Anteil an dieser positiven Entwicklung gehabt haben.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 08/18 und online auf:
www.trailer-ruhr.de
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Sexualtherapeutin Silke Niggemeier über BDSM als erotische und sexuelle Praxis

Wann und wo beginnt die Geschichte von SM?
Silke Niggemeier
: In der Moderne und der westlichen Welt liegen die Ursprünge in der schwulen Leder-Bewegung in den USA der 1960er Jahre. Deswegen sind auch viele Begriffe aus dem Englischen übernommen worden. BDSM – was SM detaillierter beschreibt – steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Darüber hinaus besteht eine historische Verbindung zur AIDS-Hilfe, mit der auch heute noch viele SM-Stammtische kooperieren. Abgesehen davon ist SM schon seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kultur, wie Quellen belegen.

Was muss bei Erotik und Sexualität im SM-Bereich beachtet werden?
Der Grundpfeiler ist Respekt. Danach kommt ein Credo, das auch aus der Leder-Schwulenbewegung stammt. Es lautet: Safe, Sane and Consensual, kurz SSC. Also sicher, bei geistiger Gesundheit und einvernehmlich. Mit Sicherheit ist dieselbe Sicherheit gemeint, die auch bei jedem anderen Date gilt. Wer sich als Top [dominanter Part, Anm. der Redaktion] oder als Sub [sich unterwerfender Part] in eine Spielsituation begibt und nicht dafür sorgt, dass er abgesichert ist, hat ein Problem mit Sicherheit ganz allgemein. Auch hier gilt: „Trau, schau wem!“

Wie sieht so eine Absicherung aus?
Indem mich eine dritte Person covered. Dazu informiere ich vorher diese Person darüber, wo ich hingehe und melde mich auch wieder ab, wenn alles vorbei ist. Damit ist sichergestellt, dass ich aus einer Spielsituation gesund herauskomme. Meine Kontaktperson kann auch zwischendurch anrufen und fragen, ob alles ok ist. Da kann dann ein Codewort vereinbart werden. Zum Beispiel: Wenn ich „Hey Mama“ sage, weiß mein Kontakt, dass ich Hilfe benötige. Außerdem kann man sich erst mal in der Öffentlichkeit treffen, etwa beim Stammtisch. Da kann ich auch beobachten, wie der/die gewünschte Partner*in auf bestimmte Themen reagiert und ob er oder sie überhaupt öffentlich in Erscheinung tritt, das eigene Gesicht zeigt. Prinzipiell ist jeder One-Night-Stand, bei dem Fremde miteinander Vanilla-Sex haben – also Sexualität ohne SM – ebenso riskant.

Über die Praxis hinaus, was unterscheidet SM noch von „Vanilla“-Sex?
Zum SM gehört mehr als zu jeder anderen Art von Sexualität oder Erotik Kommunikation. Reden, reden, reden! So schrecklich die „Fifty Shades of Grey“-Bücher sind, dort gibt es einen Vertrag zwischen dem Top und dem Sub. Solche Verträge, die die Regeln einer Spielsituation oder Beziehung beschreiben, gibt es tatsächlich, sie sind jedoch nicht rechtlich bindend. Im Internet finden sich unzählige Varianten davon und ich rate gern dazu, sich mit so einem Vertrag mal hinzusetzen und diesen als Basis für ein Gespräch zu nehmen, was die Partner voneinander wollen, brauchen und was eben gar nicht infrage kommt.

Ist der machtvolle Manager privat eher unterwürfig oder ist das nur ein Klischee?
Ich glaube, dazu gibt es keine Zahlen. Es ist ein Klischee, aber vielleicht nicht ohne Grund. Es gibt bestimmt den Manager, der sich auspeitschen lässt. Genauso wie es im Alltagsleben dominante Männer gibt, die auch in ihrem Sexualleben dominant sind. Ich kenne tatsächlich mehr Frauen in Verantwortungspositionen als Männer, die im SM Sub sind. Männer sind oft im Alltag ähnlich positioniert, wie in ihrer erotischen Rolle. Auch hier besteht ein Kontrast. Es sind meist sehr toughe Frauen, auf ihre Art Managerinnen, mit Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit, die im Alltag ständig ihren Mann stehen müssen und sich dann im privaten SM-Bereich fallen lassen können. Es ist der Spaß am Rollentausch, der selbst gewählt ist und daher als befreiend empfunden wird. Das ist für mich eine sehr emanzipierte Form von Erotik, bei der ich selbst entscheide, wann ich mich zum Spaß als „kleines Weibchen“ unterwerfe und wann ich in meinen Alltag zurückkehre, stark bin und mein Leben regiere.

Was ist mit Dominas?
Da muss zwischen klassischen Dominas und sogenannten Bizarr-Ladies unterschieden werden. Letztere haben meist auch sexuellen Körperkontakt. Klassische Dominas haben den mit ihren Kunden nicht. Da gibt es sehr tolle Frauen, die Workshops anbieten, Vorträge halten, hervorragend vernetzt sind und das privat leben. Gute Dominas benötigen viel Empathie, psychologische Grundkenntnisse und medizinisches Fachwissen um die menschliche Anatomie. Diese Kompetenzen einer guten Domina sind jeden Cent wert.

Das ungekürzte Interview ist zuerst erschienen auf trailer-ruhr.de.

Hier geht’s direkt zur vollständigen Fassung.