Kill your Darling!

Die Spionageserie „Killing Eve“ ist extrem spannend, stylisch, brutal – und brüllend komisch.

Eine junge Frau sitzt in einem pinkfarbenen Kleid aus sehr viel Tüll zwei Männern mit Pokerfaces gegenüber. Wie es ihr gehe, wird sie gefragt. „Letzte Woche hatte ich eine ziemlich starke Monatsblutung. Aber sonst geht’s mir ganz gut“, erwidert sie trocken. Auch ihr beunruhigend harmloses Lächeln konterkariert den Ernst der Lage – es handelt sich um eine Prüfung, ob sie ihren Job als Auftragskillerin einer global agierenden Geheimorganisation weiter ausführen kann.

Wer diese Frau namens Villanelle ist, bleibt zunächst ein Geheimnis. Sie ist polyglott, kontrolliert und effizient. Aber auch unberechenbar, ungeduldig und von der Routine ihres mörderischen Brotjobs angeödet. Das verbindet sie mit Eve Polastri, die als unterforderte Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes ebenfalls gelangweilt ist und in ihrer Freizeit über Serienkillerinnen recherchiert. Der Zufall bringt Eve auf die Spur der brutalen Killerin …

Erschienen in: an. schläge VIII / 2020 (Print). Link zum vollständigen Online-Text.

Malcolm & Marie

Der erste komplett unter Corona-Bedingungen realisierte Film überzeugt vor allem durch seine Ästhetik und durch große Schauspielkunst.

Zwei Menschen, eine Location, viele Konflikte. Das ist die Ausgangslage in Malcolm & Marie. Nach der erfolgreichen Premiere von Malcolms (John David Washington) neuem Film kehrt das Paar nach Hause zurück. Er ist aufgekratzt, tanzt mit einem Glas Whiskey durch das Wohnzimmer. Marie (Zendaya) schweigt, raucht und beginnt wortkarg, Käse-Makkaroni zu kochen. Er redet sich in Rage, monologisiert und merkt erst zehn Minuten später, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Die Nudeln sind gar, und die Situation eskaliert. In den kommenden eineinhalb Stunden dröseln Malcolm und Marie ihre Beziehung unerbittlich auf. Sind brutal ehrlich, offenbaren sich und verletzen einander, nähern sich an und stoßen sich wieder ab….

Der vollständige Text ist online erschienen auf www.ray-magazin.at.
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Roadtrip abseits der Straße

Rezension zu Charlie Kaufmans „I’m Thinking of Ending Things“

Eine Kellertür voller Kratzspuren, ein Hund der sich in Dauerschleife schüttelt, ein Kinderfoto von einem selbst an der Wand eines fremden Hauses. Etwas ist faul in diesem Farmhaus mitten in der US-amerikanischen Einöde, während draußen ein Schneesturm anschwillt und drinnen die Zeit aus den Fugen gerät. In einem Horrorfilm würde im Keller der Killer lauern. In Charlie Kaufmans narrativem Universum ist die Sache komplizierter. Der Drehbuchautor von Filmen wie Being John Malkovich oder Eternal Sunshine of the Spotless Mind arbeitet seit 2008 selbst als Regisseur. 2015 gewann sein Stop-Motion-Thriller Anomalisa als erster animierter Film den Großen Preis der Jury in Venedig. Aktuell ist I‘m Thinking of Ending Things, Kaufmans Adaption von Ian Reids gleichnamigen Romans, auf Netflix zu sehen…

Der vollständige Text ist online erschienen auf www.ray-magazin.at. Hier geht es direkt zur vollständigen Filmkritik.

Bin ich verhaftet? (Rezension „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“)

Eine toughe Heldin kämpft gegen die Dreifaltigkeit des Patriarchats aus Kirche, Staat und Gesellschaft.

Petrunya ist Anfang 30, arbeitslose Historikerin und wohnt bei ihren Eltern. Nach einem miesen Vorstellungsgespräch gerät sie in ein orthodoxes Ritual, bei dem die Männer des Dorfes alljährlich am Dreikönigstag in einen eiskalten Fluss springen. Sie wollen ein Glück verheißendes Holzkreuz ergattern, das der Priester zuvor hinein geschmissen hat. Petrunya wirft sich einem Impuls folgend ebenfalls in die Fluten, schnappt das Kreuz und flieht damit klatschnass vor Priester und perplexer Meute. Zuhause angekommen, wird sie von ihrer streng gläubigen Mutter verpfiffen, die Polizei nimmt sie mit, um auf dem hiesigen Polizeirevier den vermeintlichen Skandal zu klären….

Der Text ist erschienen in Print: Missy Magazine 06/19 und online unter: www.missy-magazine.de

Pull up the dinosaurs‘ skirts

Geschlechterbilder in Jurassic Park (1993) und Jurassic World (2015)

„Do you remember the first time you saw a dinosaur?“ Mit dieser Frage beginnt der zweite Trailer zu Jurassic World – Fallen Kingdomi, der 2018 als fünfter Teil des Dino-Franchises in die Kinos kam. Ich selbst erinnere mich noch genau, wann und wo ich das erste Mal einen Dinosaurier gesehen habe. Natürlich hatte ich zuvor schon mal etwas von Dinosauriern gehört und im Fernsehen auch irgendwie gesehen, zum Beispiel in der Arthur Conan Doyle-Adaption The Lost World (R: Irwin Allen, 1960), in Kevin Connors Caprona – The Land That Time Forgot (1974) oder in Bill L. Nortons Baby – Secret of the Lost Legend (1985). Leguane in Großaufnahme, Handpuppen oder Stop Motion erweckten hier die Donnerechsen aber nur partiell zum Leben. Wirklich gesehen habe ich Dinosaurier erst dank Steven Spielberg, der sie 1993 mit Jurassic Park direkt aus meiner Phantasie als lebende, atmende und fressende Wesen auf die Leinwand projizierte, 65 Millionen Jahre nach ihrem Aussterben….

Der vollständige Essay ist in Print erschienen in: WerkstattGeschichte 79, 27. Jahrgang, März 2019, 2/2018. Zur Heftbestellung: werkstattgeschichte.de
Der Artikel steht auch frei zum Download zur Verfügung.

Abstrakt

„Ein Vierteljahrhundert nach Kinostart ist Steven Spielbergs Jurassic Park noch immer ein Film »worth watching«, was nicht zuletzt an seinen progressiven Geschlechterdarstellungen liegt. 2015 startete mit Jurassic World der erste Teil einer Trilogie, die das Dino-Franchise wiederbelebte, in Bezug auf geschlechtliche Rollenvorstellungen aber stereotyp bis antifeministisch blieb. Die viel zitierten und von Fans und Kritik geächteten High Heels der Protagonistin sind dafür nur der offensichtlichste Beleg. Maxi Braun zeigt anhand eines Close Readings, wie Geschlechterbilder in beiden Filmen unterschiedlich ästhetisch und narrativ verhandelt werden. Neben den weiblichen und männlichen Figuren nimmt sie die gentechnisch bewusst weiblich geschaffenen Dinosaurier in den Blick. Sie legt offen, wie Jurassic Park bereits 1993 (queer)feministische Lesarten eröffnete, als sich Frauenemanzipation im Action- und Science Fiction-Genre erst bestenfalls vorsichtig andeutete. Jurassic World hingegen biedert sich bei den Themen Geschlecht, Reproduktionskontrolle, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Frauen in Führungspositionen einem antifeministischen Zeitgeist der 2010er Jahre an.“

Schauen Sie genau hin!

Christopher Nolan (* 30.7. 1970) und sein Einfluss auf das Kino

„Are re you watching closely?“ – mit dieser an die Zuschauer*innen gerichteten Frage endet Christopher Nolans Prestige – Die Meister der Magie (2006). Es geht um zwei rivalisierende Magier im ausgehenden 19. Jahrhundert, die einander ein Leben lang übertrumpfen und die Tricks des anderen entlarven wollen, bis beide daran zugrunde gehen und alles verlieren. Zahlreiche falsche Fährten führen sowohl die Zauberer als auch das Publikum mehrfach in die Irre. Der Rat, ganz genau hinzusehen, empfiehlt sich aber für alle von Nolans Filmen, der selbst einer der großen Kinomagier des zeitgenössischen Films ist.

Christopher Nolan wird am 3. Juli 1970 als Sohn einer US-Amerikanerin und eines Briten in London geboren. Schon früh experimentiert er mit der Super-8-Kamera seines Vaters, ab 1977 verengt sich sein kindliches Sujet auf das Weltall. Grund ist mit Star Wars das erste prägende Kinoereignis, an das er sich erinnert. Als Nolan 12 Jahre alt ist, reift in ihm die Idee, Regisseur zu werden. Er bewundert Alien (1979) ebenso wie Blade Runner (1982) und erkennt, dass die Handschrift von Regisseur Ridley Scott auch in zwei so unterschiedlichen Filmen erkennbar ist. Seine Eltern unterstützen ihn in seinem Wunsch – auch als er die teure Super-8-Kamera kaputt macht. Wie konkret und realistisch seine Einschätzung des Filmemachens ist, zeigt sich in der frühen Erkenntnis: Niemand gibt einem unbekannten Filmemacher ein fertiges Drehbuch. Fortan verfasst er selbst Drehbücher, um eigene Geschichten in petto zu haben. Er findet Gefallen daran, ebenso wie sein jüngerer Bruder Jonathan, mit dem er bis heute an fünf Filmen zusammengearbeitet hat.

Ende der 1980er beginnt Christopher Nolan ein Studium der Englischen Literatur am University College in London (UCL), vor allem wegen des Zugangs zum filmischen Equipment. Er wird Mitglied, dann Präsident des studentischen Filmclubs und lernt seine spätere Frau Emma Thomas kennen. Sie produziert bis heute alle seine Filme, mit ihr gründet er die Produktionsfirma „Synkopie“ und das Paar bekommt vier Kinder. Der Filmclub zeigt 35mm-Filme während des Semesters, in den Ferien kann Nolan die 16mm-Kamera des Clubs für eigene Projekte nutzen.

Nach seinem Bachelor-Abschluss arbeitet Nolan als Skriptreader, Kameraoperateur und Regisseur für Unternehmens- und Industriefilme, bevor 1998 sein mit minimalem Budget realisiertes Spielfilm-Debüt Following erscheint, für das er auch als Drehbuchautor verantwortlich zeichnet. Der schwarzweiße Neo-Noir-Thriller mit unerwartetem Ende beinhaltet schon alle Nolan-typischen Zutaten. Dazu gehört auch die da noch dezent, später labyrinthisch verschachtelte Narration, die er mit Memento (2000) weiter ausbaut. Basierend auf einer Kurzgeschichte und dem Drehbuch seines Bruders erscheint Memento in der Hochphase des Mindfuck-Kinos. Gekennzeichnet durch eine unzuverlässige Erzählweise führen um die Jahrtausendwende Filme wie Die üblichen Verdächtigen (R: Bryan Singer, 1995), The Sixth Sense (R: M. Night Shyamalan, 1999) oder Fight Club (R: David Fincher, 1999) ihr Publikum konsequent und raffiniert in die Irre und warten im Finale mit einem unvorhersehbaren Plottwist auf. Auch am Ende von Memento steht ein Twist, aber die verschachtelte und rückwärts erzählte Geschichte ist die eigentliche Attraktion.

Memento markiert auch die erste Zusammenarbeit mit Nolans langjährigem Kameramann Wally Pfister. Der Dreh an Originalschauplätzen und in urbanen Settings statt in kulissenhaften Studiobauten sowie der möglichst geringe Einsatz von visuellen Spezialeffekten wird zu einem weiteren Markenzeichen Nolans. CGI dient bei ihm nie dazu, Geschichten zu überdecken. Digitale Special Effects nutzt er nur, um die praktischen, „handgemachten“ Effekte aufzuwerten. Filmsprachliche, formale Spielereien sucht man in seinen Werken ebenfalls vergeblich. Die Form dient dazu, Betrachter*innen in die Handlung einzunähen. Dokumentarisch sind seine Filme jedoch nicht, da der Realismus der Diegese durch den geschickten Einsatz von Musik oder Montage oftmals bewusst in Zweifel gezogen wird.

Nach Memento folgt mit der US-Adaption des norwegischen Thrillers Insomnia (2002) eine Auftragsarbeit, mit der Nolan beweist, dass er auch ein größeres Budget händeln kann. Erst dadurch wird sein Engagement bei Batman Begins (2005) denkbar. Es wird ein Erfolg bei Kritik und Publikum. Wo Sam Raimis Spider-Man (2002) die Genese von Peter Parker zum Spinnenmann als selbstironische Coming-of-Age-Geschichte erzählt, wischt Nolans Batman Begins „the smile off the face of Superhero movies“, wie Kyle Smith damals in der New York Post bemerkt. Nolan belebt mit Batman Begins nicht nur die Reihe um DCs düsteren Heroen wieder, er haucht dem ganzen Superheldengenre neues Leben ein, eine Vielzahl anderer Reboots folgt. Auch sein eigenes Sequel The Dark Knight (2008) wird mit Heath Ledger als legendärem Joker ein Erfolg. Hierfür dreht er vier Sequenzen, darunter die Auftaktszene des Bankraubs, im 70mm-IMAX-Format. So sparsam Nolan mit CGI umgeht, so sehr bevorzugt er teures, analoges Filmmaterial. Auch über seine eigenen Filme hinaus. Als Mitglied der gemeinnützigen Organisation „The Film Foundation“ engagiert er sich für die Bewahrung und Archivierung analoger Filme.

Bevor Nolan die Batman-Trilogie mit The Dark Knight Rises (2012) beendet, etabliert er mit Inception (2010) endgültig seine Stellung als einziger Auteur Hollywoods. Er schreibt das Drehbuch selbst, verzichtet wie bei den Batman-Filmen auf ein zweites Kamerateam bei Action-Sequenzen, wie sonst für Filme dieser Größenordnung üblich. Wieder setzt er auf Originalschauplätze und dreht in sechs Ländern, darunter in Tokio, Kanada oder Marokko. Leonardo DiCaprio gibt in dem Science-Fiction-Heist-Film den Dieb Dom Cobb, der die Träume anderer Menschen infiltriert, um Informationen zu stehlen. In einem letzten, entscheidenden Coup dringt er in immer tiefere Schichten der menschlichen Psyche vor und landet, gejagt von den eigenen Dämonen, schließlich im unentrinnbaren Limbo des Unterbewusstseins. Oder doch nicht?

Was hier Realität, was Illusion oder Traumwelt ist, lässt Nolan bewusst offen. Nach zweieinhalb Stunden faszinierender Beugung physikalischer Gesetzmäßigkeiten und waghalsiger Verfolgungsjagden durch die Gehirnwindungen ist das Popcorn alle und der Mund steht offen. Der Ariadnefaden reißt ab und der Regisseur lässt sein Publikum mit der eigenen Interpretation zurück, zwingt uns dazu, unser eigenes Verhältnis zur Realität zu reflektieren. Es gibt keinen anderen Blockbuster, der ein Mainstreampublikum mit einem derart hohen künstlerischen und intellektuellen Anspruch konfrontiert. Da stören auch die vielen Parodien der „Traum im Traum im Traum“-Struktur, beispielsweise in einer Episode der Simpsons, nicht.

2014 taucht Nolan mit Interstellar in extraterrestrische Sphären und arbeitet erstmals mit dem niederländischen Kameramann Hoyte van Hoytema zusammen. In einer dystopischen Zukunft steht die Erde vor dem Kollaps und drei Astronaut*innen machen sich auf eine ungewisse Reise durch ein Wurmloch, um neue Refugien für die dem Aussterben nahe Menschheit zu finden. Nolans Narration wechselt dabei nicht nur elegant die zeitlichen Ebenen, die Grenzen der Physik, von Zeit und Raum werden hier gleich ganz gesprengt. Der Regisseur lässt sich dafür von dem theoretischen Physiker Kip Thorne beraten, der ihm wiederum attestiert, wie ein Mathematiker zu denken. Tatsächlich fertigt Nolan stets akribisch Diagramme an, um bei seinen Erzählstrukturen den Überblick zu behalten. Interstellar ist nicht nur unter den zehn erfolgreichsten Filmen 2014, er ist auch als einziger in dieser Top Ten kein Remake, kein Sequel, kein Reboot und keine Adaption.

Danach kehrt Nolan in irdische Gefilde und in die Zeitgeschichte zurück. Der Kriegsfilm Dunkirk (2017) basiert auf den realen Ereignissen der „Operation Dynamo“ im Zweiten Weltkrieg, bei der 1940 britische Soldaten über den Ärmelkanal evakuiert wurden. Mit drei unterschiedlichen Erzählperspektiven ist er für Nolans Verhältnisse fast schon konventionell erzählt. Es ist der erste Film, für den er eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Beste Regie erhält, nachdem er schon 2012 als jüngster Regisseur der Geschichte seine Hand- und Schuhabdrücke im Zement vor dem Grauman‘s Chinese Theatre verewigen durfte.

Der Text ist zuerst erschienen in: Bothmann, Nils (Hrsg.): Schüren Filmkalender 2020, Schüren Verlag 2019 & online hier: www.filmgeblaetter.schueren-verlag.de

Love in a hopeless place (Rezension „Queen & Slim“)

Mit ihrem Spielfilmdebüt „Queen & Slim“ gelingt Melina Matsoukas ein Mix aus Roadmovie und Liebesgeschichte, voll visueller und sozialkritischer Wucht.

Es ist eines dieser typisch US-amerikanischen Diner, wie es Edward Hopper schon 1942 in „Nighthawks“ abbildete. An diesem Ort voll Neonlicht getünchter Trostlosigkeit sitzen sich Queen und Slim bei einem wenig prickelnden Tinder-Date gegenüber. Queen ist Anwältin, hat gerade einen Fall verloren und will den Abend nicht allein verbringen. Slim scheint ein netter, einfach gestrickter Kerl zu sein, auf den sie mitleidig und arrogant herabblickt. Ein Eindruck, der sich schnell aus der zähfließenden Unterhaltung ergibt. Ein zweites Date ist nicht in Sicht, aber Slim bietet an, Queen nach Hause zu fahren. Unterwegs geraten sie wegen einer Lappalie in eine Polizeikontrolle. Weil beide Schwarz sind und der Polizist ein Rassist, eskaliert die Situation. Ebenso schuldlos wie plötzlich sind Queen und Slim in einer schicksalhaften Gemeinschaft miteinander verbunden und fortan auf der Flucht.

Kaum zehn Minuten Erzählzeit ihres Spielfilmdebüts benötigt Regisseurin Melina Matsoukas, bisher vor allem bekannt für ihre Musikvideos für Rihanna oder Beyoncé, für diese Einführung und um uns für ihre Figuren einzunehmen. Was folgt, ist ein wilder Trip durch die Südstaaten der USA, die Tat Radcliffs Kamera aus poetischen Totalen der Landschaft, aber auch aus Momentaufnahmen der ärmeren, runtergerockten und meist Schwarzen Viertel zwischen Kentucky und Georgia zusammensetzt. Erst allmählich realisieren Queen und Slim, dass der Vorfall von der Dash Cam des Polizisten gefilmt wurde, im Internet gelandet und viral gegangen ist. Als „Schwarze Bonnie und Clyde“ versuchen sie sich trotz Fahndung nach Florida durchzuschlagen, um sich nach Kuba abzusetzen. Filmhistorisch erinnert das an „Thelma und Louise“. Wo Ridley Scott 1991 mit dem bis dato männlich dominierten Genre des Roadmovies brach und Sexismus und sexualisierte Gewalt implizit verhandelte, ist „Queen & Slim“ das erste Schwarze Roadmovie vor der Folie von Rassismus und Alltagsdiskriminierung.

„Queen & Slim“ ist aber auch eine träumerische Liebesgeschichte, in der sich zwei Menschen aus unterschiedlichen sozialen Klassen treffen und verlieben. Das geschieht in einer Underground- Spelunke in Alabama, in der die Gejagten eine kurze Verschnaufpause wagen. Es wird Blues gespielt, im rot-grün gedämpften Licht wiegen sich Gestalten der Nacht trunken zum Rhythmus. In der Mitte tanzen Queen und Slim in fester Umarmung. Der Dialog aus der Folgeszene, in der sie einander offenbaren, was sie von der Liebe erwarten, legt sich über dieses Bild, während die Kamera beide umkreist und sich die gesamte Bildsprache vor Wong Kar-wais „In The Mood For Love“ verneigt.

Insgesamt nehmen die Wege, die Queen und Slim letztlich bis auf einen Flugplatz in Florida führen, vielleicht den ein oder anderen narrativen Abzweig zu viel, die Parallelmontage von Sexszene und eskalierender Demo sowie die damit verbundene Nebenhandlung lassen den Sog des Films etwas zerfasern. Jodie Turner-Smith als Queen, die hier ihre erste Hauptrolle spielt, und Daniel Kaluuya als Slim, der seit Jordan Peeles „Get Out“ einem breiten Publikum bekannt ist, trösten aber darüber hinweg. Sie sorgen dafür, dass die Spannung als Sorge um das Schicksal der Figuren bis zum bitteren Ende anhält und wir von ihrer Metamorphose von einer Zweckgemeinschaft zu wahrhaft Liebenden, von Namenlosen zu ikonenhaft verehrten Outlaws fasziniert bleiben.

Der afroamerikanische Künstler Arthur Jafa hat einmal gesagt, People of Color, Frauen und Homosexuelle müssten sich in einer weißen, männlich und heteronormativ dominierten Kultur mangels Repräsentation schon immer in andere hineinversetzen, und das Kino sei eine Möglichkeit, diese Empathie zu trainieren wie einen Muskel. „Queen & Slim“ ist eine effektive Trainingseinheit, die diese Erfahrung umkehrt, und ein Stück „New New Black Cinema“, wie es vor zehn Jahren, vor #blacklivesmatter und #oscarssowhite nicht möglich gewesen wäre. Ein politisches Statement und rauschhaftes Kinoerlebnis zugleich.

Erschienen in: an. schläge 2020, an.sehen, I / 2020 (Print)
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Leitartikel zum Thema „Schöner Sterben“ – engels Magazin 01/20

Kompost oder Krematorium?

Als meine Mutter Mitte 2019 verstarb, stellten mein Bruder und ich schnell fest, welche Strategie der Trauerarbeit sie für uns vorgesehen hatte: Möglichst wenig vorab regeln, damit wir ordentlich zu tun haben und abgelenkt sind. Mit dieser Taktik ist sie nicht allein. Nur wenige Menschen in Deutschland planen ihre eigene Beerdigung bisher akribisch. Aber die Kulturtechnik des Sterbens und Trauerns wandelt sich seit einigen Jahren und öffnet so neue Spielräume.

Nach NRW-Bestattungsrecht – denn Tod ist in Deutschland Ländersache – muss spätestens innerhalb von zehn Tagen eine Erd- oder Feuerbestattung erfolgen. Die Anzahl der Erdbestattungen sind deutschlandweit rückläufig, wohl auch, weil die Einäscherung weit mehr Möglichkeiten bietet: Die Asche kann ihre letzte Ruhe klassisch auf einem Friedhof im Grab oder einem Kolumbarium (Urnenwand), in biologisch abbaubarer Urne auf einem der zahlreichen Wald- und Naturfriedhöfe oder auf offener See finden. Gesetzlich verboten ist aufgrund des Bestattungszwangs zwar die Aufbewahrung der Asche zuhause. Das kann aber durch die Überführung des Leichnams in die Schweiz (zur Transformation in einen Diamanten) oder in die Niederlande (zur späteren Aushändigung an die Angehörigen) umgangen werden.

Die Firma Celestis hilft seit 20 Jahren dabei, irdische Gefilde im doppelten Sinne zu verlassen: Teile der Asche können einmal um die Erde kreisen und bei Wiedereintritt verglühen, oder gleich an Bord einer wissenschaftlichen Mission ohne Rückfahrkarte ins All aufbrechen. Die Kosten liegen hierfür zwischen 2.495 und 12.500 US-Dollar, exklusive der dazu vorab nötigen Überführung der Asche in die USA. Der gegenläufige Trend zu solcher Extravaganz liegt im individuell gestaltbaren, nachhaltigen Pappsarg. Ob sich noch ökologischere Verfahren wie die Promession, bei der ein in Stickstoff gekühlter Leichnam zerbröselt und dann kompostiert wird, oder die Resomation (Auflösen in alkalischer Lauge) angesichts hiesiger Trauerkultur durchsetzen werden, ist fraglich. Wer sich über den Tod hinaus nützlich machen will, kann sich selbst als Körperspende auch der Wissenschaft vermachen.

Den Trend zur Individualisierung spiegeln neben der Beisetzungsform auch Trauerfeiern wider. Die klassische Beerdigung mit religiösem oder weltlichem Redner am offenen oder geschlossenen Sarg koexistiert neben der stillen Andacht mit Musik und reicht bis zur ganz freien Form: Da läuft die Fotoslideshow auf großer Leinwand, bevor die Harley den Sarg zum Grab fährt, wo die Enkel mit der Sandkasten-Schaufel helfen, Omma einzubuddeln. Was kritisch betrachtet nach Trauer als Event klingt, lockert andererseits auch die starren Riten. Angesichts der noch immer herrschenden Sprachlosigkeit rund um das Thema dürfte ein kreativerer Umgang mit dem Tod als Teil des Lebens unserer Gesellschaft eher nützen als schaden. Dem Tod als großem Gleichmacher widerspricht das nicht. Die Wahl von Sarg und Grabgestaltung war schon immer eine Frage der Finanzen und auch ein überlebensgroßer Marmorengel ändert nichts daran, dass wir alle sterben werden.

Mein Bruder und ich entschieden uns für eine stille Andacht mit Musik und anschließender Erdbestattung. An einem kalten, sonnigen Totensonntag 2019 trafen wir uns am noch kahlen Grab wieder. Im Sommer werden dort Lavendel und Schmetterlingsflieder blühen und Insekten glücklich machen. Wir stießen unsere Bierflaschen an den schlichten Naturstein und tranken auf meine Mama in der Überzeugung, dass ihr das gut gefallen hätte.

Dieser Text erschien im engels-Magazin 01/20 und online auf www.engels-kultur.de
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