Diskussion zu „Rassismus und Sexismus: Intervention“ in Bochum

Seit den Vorfällen, die sich in der Silvesternacht 2015 in Köln ereigneten, ist „nach Köln“ zu einer Chiffre geworden. Wer über sexualisierte Gewalt, Frauenrechte oder allgemein über Feminismus spricht, wird früher oder später mit ihr konfrontiert. Die große Aufmerksamkeit galt und gilt aber nicht den Opfern oder dem Missstand sexualisierter Gewalt an sich. Das mediale Interesse verbiss sich früh in die Herkunft der Täter, Islamkritik und die Angst vor dem „nordafrikanisch aussehenden Mann“. „Besorgte Bürger“, PEGIDA-Anhänger und die AfD, „vor Köln“ nicht gerade für ein modernes Frauenbild bekannt, schrieben sich begeistert Frauenrechte auf die schwarz-rot-goldene Flagge.

Die Zuspitzung der öffentlichen Debatte, die bis heute mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungen geführt wird, war laut Laura Chlebos von der Initiative Feminismus im Pott der Anlass für die Veranstaltung „Rassismus und Sexismus: Intervention“, organisiert gemeinsam mit der medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum und dem Bahnhof Langendreer.

Ergänzt wird das Podium durch Menschen, die die persönliche Erfahrung von Mehrfachdiskriminierung – etwa als Flüchtlingsfrau, Woman of Color oder Muslimin – gemacht haben. Neben Madeleine Mwamba von „Women in Exile & Friends“ ist Antonia Schui, die sich seit fünf Jahren als solidarische Aktivistin ohne Fluchthintergrund bei den Friends engagiert, eingeladen. Erweitert wird die Runde um Emine Aslan und Hengameh Yaghoobifarah, beide Mitverfasserinnen des Aufrufs #ausnahmslos, der noch im Januar 2016 mit dem Anspruch „Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall.“ veröffentlicht wurde.

Die Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt zur Bestätigung rassistischer Vorurteile einerseits und die kaum thematisierten Übergriffe auf Flüchtlingsfrauen, Women of Color oder Musliminnen andererseits sollen im Kontext der Kölner Debatten diskutiert werden.

Bianca Schmolze von der medizinischen Flüchtlingshilfe, die u.a. psychotherapeutische Hilfe für Flüchtlinge und Folteropfer anbietet, eröffnet die Diskussion schon in der Vorstellungsrunde mit klaren Worten. „Seit der Silvesterdebatte ist uns die Galle hochgekommen. Dass das Asylrecht verschärft worden ist, finden wir eklig“, bezieht sie klar Stellung.

Wut und leidenschaftlicher Wille zu gesellschaftlicher Veränderung sind auch Madeleine Mwamba anzumerken. Die ursprünglich aus Kamerun stammende Aktivistin stellt mithilfe einer Dolmetscherin die Arbeit von Women in Exile dar. Seit 2002 besuchen die Aktivistinnen Flüchtlingsheime und dokumentieren dortige Missstände. Mangelnde Privatsphäre selbst in den sanitären Anlagen oder sexuelle Übergriffe gehören zum Alltag der in den Heimen untergebrachten Frauen.

Berichtet wird darüber kaum, eine breite Empörung wie angesichts der Übergriffe an Silvester scheint gar undenkbar. Die sexuellen Übergriffe, die Flüchtlingsfrauen aus einem Heim in Köln Gremberg im Februar öffentlich gemacht hatten, sind wieder in Vergessenheit geraten. Erkennbare Konsequenzen für die Täter gab es nicht, dafür wurde die Ehrlichkeit der Opfer umso mehr in Frage gestellt.

„Ein öffentlicher Brief, den wir sehr vielen Medien zugespielt haben, wurde meines Wissens nach nirgendwo veröffentlicht“, stellt Antonia Schui resigniert fest. Für Madeleine Mwamba lautet das Ziel von Women in Exile daher nach wie vor: „Keine Lager für Frauen und Kinder! Alle Lager abschaffen! Hört auf, Diskriminierung und Rassismus mit Frauenrechten zu legitimieren.“

Selber Sturm, anderes Boot

Zu einer anderen Gruppe, die sich mit Mehrfachdiskriminierung auskennt, gehört die Aktivistin Emine Aslan, Muslimin ohne Fluchthintergrund. Mit #SchauHin, einer Plattform, die Alltagsrassismus sichtbar machen will und anderen Projekten unterstützt sie junge Muslime und Musliminnen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Frauen, die einer Ethnie oder Religion angehören, die in Deutschland eine Minderheit ist, sind anders von Rassismus und Sexismus betroffen. „Wir sind im selben Sturm, aber in unterschiedlichen Booten“, veranschaulicht Aslan. „Wir schauen nur hin, wenn ‚weiße‘ Frauen belästigt werden und stellen gleichzeitig die muslimische Community unter Generalverdacht. Die Stimmung wird – auch nach den Terroranschlägen in Paris und Brüssel – ängstlicher. Die Menschen sehen dann auch mich als Teil eines Phantasiekollektivs. Das ist ein Klima, in dem Rassismen legitimer werden.“

Auch abseits von Belästigung oder Gewalterfahrungen erleben muslimische Frauen Sexismus anders. „Ihr beschäftigt euch mit dem Gender Gap beim Gehalt, ich frage mich, ob ich mit meinem Kopftuch überhaupt einen Job bekommen werde“.

Sexualisierte Gewalt an Frauen vor „Köln“

Hengameh Yaghoobifarah, Bloggerin und freie Journalistin u.a. für das Missy Magazine, erweitert die Runde noch um eine weitere Gruppe: alle Frauen, die auch schon vor Köln die Erfahrung sexualisierter Gewalt gemacht haben. „Es ist ja nicht so, als wären wir nicht schon früher mit ungutem Gefühl durch die Straßen gelaufen. Die Bedrohung oder das Gefühl der Angst gab es für Frauen auch davor schon.“

Dass es sich dabei nicht nur um ein Gefühl handelt, bestätigt die Statistik. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, die sich auf die erste repräsentative Umfrage zum Thema aus dem Jahr 2003 bezieht, sind Formen sexualisierter Gewalt in Deutschland schon lange weit verbreitet.

13 % der in Deutschland lebenden Frauen sind schon einmal Opfer sexueller Nötigung oder Vergewaltigung geworden, sexuelle Belästigung haben 58 % der Frauen erfahren. Die Umfrage fand nicht nur vor dem Höhepunkt der Migrationsbewegung statt. Die Täter waren mehrheitlich (Ex-)Beziehungspartner, Familienangehörige, Nachbarn oder Kollegen, nicht der „nordafrikanisch aussehende Mann“.

All diese Erfahrungen sind in die zahlreichen Interventionen „nach Köln“ eingeflossen. Aber was bewirken diese letztlich und wie könnte man die Verbindung von Sexismen und Rassismen besser sichtbar machen und bekämpfen?

Antonia Schui appelliert an die Gründung eigener Projekte, während Emine Aslan fordert, dass Aktivistinnen auch realpolitisch wirken sollen: „Wir brauchen professionelle Lobbyarbeit für Feminismus und Antirassismus“. Hengameh Yaghoobifarah rät dazu, das eigene Engagement zu reflektieren. „Ein Turnbeutel mit Refugees Welcome-Logo ist zwar schön, aber was habe ich konkret bewirkt? Geht auf Demos, macht was in politischen Gruppen.“

In der abschließenden Publikumsdiskussion wird die Frage an Emine Aslan gerichtet, was für eine Berichterstattung sie sich nach Köln gewünscht hätte. Sie erwiedert „Ich wünschte, wir hätten die Gelegenheit genutzt, eine Debatte zu führen, die allen Opfern sexualisierter Gewalt Gehör verschafft.“

Trotz des großen Interesses an diesem Abend bleibt der Eindruck, dass hier wieder nur die, die ohnehin einer Meinung sind, miteinander ins Gespräch kommen. Kristin Schwierz vom Bahnhof Langendreer bringt diese Resignation abschließend auf den Punkt: „Die Situation mag deprimierend sein. Aber es hilft ja nichts. Wir müssen gemeinsam weiterkämpfen.“ Für die Sicherheit von Frauen in Deutschland, egal welcher Herkunft, welcher Ethnie oder Religion sie angehören mögen.

Zuerst erschienen auf: www.trailer-ruhr.de