NRW-Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen 2016

NRW ist ein weites Bundesland. Knapp 18 Millionen Bewohner finden darin Platz, geografisch streckt es seine Fühler sowohl in die Republik, als auch nach Belgien oder in die Niederlande aus. Es beinhaltet mit dem Ballungsraum der Rhein-Ruhr-Region eine der größten Metropolregionen der Welt und 29 von 77 Großstädten Deutschlands. Wenig verwunderlich, dass die Kultur- und auch die Filmszene hier äußert vital und vielseitig ist.

Im NRW-Wettbewerb konkurrierten 2016 zwölf in Sujet, Genre und Ästhetik sehr unterschiedliche Werke um die Preise. Zwei Preise vergab die Jury (bestehend aus Florian Deterding, Leiter der Düsseldorfer Black Box, Andreas Heidenreich, Vorsitzender des Bundesverbands kommunale Filmarbeit und der Kuratorin Sylke Gottlebe), den Publikumspreis kürte die West ART-Zuschauerjury.

Zu der Kategorie der im weitesten Sinne dokumentarischen Filme zählte „Erfrischt einzigartig“ von dem in Dortmund lebenden Kameramann und Filmemacher Johannes Klais. Neben Trinkhallen sind auch Kaugummiautomaten ein aussterbendes Markenzeichen des Ruhrgebiets, denen Klais in seinem Film nachspürt. Dabei streift er Themen wie die soziale Verödung von Innenstädten und ganzer Stadtviertel durch den Abbau von Arbeitsplätzen und Verdrängung von Einzelhändlern, bis nur noch der Metzger übrig ist und von der guten, alten Zeit erzählt. Ein Film mit sympathischem Galgenhumor, bei dem Assoziationen an die Oberhausener Marktstraße leider nicht abwegig sind.

Ebenfalls sozialkritisch, aber filmisch weniger puristisch ist „Ein Aus Weg“ von Simon Steinhorst und Hannah Lotte Stragholz. Von einem Seelsorger in einer JVA befragt, erzählt der Kleinkriminelle Alex K. von seinem Leben zwischen Normalität und Drogendelikten. „Ich mache halt, was ich gut kann und das ist klauen“ berichtet er nüchtern, schwärmt aber auch von seiner Freundin und  träumt von einem Leben jenseits der Gitterstäbe. Im Kontrast zu der sachlichen Dialogebene stehen die farbenfrohen und teilweise verträumten Animationen von Hannah Lotte Stragholz. Die West ART-Zuschauerjury vergab dafür einen mit 750 Euro dotierten Preis.

Auch der Förderpreis im NRW-Wettbewerb und 500 Euro Preisgeld gingen an einen animierten Film. In „Das Leben ist hart“ bringt Regisseur Simon Schnellmann mit simplen Strichen diese Weisheit auf den Punkt. In fünf sketchartigen Episoden trifft er mit einfachsten Mitteln den Humor des Publikums, auch wenn einige danach niemals wieder arglos an einem Eis lecken werden.
Aber auch die animierte Fabel „Ginko & Kinko“ von Jie Lu, die schon 2012 mit dem surrealistisch angehauchten „Ein Schuh geht barfuss“ in Oberhausen zu Gast war, berührte den Bertachter. In schattenspielartigen Bildern in Schwarz und Rottönen erzählt die gebürtige Chinesin Lu von dem alten Ginko und seinem Sohn Kinko und zeigt, dass Glück und Unglück oft nah beieinander liegen.
Überzeugen konnten wie so oft im NRW-Wettbewerb aber auch die narrativen Werke mit Spielfilmcharakter. Momentaufnahmen einer Coming of Age-Story am Ende eines Schweizer Sommers zeigt „J’ai tout donné au soleil sauf mon ombre“ (I Gave Everything to the Sun, Except My Shadow) von Valérie Anex und Christian Johannes Koch. Eine junge Frau hinterfragt ihre Beziehung: Ist es Liebe? Oder nur Sex? Sprachlosigkeit statt offenbarter Gefühle drücken sich in kunstvoll komponierten und dennoch intimen Bildern aus, über die sich eine Ahnung von Abschied und Aufbruch legt.

Erzählerisch stark ist auch Christian Beckers und Oliver Schwabes „Der Bruder“. Eine leer stehende Kaserne auf dem platten Land. Ein Mädchen versteckt sich und ihren autistischen Bruder. Warum und wie lange schon, weiß niemand. Ein Vater sucht beide, eine Polizistin findet sie. Während er sich mit der neuen Situation arrangiert und barfüßig seine neue Umgebung erkundet, liegt in ihrem krampfhaft Normalität suggerierendem Verhalten eine schwere Last. Wovor ist sie weggelaufen? Warum hat sie ihn mitgenommen? Wie soll es weiter gehen? Diese Zeitblase der Ungewissheit platzt mit einem unerwarteten Ende auf.

Atmosphärische Bilder aus der Provinz Westfalen um 1873 generiert „Der einsame Hof“ von Christian Zipfel. Eine Viehherde wird geklaut, eine Tochter geschwängert und die Ernte verdirbt. Das alles in westfälischer Mundart in Schwarz-Weiß-Bildern voller Verzweiflung und ohne Happy End. Schlimmer kann es den Pilgervätern Amerikas auch nicht ergangen sein.

Den mit 1.000 Euro dotierten Preis für den besten Beitrag des NRW-Wettbewerbs vergab die Jury mit „Ocean Hill Drive“ von Miriam Gossing und Lina Sieckmann aber an eine experimentelle Arbeit, produziert von der KHM Köln. Eine Frauenstimme aus dem Off führt uns durch ihr Haus in Massachusetts und durch die Umgebung. Die eingerichteten Räume voller persönlicher Dinge sind menschenleer und auch ein Flickereffekt stört immer wieder das Bild, die Szenerie wirkt unheimlich. Doch kein Geist oder ein anderes übernatürliches Phänomen ist dafür verantwortlich, sondern eine falsch installierte Windkraftanlage. In der Begründung lobte die Jury Film und Macherinnen für den „Sog, der die Spannung zwischen Surrealistischem und Dokumentarischem hält“ und für die „Aussagekraft ihrer Bilder, die eine feinsinnige Verbindung mit der Tonebene eingehen“.

Die beiden Programme des NRW-Wettbewerbs, seit 2009 Bestandteil der Kurzfilmtage Oberhausen, sind mittlerweile kein Geheimtipp mehr. So sieht es auch Juror Andreas Heidenreich, der 2016 zum zweiten Mal Teil der insgesamt drei Jahre amtierenden Jury war. „Man hat sich inzwischen an das durchweg hohe Niveau im NRW-Wettbewerb gewöhnt“, sagte er im Rahmen der Preisverleihung am 10.5. in der Lichtburg Oberhausen. Eine Aussage, die für Jury und Publikum gleichermaßen gilt.