Star Wars zum 40. Geburtstag

STAR WARS (1977):
Der Film, der Mythos, das Mysterium in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Es war einmal vor nach kosmischen Maßstäben gar nicht allzu langer Zeit, in dieser Galaxis, um genau zu sein in San Anselmo auf dem Planeten Erde, als der junge George Lucas einigen Auserwählten eine erste Rohfassung von STAR WARS zeigte. Mangels fertiger Special Effects hatte Lucas ersatzweise Schwarz-Weiß-Material von Luftkämpfen aus dem Zweiten Weltkrieg statt Actionszenen dazwischenmontiert.

Fast alle Anwesenden fanden den Rohschnitt miserabel. Nur Steven Spielberg soll, glaubt man der Legende, nach längerem Schweigen gesagt haben «I like it, George».  Zu Recht, wie uns die Geschichte der letzten 40 Jahre gelehrt hat. Kaum drei Monate nach dem offiziellen Kinostart von STAR WARS am 25. Mai 1977 hatte die Weltraumoper bereits über 100 Millionen Dollar eingespielt, bis Ende des Jahres waren es mehr als 195 Millionen Dollar an der Kasse. Die ZuschauerInnen standen Schlange, manchmal mehrere Blocks weit, der moderne Blockbuster war geboren. Ein Jahr nach dem ersten Kinorelease tobten Lucas Sternenkriege noch immer über die Leinwände. Die Vollendung der ersten Trilogie war da schon beschlossene Sache.

Alles begann aber schon in den frühen 1970er Jahren. Die Autorenfilmer des New Hollywood, darunter z.B. Peter Bogdanovich, Francis Ford Coppola, Robert Altman oder eben Spielberg, wagten mutige Experimente mit Genrefilmen. Als Lucas 1972 das erste Treatment zu STAR WARS verfasste, hatte er mit THX 1138 schon einen ästhetisch durchkomponierten, kühl-dystopischen Science Fiction-Film gedreht. Inspiriert von Serien wie FLASH GORDON oder BUCK ROGERS, sollte dieses Projekt ein märchenhafter Trip in fantastische Welten werden, bei der das Gute gegen das Böse kämpft.

Der erste Satz des wenig mehr als zehn Seiten umfassenden Entwurfs begann mit den Worten: «This is the story of Mace Windu, a revered Jedi Bendu of Ophuchi who was related to Usby C.J. Thape, Padawaan learner of the famed Jedi».
Was wie der Beginn des Alten Testatments oder Tolkiens „Silmarillion“ klingt, war den Entscheidern von Universal und United Artists wohl zu kryptisch. Erst 20th Century Fox bewilligte Lucas 1974 eine Finanzspritze zur Entwicklung eines Drehbuchs. Der Erfolg von „American Graffiti“ (1973) dürfte dabei entscheidender gewesen sein als das noch sehr vage und stark von der Endfassung des Drehbuchs abweichende Treatment. Bis zur finalen, vierten Drehbuchfassung wurde aus Luke Starkiller Skywalker und Lucas schuf sich mit der Gründung seiner eigenen Special Effects-Schmiede ILM (Industrial Light & Magic) 1975 auch die technischen Rahmenbedingungen für sein Projekt. Der Dreh startete im März 1976 in Tunesien. Auch wenn bei den Fortsetzungen THE EMPIRE STRIKES BACK – EPISODE V (1980) Irvin Kershner bzw. bei RETURN OF THE JEDI – EPISODE VI (1983) Richard Marquand Regie führte, stand STAR WARS von Anfang an unter der Kontrolle von George Lucas.

Anfang 1997 kam die Originaltrilogie erneut in die Kinos und spielte nochmal knapp 140 Millionen Dollar ein. Ein guter Lackmustest für das ungebrochene Interesse an der Saga, denn Lucas bereitete da längst den Dreh zu Episode I – THE PHANTOM MENACE (1999) vor. Die Episoden I-III sollten als Prequel die Vorgeschichte der Originaltrilogie erzählen. Die Idee einer insgesamt neunteiligen Serie kam Lucas recht früh, wurde aber erst nach dem Erfolg von STAR WARS 1977 realisitisch. Der zweite gedrehte Film, THE EMPIRE STRIKES BACK von 1980, erhielt daher den Zusatz EPISODE V.

Anders als in Episode IV-VI führte Lucas bei Episode I-III selbst Regie und setzte mit Natalie Portman als Padmé Amidala, Ewan McGregor als junger Obi-Wan Kenobi oder Liam Neeson als Qui-Gon Jinn auf bekannte Gesichter. Hinzu kamen zahlreiche Nebenfiguren (darunter der bei den Fans vernichtend durchgefallene Gungan Jar Jar Binks), exotische Settings und bombastische Effektschlachten. Viele Hardcore-Fans empfanden die Prequel-Trilogie als Sakrileg, die Kritik war eher verhalten. Ins Kino lockte die Geschichte vom Niedergang der Jedi, der Republik und die Metamorphose Anakin Skywalkers zum archetypischen Bösewicht Darth Vader erneut Millionen.

Was macht die «Erzählmaschine» STAR WARS, wie Filmkritiker und Autor Georg Seeßlen die Saga einmal bezeichnete, so erfolgreich? Das politische Klima der extradiegetischen Welt war in den 1970ern denkbar ungünstig. 1974 musste Präsident Nixon im Zuge der Watergate-Affäre abdanken. Das Vertrauen des Volkes in die eigene Regierung verbesserte das nicht. 1975 endete der Vietnamkrieg nach 20 Jahren als Trauma einer ganzen Generation, die Bedrohung des Kalten Kriegs bestand dennoch fort. Keine idealen Voraussetzungen für einen Krieg im Kino, möge er auch in einer weit, weit entfernten Galaxis spielen. Und warum in Phantasiewelten flüchten, wo es doch in der eigenen Geschichte soviel aufzuarbeiten gab?

Auch innerhalb der Diegese sind die Erfolgszutaten nicht offensichtlich. Die Story von STAR WARS ist – hat man sich an Namen wie Leia Organa und Han Solo oder Orte wie Mos Eisley und Tatooine gewöhnt – im Kern weder besonders kompliziert, noch raffiniert. Es geht um eine Rebellion gegen ein totalitäres Regime und den Kampf Gut gegen Böse. Auch pointierte Dialoge sind Mangelware. Harrison Ford soll beim Dreh zu STAR WARS entnervt gemault haben «George, Diese Scheiße kann man vielleicht in eine Maschine tippen, aber sprechen kann man sie auf gar keinen Fall». Schauspielerische Glanzleistungen erklären den unfassbaren Erfolg ebenso wenig wie die oft gescholltene Schneckenfrisur Leias. Filmsprachlich ist STAR WARS außerdem nicht besonders experimentell, allenfalls die von John Williams komponierte Musik mit der charakteristischen Fanfare zu Beginn jedes Films und die Spezialeffekte, die bei beiden Trilogien auf der Höhe der Zeit waren, sind auf der Produktionsebene bemerkenswert.

Die Faszination von STAR WARS liegt darin, dass die Saga eine Projektionsfläche für mannigfaltige Lesarten bietet und daher niemanden unberührt lässt. Die elementare Formel «Gut gegen Böse» wird angereichert mit allerlei Versatzstücken aus verschiedensten Kulturen, Märchen, Religionen, Mythologien. Lucas soll sich bei der Entwicklung an Joseph Campbells The Hero with a Thousand Faces von 1949 orientiert haben. Dessen Grundaussage besteht laut Georg Seeßlen darin, dass sich die seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte tradierten Mythen auf 32 plots herunterbrechen lassen.

Auch das gesamte Star Wars-Universum ist ein Füllhorn des Synkretismus. Die unbefleckte Empfängnis von Anakin in EPISODE I ist nicht erst im Christentum erfunden worden und auch seine Auferstehung als Darth Vader – wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen – ist ein Erzählelement vieler Religionen und heidnischer Rituale. Lucas bedient sich überall, bei der Populärkultur seiner Jugend, bei Akira Kurosawa sowieso. Hinzu kommen Versatzstücke von der griechischen Antike über das Mittelalter bis zur Gegenwart (Imperium, Republik, Monarchie, Steuerstreik und Handelsembargos), angereichert mit Märchenstoff (Es war einmal…), psychoanalytischen Konstellationen, exotischen Orten, fremden Kreaturen, humanoiden Robotern, allesamt transportiert in die phantastisch-futuristische Welt einer weit, weit entfernten Galaxis.

Der ökonomische Erfolg hingegen ist weniger symbolisch aufgeladen, sondern Produkt der Weitsicht George Lucas‘. Drehbuch, Regie und Schnitt lagen von Anfang in seiner Hand, durch die Gründung von ILM hatte er auch die Kontrolle über die Spezialeffekte und spätestens nach dem Erfolg von EPISODE IV war er finanziell völlig autonom von Studios oder anderen externen Geldgebern. Als noch keiner an STAR WARS glaubte, verzichtete er außerdem auf seine Gage und bestand dafür auf die Rechte an den Fortsetzungen und dem Merchandising.

Der Mythos ist auch nach der Abnabelung von seinem Schöpfer quicklebendig. Lucas verwarf schon in den 1990ern die Idee von insgesamt neun Teilen und verkaufte 2012 seine Produktionsfirma Lucasfilms und die Rechte am Star Wars-Imperium an die Walt Disney Company, die im Dezember 2016 den ersten Teil einer Sequel-Trilogie in die Kinos brachte. Aller Vorbehalte dem konservativen Disney-Konzern zum Trotz, rückte THE FORCE AWAKENS von den hochglanzpolierten Bildern der Episoden I-III ab. Der Weltraum darf wieder dreckig sein. Wenn auch die meisten Figuren schablonenartig bleiben, ist mit Rey wieder eine starke Frauenfigur installiert, die in der amazonischen Tradition von Leia und nicht in der passiven Amidalas steht.

Die Saga geht nicht nur bis mindestens 2019 im Kino weiter. Außerdem existieren unzählbare Adaptionen und eigenständige Handlungsstränge in Comics, Romanen, Animationsserien, Videospielen. Das bedrohliche Laserschwert-Summen, unzählige Variationen des Zitats «Ich bin Dein Vater!» und Yodas eigenwilliger Satzbau haben sich weltweit in das kollektive Bewusstsein der Menschen gebrannt. Die Selbstverständlichkeit, mit der Formate wie The Big Bang Theory STAR WARS wiederum in die eigene Diegese einpflegen, schreiben den Mythos weiter fort. Die Mythologie der Star Wars-Saga ist längst selbst zum Mythos geworden, der unsterblich scheint.

Der vollständige Text ist erschienen in: Busch, Werner /  Bothmann, Nils (Hrsg.): Schüren Filmkalender 2017, Schüren Verlag 2016. Zur Bestellung: www.schueren-verlag.de

Fachaufsatz zu Sergej Eisensteins „Oktober“

Die nie überwundenen Barrikaden:
Oktober (1927) als Quelle zur Konstruktion des Mythos der russischen Revolution von 1917
Ein Kanonenschuss ertönt, Schüsse illuminieren die Dunkelheit und hallen durch die Nacht. Die Massen stürmen furchtlos voran, überwinden Barrikaden und dringen weiter Richtung Palast vor, um diesen in einem heroischen Kampf auf Leben und Tod einzunehmen.
Diese berühmte Sequenz der Erstürmung des Winterpalastes aus Sergej Eisensteins Film Oktober – Zehn Tage die die Welt erschütterten, wie der deutsche Titel des Films in Anlehnung an den Erlebnisbericht John Reeds lautet,
lieferte 1927 die Bilderbuchversion einer Revolution. Dass seine Visualisierung des Oktobers 1917 nicht mit den historischen Ereignissen übereinstimmt, darüber ist sich die Geschichtswissenschaft längst einig.
Wird ein Propagandafilm als wahrheitsgetreue Aufzeichnung historischer Ereignisse ausgegeben, finden das die dem Medium Film gegenüber ohnehin schon oft skeptischen professionellen HistorikerInnen natürlich wenig überzeu-
gend, wenn nicht gar lächerlich. Eisensteins Film als bloße Propaganda abzutun und gar nicht erst als historische Quelle in Betracht zu ziehen,wäre jedoch nichtsdestotrotz ein Verlust.
Eine Quelle ist dieser Film indes weniger für den Oktober 1917 in Russland als vielmehr für den historischen Kontext, in dem er entstand. Die Art und Weise, wie die Oktoberrevolution hier inszeniert wurde, gibt Aufschluss darüber, wie dieses Ereignis in der offiziellen Erinnerungskultur tradiert werden sollte, auf welche Art der Mythos einer glorreichen Revolution konstruiert wurde und nicht zuletzt, wie sich die Bolschewiki selbst sahen oder von der Bevölkerung und der Nachwelt wahrgenommen werden wollten…
Den vollständige Text  ist hier erschienen: WerkstattGeschichte 60 (2012)

NRW-Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen 2016

NRW ist ein weites Bundesland. Knapp 18 Millionen Bewohner finden darin Platz, geografisch streckt es seine Fühler sowohl in die Republik, als auch nach Belgien oder in die Niederlande aus. Es beinhaltet mit dem Ballungsraum der Rhein-Ruhr-Region eine der größten Metropolregionen der Welt und 29 von 77 Großstädten Deutschlands. Wenig verwunderlich, dass die Kultur- und auch die Filmszene hier äußert vital und vielseitig ist.

Im NRW-Wettbewerb konkurrierten 2016 zwölf in Sujet, Genre und Ästhetik sehr unterschiedliche Werke um die Preise. Zwei Preise vergab die Jury (bestehend aus Florian Deterding, Leiter der Düsseldorfer Black Box, Andreas Heidenreich, Vorsitzender des Bundesverbands kommunale Filmarbeit und der Kuratorin Sylke Gottlebe), den Publikumspreis kürte die West ART-Zuschauerjury.

Zu der Kategorie der im weitesten Sinne dokumentarischen Filme zählte „Erfrischt einzigartig“ von dem in Dortmund lebenden Kameramann und Filmemacher Johannes Klais. Neben Trinkhallen sind auch Kaugummiautomaten ein aussterbendes Markenzeichen des Ruhrgebiets, denen Klais in seinem Film nachspürt. Dabei streift er Themen wie die soziale Verödung von Innenstädten und ganzer Stadtviertel durch den Abbau von Arbeitsplätzen und Verdrängung von Einzelhändlern, bis nur noch der Metzger übrig ist und von der guten, alten Zeit erzählt. Ein Film mit sympathischem Galgenhumor, bei dem Assoziationen an die Oberhausener Marktstraße leider nicht abwegig sind.

Ebenfalls sozialkritisch, aber filmisch weniger puristisch ist „Ein Aus Weg“ von Simon Steinhorst und Hannah Lotte Stragholz. Von einem Seelsorger in einer JVA befragt, erzählt der Kleinkriminelle Alex K. von seinem Leben zwischen Normalität und Drogendelikten. „Ich mache halt, was ich gut kann und das ist klauen“ berichtet er nüchtern, schwärmt aber auch von seiner Freundin und  träumt von einem Leben jenseits der Gitterstäbe. Im Kontrast zu der sachlichen Dialogebene stehen die farbenfrohen und teilweise verträumten Animationen von Hannah Lotte Stragholz. Die West ART-Zuschauerjury vergab dafür einen mit 750 Euro dotierten Preis.

Auch der Förderpreis im NRW-Wettbewerb und 500 Euro Preisgeld gingen an einen animierten Film. In „Das Leben ist hart“ bringt Regisseur Simon Schnellmann mit simplen Strichen diese Weisheit auf den Punkt. In fünf sketchartigen Episoden trifft er mit einfachsten Mitteln den Humor des Publikums, auch wenn einige danach niemals wieder arglos an einem Eis lecken werden.
Aber auch die animierte Fabel „Ginko & Kinko“ von Jie Lu, die schon 2012 mit dem surrealistisch angehauchten „Ein Schuh geht barfuss“ in Oberhausen zu Gast war, berührte den Bertachter. In schattenspielartigen Bildern in Schwarz und Rottönen erzählt die gebürtige Chinesin Lu von dem alten Ginko und seinem Sohn Kinko und zeigt, dass Glück und Unglück oft nah beieinander liegen.
Überzeugen konnten wie so oft im NRW-Wettbewerb aber auch die narrativen Werke mit Spielfilmcharakter. Momentaufnahmen einer Coming of Age-Story am Ende eines Schweizer Sommers zeigt „J’ai tout donné au soleil sauf mon ombre“ (I Gave Everything to the Sun, Except My Shadow) von Valérie Anex und Christian Johannes Koch. Eine junge Frau hinterfragt ihre Beziehung: Ist es Liebe? Oder nur Sex? Sprachlosigkeit statt offenbarter Gefühle drücken sich in kunstvoll komponierten und dennoch intimen Bildern aus, über die sich eine Ahnung von Abschied und Aufbruch legt.

Erzählerisch stark ist auch Christian Beckers und Oliver Schwabes „Der Bruder“. Eine leer stehende Kaserne auf dem platten Land. Ein Mädchen versteckt sich und ihren autistischen Bruder. Warum und wie lange schon, weiß niemand. Ein Vater sucht beide, eine Polizistin findet sie. Während er sich mit der neuen Situation arrangiert und barfüßig seine neue Umgebung erkundet, liegt in ihrem krampfhaft Normalität suggerierendem Verhalten eine schwere Last. Wovor ist sie weggelaufen? Warum hat sie ihn mitgenommen? Wie soll es weiter gehen? Diese Zeitblase der Ungewissheit platzt mit einem unerwarteten Ende auf.

Atmosphärische Bilder aus der Provinz Westfalen um 1873 generiert „Der einsame Hof“ von Christian Zipfel. Eine Viehherde wird geklaut, eine Tochter geschwängert und die Ernte verdirbt. Das alles in westfälischer Mundart in Schwarz-Weiß-Bildern voller Verzweiflung und ohne Happy End. Schlimmer kann es den Pilgervätern Amerikas auch nicht ergangen sein.

Den mit 1.000 Euro dotierten Preis für den besten Beitrag des NRW-Wettbewerbs vergab die Jury mit „Ocean Hill Drive“ von Miriam Gossing und Lina Sieckmann aber an eine experimentelle Arbeit, produziert von der KHM Köln. Eine Frauenstimme aus dem Off führt uns durch ihr Haus in Massachusetts und durch die Umgebung. Die eingerichteten Räume voller persönlicher Dinge sind menschenleer und auch ein Flickereffekt stört immer wieder das Bild, die Szenerie wirkt unheimlich. Doch kein Geist oder ein anderes übernatürliches Phänomen ist dafür verantwortlich, sondern eine falsch installierte Windkraftanlage. In der Begründung lobte die Jury Film und Macherinnen für den „Sog, der die Spannung zwischen Surrealistischem und Dokumentarischem hält“ und für die „Aussagekraft ihrer Bilder, die eine feinsinnige Verbindung mit der Tonebene eingehen“.

Die beiden Programme des NRW-Wettbewerbs, seit 2009 Bestandteil der Kurzfilmtage Oberhausen, sind mittlerweile kein Geheimtipp mehr. So sieht es auch Juror Andreas Heidenreich, der 2016 zum zweiten Mal Teil der insgesamt drei Jahre amtierenden Jury war. „Man hat sich inzwischen an das durchweg hohe Niveau im NRW-Wettbewerb gewöhnt“, sagte er im Rahmen der Preisverleihung am 10.5. in der Lichtburg Oberhausen. Eine Aussage, die für Jury und Publikum gleichermaßen gilt.

Woody Allen zum 80. Geburtstag

Woody Allen
*1.12.1935

„Ich will nie einem Club angehören, der einen wie mich als Mitglied aufnimmt.“ Dieser Satz aus der Eröffnungssequenz von Der Stadtneurotiker charakterisiert Woody Allens Haltung zum Business Hollywood. Als er 1978 dafür mit vier Oscars ausgezeichnet wird, spielt er wie jeden Montag in seinem Stammpub Klarinette. Hollywood ist auch künstlerisch kein Vorbild. Er orientiert sich an europäischen Vorbildern. Mit Innenleben, September oder Eine andere Frau liefert er Charakterstudien mit Großaufnahmen von sprachlosen Figuren in verstörenden (Bild)räumen voller Leere, bei Letzterem arbeitet er mit Sven Nykvist zusammen, dem Kameramann seines Favoriten Ingmar Bergman.

Harry außer sich experimentiert mit Jump Cuts und dekonstruktivistischer Formsprache, inspiriert durch die russische Avantgarde. Mit Stardust Memories zollt er Federico Fellini Respekt. Sein schönster Schwarzweiß-Film ist aber Manhattan.  Eine Ode an den Big Appel, eröffnet durch urbane Impressionen, untermalt von George Gershwins rhapsodischen Klängen. New York war seine Stadt, blieb es aber nicht immer. Allen Steward Konigsberg, so der bürgerliche Name Allens, wurde 1935 in der Bronx geboren. Mit 16 Jahren bessert er sein Taschengeld als Gagschreiber auf, entwickelt als Stand up-Comedian seine Paraderolle als neurotischer, tollpatschiger Intellektueller, verfasst Theaterstücke und erlangt mit Bananas, Der Schläfer oder der Posse Was sie schon immer über Sex wissen wollten in den 1970er Jahren ein Renommee als Macher schräger Slapstickstreifen.

Die letzte Nacht des Boris Gruschenko ist erstmals auch von einem düsteren, melancholischen Grundton durchwirkt, der Allens Schaffen bis in die 1980er dominiert. Der Stadtneurotiker, seine erste Zusammenarbeit mit Kameramann Gordon Willis, lebt von einer völlig neuen bildästhetischen und narrativen Form. Darsteller wenden sich direkt an den Zuschauer, heimliche Gedanken werden während eines Gesprächs als Untertitel eingeblendet.

An einer Stelle zerrt Alvy Singer, wieder gespielt von Allen selbst, Medientheoretiker Marshall McLuhan hinter einer Wand hervor. Mit Zelig, Hannah und ihre Schwestern und Verbrechen und andere Kleinigkeiten wendet er sich wieder Elementen der Komödie zu und brilliert mit Beziehungs-geschichten. Männer und Frauen – dieses Thema ist der rote Faden, der sich durch alle seine Werke zieht.

Die 1990er sind eher eine lockere Phase in Allens Oeuvre. Trotz Mord (Manhattan Murder Mystery), Dramatik mit einem griechischem Chor (Geliebte Aphrodite) oder Hollywood-Satire (Celebtrity) sind die Filme in dieser Zeit leicht, ohne aber seicht zu sein. Danach verschlägt es Allen nach London, wo er 2005 mit Match Point seinen ersten Thriller und komplett ernsten Film verwirklicht, der von Publikum und Kritik gleichermaßen bejubelt wird. Filmisch verweilt er dort, bevor er den Rest Europas für sich entdeckt.

Er inszeniert einen flotten Dreier in Barcelona, feiert die Roaring Twenties um Mitternacht in Paris und sendet Liebesgrüße aus der ewigen Stadt. Zwischendurch platziert er sein zynischstes und gleichzeitig lebensbejahendstes Werk Whatever Works, wo er Seinfeld-Schöpfer Larry David seine Rolle einnimmt.

Mehr als 40 Filme hat er bis jetzt gemacht, bei der Mehrzahl ist er Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller in Personalunion und ist damit eine der produktivsten Persönlichkeiten der Filmgeschichte. Doch Allen bleibt bescheiden, dreht hoffentlich auch mit über 80 Jahren noch jedes Jahr einen weiteren Film und spielt jeden Montag Klarinette.

Erschienen in:  Werner / Bothmann, Nils (Hrsg.): Schüren Filmkalender 2015, Schüren Verlag 2014.

Interview mit Lars Henrik Gass, Festivalleiter der Kurzfilmtage Oberhausen (2016)

Maxi Braun: Herr Gass, Sie sind seit fast 20 Jahren Festivalleiter der Oberhausener Kurzfilmtage. Wird es langsam langweilig?
Lars Henrik Gass: Mir nicht. Es sind ja auch jedes Jahr andere Filme und im Gegensatz zum Langfilm ist die Szene viel stärker in Bewegung. Man hat es in den Wettbewerben jedes Jahr zu 50 % mit Menschen zu tun, von denen man vorher noch nie etwas gehört hat. Das hält uns auch selbst jung.

Wie haben sich in den letzten 20 Jahren die Herausforderungen an Festivals insgesamt verändert?
Sehr stark und auf mehreren Ebenen. Zum einen sind da die technischen Herausforderungen, da müssen wir Schritt halten mit der Entwicklung. Wir haben vor Jahren die Online-Einreich-Plattform reelport.com eingerichtet, die mittlerweile unabhängig ist, aber noch immer unsere Online-Einreichungen verwaltet.
Zum anderen hat sich das Freizeitverhalten, auch durch die Digitalisierung, verändert. Die Menschen sind es gewohnt, Angebote im Internet wahrzunehmen und sie bewegen sich nicht mehr so gerne vor die Tür. Wir haben daher versucht, die Qualitäten einer Live-Erfahrung durch bestimmte Maßnahmen zu stärken. Wir merken, dass wir heute weitaus mehr tun müssen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es reicht heute einfach nicht mehr, ein Festivalmagazin auszulegen. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass sowas im Überangebot von Freizeitaktivitäten unterzugehen droht. Man muss sich schon im Vorfeld der Veranstaltung Gedanken machen, wie man Zielgruppen erreicht, diese pflegt und wer überhaupt Zielgruppe sein könnte. Das beschäftigt uns vielmehr als noch vor 20 Jahren. Wir arbeiten im Team aber auch schon fast genauso lange zusammen und das führt zu einem gemeinsamen Lernprozess. Das schärft die Sinne, wir schauen genauer hin und können Dinge besser verändern. Für Festivals besteht aber nach wie vor eine realistische Perspektive auf dem Freizeitmarkt zu bestehen, sofern sie ihre sinnlichen Qualitäten weiterentwickeln und stärken, statt diese abzubauen.

Gibt es besondere Herausforderungen für die Kurzfilmtage?
Die Kurzfilmtage stehen nach 60 Jahren in einer völlig anderen Tradition. In den 50er Jahren war noch nicht einmal das Fernsehen verbreitet, geschweige denn dass jemand an etwas wie das Internet gedacht hat. Es gab zu diesem Zeitpunkt außer Oberhausen deutschlandweit nur zwei weitere Filmfestivals, in Berlin und Mannheim. Im Bereich des Kurzfilms hatte Oberhausen eine Alleinstellung, was nicht mehr der Fall ist. Heute muss man sich genau überlegen, wie man sich von „Mitbewerbern“ unterscheidet. Das habe ich aber nie als Druck erlebt sondern als Chance, besser zu verstehen, was wir hier tun.

Was sind denn die die sinnlichen Qualitäten eines Festivals, speziell in Oberhausen?
Das verbinde ich jetzt nicht unmittelbar mit der Stadt sondern mit der Frage, wie etwas präsentiert wird. Das beginnt schon mit den Gedanken, die man sich über die Haptik der Druckerzeugnisse macht. Indem man sich zum Beispiel fragt, wie sich der Katalog anfühlt. Das ist eine sehr bewusste Entscheidung, die auch immer mit der Geschichte der Gegend und mit der Stahlproduktion zusammenhängt. Es macht eine bestimmte Ästhetik erforderlich und formt unsere Identität. Sinnliche Qualität bezieht sich auch auf die Projektion und die Performance, auf deren Qualität wir sehr viel Wert legen. Alles soll auf der Leinwand möglichst schön und gut aussehen, damit es dann auch eine Alternative dazu ist, sich einen Film auf einem Smartphone anzuschauen.
Hinzu kommt der soziale und kollektive Aspekt. Es ist interessanter, sich gemeinsam mit anderen Menschen Filme anzusehen. Und zwar nicht mit fünf anderen im kommunalen Kino, sondern mit 400 Zuschauern, die alle sehr leidenschaftliche Reaktionen auf etwas zeigen. Das ist eine besondere Erfahrung, die man Zuhause nicht machen kann.
Außerdem machen wir vieles, was man im Internet oder auch im Team nicht nachstellen kann. Das geht bei Diskussionen los, über Live-Veranstaltungen, Performances und Lesungen bis hin zum Barbesuch am Abend wo Musik gespielt wird. Das ist für mich auch ein energetischer Raum, eine Gemengelage aus ganz unterschiedlichen Sinneseindrücken, die auch intellektuelle Impulse bietet. Alles zusammen ergibt dann eine Erfahrung, die man hier erleben kann, wenn man sich dem über einen gewissen Zeitraum auch aussetzt.

Das gilt auch für Langfilmfestival. Was kann denn der Kurzfilm besser als der Langfilm?
Der Kurzfilm hat leider einen kleinen Marktnachteil in 99 % der Fälle, weil er nicht mit großen Namen aufwartet. Das ist aber auch ein Vorteil. Die Konventionen und der Druck des sogenannten Filmmarkts lasten nicht auf dem Kurzfilm. In ihm kann sich deshalb die kinematographische Sprache immer wieder freier erneuern.
Natürlich gibt es auch im Kurzfilm Konventionen und Leute die versuchen, sich in 15 Minuten für den nächsten Tatort zu qualifizieren. Das geht auch in Ordnung, aber ist nicht unbedingt das, was wir hier zeigen müssten. Ein anderer Vorteil des Kurzfilms ist, dass man ihn interessant programmieren kann. Wenn ich mir einen Langfilm anschaue, egal welchen Genres, ob Doku oder Spielfilm, habe ich in 90 Minuten einen bestimmten Entwurf, mit dem ich als Zuschauer klarkomme oder eben nicht. In einem Kurzfilmprogramm bin ich mit ganz unterschiedlichen kulturellen Fragestellungen und Sichtweisen verschiedener Geschlechter beschäftigt. Wir versuchen in der Regel, auch wenn es nicht immer gelingt, die Programme so zu bauen, dass diese Erfahrung möglich wird und das ganze Programm dann auch wiederum als Einheit erlebt werden kann. Auch wenn die Filme nie so gedacht waren, dass sie als Einheit gezeigt werden.

Kuratieren Sie die Programme also bewusst als ästhetische, geografische oder thematische Einheit?
Ich würde das nicht als kuratieren bezeichnen, der Begriff wird zu inflationär gebraucht. Wir achten lediglich darauf, dass sich die Filme nicht gegenseitig Schaden zufügen sondern ihren eigenen Raum entfalten können. Anders als es oft bei der kuratorischen Praxis der Fall ist, geht es uns nicht darum, selbst eine künstlerische Handschrift erkennbar werden zu lassen. Unser Ziel ist es, die künstlerische Handschrift der Filme unverstellt erleben zu können.

Die Kurfilmtage zeigen 550 Filme, mehr als auf der Berlinale gezeigt werden…
…in der Hälfte der Zeit!

Wie findet man sich da als Besucher am besten zurecht?
So ein Festival ist ein gefährlicher Ort. Es besteht immer die Möglichkeit eines Missgriffs. Gerade auf einem Festival wie unserem, bei dem die Zuschauer wenig Orientierung haben. Auf Langfilmfestivals kennt man meist wenigstens die Schauspieler oder Filmemacher. Das ist bei uns in der Regel nicht der Fall. Der Zuschauer ist bei uns relativ verloren und auf dieses Risiko muss man sich schon einlassen. Es gibt aber Hilfestellungen. Wer sich beispielsweise für Musik interessiert, schaut sich die MuVi-Sektion an. Bei Interesse für verschiedene Regionen kann man sich, zum Beispiel anhand des Katalogs, ebenfalls gut orientieren. Aber ein Risiko bleibt es trotzdem. Bei einem Festival dieser Größenordnung kommt hinzu, dass man ein gewisses Spektrum des Publikums abdecken will. Innerhalb des spezialisierten Fachpublikums gibt es schon viele divergente Ansprüche: von dezidiert künstlerischen bis zu dem Wunsch, Filme auch für Kinder auswerten zu können. Aber auch das breite Publikum kommt mit für uns schwer kalkulierbaren Interessen.

Das Thema beschäftigt sich diesmal unter dem Motto „El pueblo“ mit dem lateinamerikanischen Film. Worum geht es?
Zu dem Begriff „el pueblo“: Wir behalten den Begriff im spanischen Original bei, weil er eine physische Einheit von der kleinsten Hütte über größere soziale Gruppen bis hin zum ganzen Volk umfasst. Dafür gibt es im Deutschen keine Analogie. Der Begriff des Volkes ist in Lateinamerika nicht so vorbelastet wie bei uns. Aber auch hierzulande gibt es eine längere Begriffsgeschichte über das Dritte Reich hinaus. Zum Beispiel als Ruf bei Demonstrationen in der DDR vor dem Fall der Mauer, aber in jüngerer Vergangenheit auch in rechtspopulistischer Umdeutung, wenn der Ausruf „Wir sind das Volk“ vor Asylbewerberheimen rassistisch vereinnahmt wird.
Im Begriff „el pueblo“ schwingen viele Bedeutungen mit. Was uns dabei interessiert ist eine Begriffsschärfung: Wer betrachtet sich unter welchen Umständen eigentlich als Volk und transportiert das auch?

Gibt es den lateinamerikanischen Film denn überhaupt?
Das ist eine völlig berechtigte Frage. Das wäre so, als würde man von dem europäischen Film sprechen. In Lateinamerika waren anders als in Europa in den späten 60er bis in die 80er Jahre fast durchweg Militärdiktaturen an der Macht, die das Volk unterdrückt haben. Im Grunde sprechen wir über post-diktatorische Gesellschaften, die eine traumatisierende Erfahrung verbindet, die verarbeitet werden muss. Auch im künstlerischen Bereich wurden darauf Antworten gefunden und daher unterscheidet sich in Filmen aus Lateinamerika auch die Ästhetik und die Art, wie über politische Themen nachgedacht wird, stark von unserer eigenen.
Man darf aber nicht vergessen, dass es in Europa auch vor dem Dritten Reich faschistische Regime in Ungarn oder Italien gab. Im Grunde kann man vielleicht doch über diesen historischen Zeitpunkt nach 1945 in Europa ähnliches sagen. Der neorealistische Film ist ja auch eine Reaktion gewesen auf das Vierteljahrhundert der Diktaturen in Europa.

Gibt es auch neue Sektionen bei der 62. Ausgabe?
Die „Positionen“ sind neu und reflektieren zweierlei. Erstens die über die Jahre entwickelte Fragestellung, wie Film und Kunst in ein Verhältnis treten und welchen Platz die Kurzfilmtage dabei einnehmen wollen. Wir sind nicht Teil des Kunstbetriebs, sondern nehmen eine Beobachterrolle ein. Zum anderen interessiert bei dieser Sektion die Frage, welche Kriterien bei der Präsentation von Filmen im Kunstbetrieb – im Bereich der Privatgalerie, des öffentlichen Museums und der Privatsammlung – angewandt werden. Diese Bereiche wollen wir in Resonanz zueinander bringen. Deshalb werden die Programme dieser Sektion auch alle an einem Tag gezeigt, damit eine kritische Auseinandersetzung darüber entsteht, wie diese filmischen Arbeiten präsentiert werden. Ob und wie das funktioniert, vermag ich noch nicht zu sagen.

Wie wird das praktisch aussehen?
Dort werden Werke bzw. Ausschnitte aus den Beständen und Sammlungen gezeigt, wobei die Kuratoren durchaus frei sind in der Art und Weise, wie sie etwas präsentieren. Man kann sich das eher wie einen Vortrag mit Filmbeispielen vorstellen.

Der Anteil von Filmemacherinnen beträgt bei den Kurzfilmtagen 50%. Ist das das Resultat einer internen Frauenquote oder Zufall?
Das ist reiner Zufall. Bevor wir eine Auswahl in den Wettbewerben festlegen, diskutieren wir auch solche Aspekte. Sollte es so sein – was nicht der Fall war – dass Frauen massiv unterrepräsentiert wären, dann würden wir möglicherweise eingreifen und die Auswahl nochmal hinterfragen. Das war aber gar nicht nötig.
Ich selbst bin kein Anhänger der Frauenquote aus mehreren Gründen, auch wenn es als Mann schwierig ist darüber zu sprechen. Da wir überhaupt keine Mühe haben, gute Filme von Frauen zu finden, verstehe ich auch nicht, wo das Problem ist. Ich kenne außerdem eine Menge Frauen, die auch im Langfilm beachtliche Erfolge feiern. Zum Beispiel Andrea Arnold. Sie war jetzt wieder in Cannes und wir hatten sie gleich zweimal im Wettbewerb. Auch international setzen sich also Frauen durch, aus Gründen die ich und vielleicht auch sonst niemand kennt. Das über eine Quote zu regeln finde ich schwierig, denn es hat letztlich mit künstlerischem Vermögen zu tun. Das ist etwas anderes, als wenn es um Vorstandsposten geht.

Zuerst erschienen in: trailer 05/16, online unter: www.trailer-ruhr.de