Filmkritik: „Waldheims Walzer“ legt spannend montiert wie ein Politthriller die Mechanismen von Fake News und Populismus offen.
Geschichte wiederholt sich nicht. Bestimmte gesellschaftliche Muster schon, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Seit 2015 sind es anti-muslimische Ressentiments, mit denen rechte Bewegungen und Parteien in Österreich, Ungarn oder Deutschland gegen Geflüchtete und Migrantinnen mobilisieren. Als Ex-UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidierte, waren es längst überwunden geglaubte antisemitische Vorurteile, die plötzlich wieder laut ausgesprochen wurden. Es sind vor allem jene Szenen in „Waldheims Walzer“, die offenen Antisemitismus in den Straßen Wiens Ende der 1980er dokumentieren, die uns daran erinnern, wie dünn die Membran ist, die unsere demokratische Zivilisation umgibt. Während des Wahlkampfs traten Lücken in der Kriegsbiografie Waldheims zwischen 1941 und 1945 zutage, die dieser nicht erklären konnte und wollte. Österreichische Medien und der Jüdische Weltkongress in New York recherchierten und legten Beweise vor, dass Waldheim im Zweiten Weltkrieg mehr gesehen und getan hatte, als er öffentlich zugab. Konfrontiert mit Vorwürfen zu seiner Beteiligung bzw. Mitwisserschaft an NS-Kriegsverbrechen, verstrickte er sich in Widersprüche. Er inszenierte sich als Opfer einer Verschwörung und zog sich auf die Position soldatischer Pflichterfüllung zurück. Es kam zu heftigen Protesten gegen Waldheim, andererseits schien er vielen Österreicherinnen aus der Seele zu sprechen. Die Vorwürfe gegen ihren Kandidaten empfanden sie als ungerechtfertigte Einmischung von außen und standen gemäß dem Motto „Jetzt erst recht!“ umso vehementer hinter ihm.
Fesselnder Politkrimi. Dokumentarfilmerin Ruth
Beckermann erzählt diese Ereignisse, die als „Waldheim-Affäre“ in die
Geschichte eingegangen sind, chronologisch zuspitzend wie einen
Politthriller. Die Wienerin war 1986 selbst „halb dokumentierend, halb
demonstrierend“, wie sie im Film erwähnt, vor Ort an den
Anti-Waldheim-Protesten beteiligt. Auf eine historische Rückschau mit
klassischen Talking Heads verzichtet sie bewusst. Stattdessen kompiliert
sie ihr eigenes Filmmaterial und solches, das sie in akribischen
Recherchen in den Archiven des ORF sowie in den USA, Großbritannien und
Israel aufspüren konnte. Derart verdichtet liefert sie nicht nur eine
Analyse der Affäre und eines Generationenkonfliktes, sondern legt auch
die Charakterstudie eines für seine Generation typischen Mannes vor.
Für „Jenseits des Krieges“ (1996) interviewte Beckermann Besucher*innen
und Zeitzeug*innen auf der viel diskutierten Wehrmachts-Ausstellung
unter direktem Eindruck der Exponate, um individueller Erinnerung
nachzuspüren. In „Waldheims Walzer“ geht es ihr dagegen um kollektive
Verdrängung und die Rekonstruktion von Vergangenheit. Das von Editor
Dieter Pichler in perfektem Rhythmus montierte Bildmaterial bringt in
Kombination mit dem Off-Kommentar der Regisseurin Objektivität und
Subjektivität, aber auch Vergangenheit und Gegenwart in ein fesselndes
Spannungsverhältnis. So behandelt der Kompilationsfilm zwar ein
abgeschlossenes historisches Ereignis, ist aber zugleich ein Lehrstück
über die universellen Mechanismen von Fake News, Populismus und das
Schüren von Ressentiments. Diese waren auch schon vor Social Media
wirkmächtig und sie sind es noch heute. 2018 denkt dabei niemand mehr an
Waldheim. Dafür aber an Trump, Orban oder die menschenverachtenden
Ausfälle der FPÖ oder AfD.
Beginn historischer Aufarbeitung. Kurt Waldheim wurde in einem zweiten Wahlgang dennoch gewählt. Aber der „Österreicher, dem die Welt vertraut“ blieb während seiner gesamten Amtszeit international isoliert und landete 1987 sogar auf der Watchlist der USA für mutmaßliche Kriegsverbrecher. Die Waldheim-Affäre markierte jedoch den Beginn eines Aufarbeitungsprozesses: Die bis dato gültige und für viele Österreicher* innen bequeme Lebenslüge, ihr Land sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen, wurde erstmals kritisch hinterfragt. Ein wichtiger Film über eine historische Zäsur, der viel über unsere Gegenwart aussagt und beweist, wie viel gesellschaftlicher Druck bewirken kann.
Erschienen in: an.schläge 2018, an.sehen, Kultur, VII / 2018 (Print)
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