Kompost oder Krematorium?
Als meine Mutter Mitte 2019 verstarb, stellten mein Bruder und ich schnell fest, welche Strategie der Trauerarbeit sie für uns vorgesehen hatte: Möglichst wenig vorab regeln, damit wir ordentlich zu tun haben und abgelenkt sind. Mit dieser Taktik ist sie nicht allein. Nur wenige Menschen in Deutschland planen ihre eigene Beerdigung bisher akribisch. Aber die Kulturtechnik des Sterbens und Trauerns wandelt sich seit einigen Jahren und öffnet so neue Spielräume.
Nach NRW-Bestattungsrecht – denn Tod ist in Deutschland Ländersache – muss spätestens innerhalb von zehn Tagen eine Erd- oder Feuerbestattung erfolgen. Die Anzahl der Erdbestattungen sind deutschlandweit rückläufig, wohl auch, weil die Einäscherung weit mehr Möglichkeiten bietet: Die Asche kann ihre letzte Ruhe klassisch auf einem Friedhof im Grab oder einem Kolumbarium (Urnenwand), in biologisch abbaubarer Urne auf einem der zahlreichen Wald- und Naturfriedhöfe oder auf offener See finden. Gesetzlich verboten ist aufgrund des Bestattungszwangs zwar die Aufbewahrung der Asche zuhause. Das kann aber durch die Überführung des Leichnams in die Schweiz (zur Transformation in einen Diamanten) oder in die Niederlande (zur späteren Aushändigung an die Angehörigen) umgangen werden.
Die Firma Celestis hilft seit 20 Jahren dabei, irdische Gefilde im doppelten Sinne zu verlassen: Teile der Asche können einmal um die Erde kreisen und bei Wiedereintritt verglühen, oder gleich an Bord einer wissenschaftlichen Mission ohne Rückfahrkarte ins All aufbrechen. Die Kosten liegen hierfür zwischen 2.495 und 12.500 US-Dollar, exklusive der dazu vorab nötigen Überführung der Asche in die USA. Der gegenläufige Trend zu solcher Extravaganz liegt im individuell gestaltbaren, nachhaltigen Pappsarg. Ob sich noch ökologischere Verfahren wie die Promession, bei der ein in Stickstoff gekühlter Leichnam zerbröselt und dann kompostiert wird, oder die Resomation (Auflösen in alkalischer Lauge) angesichts hiesiger Trauerkultur durchsetzen werden, ist fraglich. Wer sich über den Tod hinaus nützlich machen will, kann sich selbst als Körperspende auch der Wissenschaft vermachen.
Den Trend zur Individualisierung spiegeln neben der Beisetzungsform auch Trauerfeiern wider. Die klassische Beerdigung mit religiösem oder weltlichem Redner am offenen oder geschlossenen Sarg koexistiert neben der stillen Andacht mit Musik und reicht bis zur ganz freien Form: Da läuft die Fotoslideshow auf großer Leinwand, bevor die Harley den Sarg zum Grab fährt, wo die Enkel mit der Sandkasten-Schaufel helfen, Omma einzubuddeln. Was kritisch betrachtet nach Trauer als Event klingt, lockert andererseits auch die starren Riten. Angesichts der noch immer herrschenden Sprachlosigkeit rund um das Thema dürfte ein kreativerer Umgang mit dem Tod als Teil des Lebens unserer Gesellschaft eher nützen als schaden. Dem Tod als großem Gleichmacher widerspricht das nicht. Die Wahl von Sarg und Grabgestaltung war schon immer eine Frage der Finanzen und auch ein überlebensgroßer Marmorengel ändert nichts daran, dass wir alle sterben werden.
Mein Bruder und ich entschieden uns für eine stille Andacht mit Musik und anschließender Erdbestattung. An einem kalten, sonnigen Totensonntag 2019 trafen wir uns am noch kahlen Grab wieder. Im Sommer werden dort Lavendel und Schmetterlingsflieder blühen und Insekten glücklich machen. Wir stießen unsere Bierflaschen an den schlichten Naturstein und tranken auf meine Mama in der Überzeugung, dass ihr das gut gefallen hätte.
Dieser Text erschien im engels-Magazin 01/20 und online auf www.engels-kultur.de
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