Sexualtherapeutin Silke Niggemeier über BDSM als erotische und sexuelle Praxis

Wann und wo beginnt die Geschichte von SM?
Silke Niggemeier
: In der Moderne und der westlichen Welt liegen die Ursprünge in der schwulen Leder-Bewegung in den USA der 1960er Jahre. Deswegen sind auch viele Begriffe aus dem Englischen übernommen worden. BDSM – was SM detaillierter beschreibt – steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Darüber hinaus besteht eine historische Verbindung zur AIDS-Hilfe, mit der auch heute noch viele SM-Stammtische kooperieren. Abgesehen davon ist SM schon seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kultur, wie Quellen belegen.

Was muss bei Erotik und Sexualität im SM-Bereich beachtet werden?
Der Grundpfeiler ist Respekt. Danach kommt ein Credo, das auch aus der Leder-Schwulenbewegung stammt. Es lautet: Safe, Sane and Consensual, kurz SSC. Also sicher, bei geistiger Gesundheit und einvernehmlich. Mit Sicherheit ist dieselbe Sicherheit gemeint, die auch bei jedem anderen Date gilt. Wer sich als Top [dominanter Part, Anm. der Redaktion] oder als Sub [sich unterwerfender Part] in eine Spielsituation begibt und nicht dafür sorgt, dass er abgesichert ist, hat ein Problem mit Sicherheit ganz allgemein. Auch hier gilt: „Trau, schau wem!“

Wie sieht so eine Absicherung aus?
Indem mich eine dritte Person covered. Dazu informiere ich vorher diese Person darüber, wo ich hingehe und melde mich auch wieder ab, wenn alles vorbei ist. Damit ist sichergestellt, dass ich aus einer Spielsituation gesund herauskomme. Meine Kontaktperson kann auch zwischendurch anrufen und fragen, ob alles ok ist. Da kann dann ein Codewort vereinbart werden. Zum Beispiel: Wenn ich „Hey Mama“ sage, weiß mein Kontakt, dass ich Hilfe benötige. Außerdem kann man sich erst mal in der Öffentlichkeit treffen, etwa beim Stammtisch. Da kann ich auch beobachten, wie der/die gewünschte Partner*in auf bestimmte Themen reagiert und ob er oder sie überhaupt öffentlich in Erscheinung tritt, das eigene Gesicht zeigt. Prinzipiell ist jeder One-Night-Stand, bei dem Fremde miteinander Vanilla-Sex haben – also Sexualität ohne SM – ebenso riskant.

Über die Praxis hinaus, was unterscheidet SM noch von „Vanilla“-Sex?
Zum SM gehört mehr als zu jeder anderen Art von Sexualität oder Erotik Kommunikation. Reden, reden, reden! So schrecklich die „Fifty Shades of Grey“-Bücher sind, dort gibt es einen Vertrag zwischen dem Top und dem Sub. Solche Verträge, die die Regeln einer Spielsituation oder Beziehung beschreiben, gibt es tatsächlich, sie sind jedoch nicht rechtlich bindend. Im Internet finden sich unzählige Varianten davon und ich rate gern dazu, sich mit so einem Vertrag mal hinzusetzen und diesen als Basis für ein Gespräch zu nehmen, was die Partner voneinander wollen, brauchen und was eben gar nicht infrage kommt.

Ist der machtvolle Manager privat eher unterwürfig oder ist das nur ein Klischee?
Ich glaube, dazu gibt es keine Zahlen. Es ist ein Klischee, aber vielleicht nicht ohne Grund. Es gibt bestimmt den Manager, der sich auspeitschen lässt. Genauso wie es im Alltagsleben dominante Männer gibt, die auch in ihrem Sexualleben dominant sind. Ich kenne tatsächlich mehr Frauen in Verantwortungspositionen als Männer, die im SM Sub sind. Männer sind oft im Alltag ähnlich positioniert, wie in ihrer erotischen Rolle. Auch hier besteht ein Kontrast. Es sind meist sehr toughe Frauen, auf ihre Art Managerinnen, mit Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit, die im Alltag ständig ihren Mann stehen müssen und sich dann im privaten SM-Bereich fallen lassen können. Es ist der Spaß am Rollentausch, der selbst gewählt ist und daher als befreiend empfunden wird. Das ist für mich eine sehr emanzipierte Form von Erotik, bei der ich selbst entscheide, wann ich mich zum Spaß als „kleines Weibchen“ unterwerfe und wann ich in meinen Alltag zurückkehre, stark bin und mein Leben regiere.

Was ist mit Dominas?
Da muss zwischen klassischen Dominas und sogenannten Bizarr-Ladies unterschieden werden. Letztere haben meist auch sexuellen Körperkontakt. Klassische Dominas haben den mit ihren Kunden nicht. Da gibt es sehr tolle Frauen, die Workshops anbieten, Vorträge halten, hervorragend vernetzt sind und das privat leben. Gute Dominas benötigen viel Empathie, psychologische Grundkenntnisse und medizinisches Fachwissen um die menschliche Anatomie. Diese Kompetenzen einer guten Domina sind jeden Cent wert.

Das ungekürzte Interview ist zuerst erschienen auf trailer-ruhr.de.

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Ich bin dagegen: Besser unterstützen als boykottieren

Hoffen wir, dass das nur wieder eine seiner Phasen ist. So wie Ende der 1990er Jahre, als sich Daniel Day-Lewis für fünf Jahre aus dem Filmbusiness zurückzog, um sich in Italien dem Schuhhandwerk zu widmen. Denn der einzige Schauspieler, der bisher drei Academy Awards als bester Hauptdarsteller in Empfang nehmen durfte („Mein linker Fuß“, „There Will Be Blood“ und „Lincoln“), will seine Karriere nun beenden. Sein Abschiedsfilm soll „Der seidene Faden“ sein, in dem er an der Seite von Vicky Krieps einen Designer im London der 1950er Jahre spielt. Regisseur Paul Thomas Anderson versucht sich hier auch erfolgreich als Kameramann und schafft ein Werk voll altmodischer Eleganz und visueller Perfektion, zugleich unser Film des Monats.

Ein eher unfreiwilliges Karriere-Aus ereilt gerade Kevin Spacey. Im Strudel der #MeToo-Welle wurde er nicht nur aus der Netflix-Erfolgsserie „House of Cards“ geschmissen. Ridley Scott schnitt ihn zudem kurz vor der Premiere in einem Gewaltakt aus seinem neuen Werk „Alles Geld der Welt“, ersetzte ihn kurzerhand durch Christopher Plummer. An der Frage, ob solch statuierte Exempel etwas an der Situation von Frauen (und Männern, wie die Vorwürfe gegen Spacey zeigen) in Filmbranche und Gesellschaft ändert, scheiden sich die Geister, genauso wie an den prominentesten Beispielen Woody Allen und Roman Polanski. #MeToo hat den Kreis jetzt radikal erweitert, in Deutschland zum Beispiel um Dieter Wedel. Drei Ex-Schauspielerinnen werfen ihm im ZEIT Magazin sexuelle Nötigung vor. Dürfen Meilensteine des Kinos wie Allens „Manhattan“ oder Polanskis „Der Pianist“ trotz der gegen ihre Regisseure erhobenen Vorwürfe weiterhin gezeigt, geguckt und gemocht werden?

Sollten wir AutorIn und Werk nicht trennen? Wer entscheidet darüber, ob Vorwürfe stimmen, wenn Aussage gegen Aussage steht und die meisten sexuellen Übergriffe nie juristisch verhandelt werden? Welche/r KonsumentIn will da prophylaktisch boykottieren oder sich gar zum Richter aufschwingen? Hinzu kommt, dass erfolgreiche Boykotte niemals nur Einzelpersonen treffen, denn Film ist immer Teamwork. Und schert sich Hollywood überhaupt um das deutsche Publikum, das im Europavergleich eher kinofaul ist?

Ich habe darauf keine abschließende Antwort. Sinnvoller wäre es, bewusst Filme von Regisseurinnen und solche mit starken Frauenfiguren zu supporten. Im Februar zum Beispiel Barbara Alberts Historiendrama „Licht“, das sich der blinden Wiener Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis widmet. Diese lebte zwar im 18. Jahrhundert, das Biopic funktioniert bei Albert aber auch als Emanzipationsgeschichte einer Frau mit Behinderung. Oder der Rache-Western „Marlina – Die Mörderin in vier Akten“, der schon im Januar gestartet ist. Die indonesische Regisseurin Mouly Surya erobert damit eines der männlichsten Genres überhaupt. Titelheldin Marlina kann es nicht nur mühelos mit John Wayne aufnehmen, sondern wäre auch in einer Girls-Gang mit Beatrice Kiddo oder Shoshanna Dreyfus gut aufgehoben. Statt sich von vier Verbrechern ausrauben und vergewaltigen zu lassen, setzt sie sich zur Wehr und mutiert mit einem Kopf unter dem Arm zur Heroine aller unterdrückten Frauen Indonesiens. Nicht nur ein feministischer, auch ein cinematographischer Genuss und eine Abwechslung von den Sehgewohnheiten des westlichen Kinos.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 02/18 und online auf:
www.trailer-ruhr.de
Zur Online-Veröffentlichung.

Das Recht zu schreiben – Good Girls Revolt

Schreibmaschinen-Stakkato, auf Papier kritzelnde Bleistifte, klingelnde Telefone, klackernde Wählscheiben und Telexmaschinen: Schon die ersten Einstellungen von „Good Girls Revolt“ kreieren ein Gefühl wohliger Nostalgie aus einer Zeit, als Journalismus noch ein Handwerk und Recherche mehr als eine Wikipedia-Stippvisite war.

Die Sequenz zeigt die Redaktion der New Yorker Zeitschrift „News of the Week“ 1969. Draußen auf der Straße wird für den Frieden und gegen den Vietnamkrieg protestiert, Malcolm X und Martin Luther King sind bereits ermordet worden, die Schwarze Bürgerrechtsbewegung wehrt sich gegen die seit dem Civil Rights Act 1964 gesetzlich illegale Diskriminierung…

Zum vollständigen Text auf www.missy-magazine.de

 

„Perspective Daily“ bietet konstruktiven Netz-Journalismus (Portrait)

Die Welt ist noch zu retten

Medien sind – und das nicht erst seit dem Digitalzeitalter – unser Zugang zu Informationen und somit zu der Welt, die uns umgibt. Die Art, wie und worüber sie berichten, prägt das Bild mit, das wir uns von der Welt, der Gesellschaft und unserer eigenen Position darin machen.

Wer eine Nachrichtensendung einschaltet oder Zeitung liest, kennt das Gefühl: Terroranschlag, Flutkatastrophe, Waldbrand, Unfälle und Krieg sind uns zur Gewohnheit geworden. Für die komplexen Probleme unserer Zeit scheint es keine Lösungen mehr zu geben. Daraus folgt nicht selten ein Gefühl der Ohnmacht, die wiederum in Resignation mündet. Warum also nicht einfach mit K.I.Z.s „Wir sitzen im Atomschutzbunker, Hurra, diese Welt geht unter“ auf den Lippen der unabwendbaren Apokalypse harren?

Dieser „erlernten Hilflosigkeit“, ein aus der Psychologie entlehnter Begriff zur Erklärung depressiver Erkrankungen, möchte das Gründer-Trio von „Perspective Daily“ etwas entgegensetzen. Maren Urner und Bernhard Eickenberg kennen sich bereits seit der Schulzeit, der gebürtige Niederländer Han Langeslag stieß 2007 dazu. Mit ihrem Crowdfunding Projekt wollen die drei promovierten Naturwissenschaftler das erste deutsche Online-Medium für Konstruktiven Journalismus starten.

„Von der Idee bis zur 180°-Wendung von der Wissenschaft zum Journalismus war es ein längerer Prozess“, erklärt Han Langeslag, der wie die beiden anderen Gründungsmitglieder nicht mehr in der Forschung tätig ist, sondern sich vollständig auf das Projekt konzentriert. „Der Konstruktive Journalismus ist mittlerweile eine internationale Bewegung und vor kurzem wurde der erste Lehrstuhl für das Thema in den Niederlanden besetzt. In Deutschland fehlt es bisher an einer Stimme, die Mut macht und die Menschen aktiv dazu auffordert, in die Debatte einzusteigen“.

Bereits erfolgreiche Projekte im Ausland, z.B. De Correspondent in den Niederlanden, das Constructive Journalism Project und Positive News in Großbritannien oder das Solutions Journalism Network in den USA dienten dabei als Inspiration.

Angelehnt ist das Konzept an die Positive Psychologie. Diese formierte sich seit den 1980er Jahren als Gegenpol zur auf Defizite gerichteten Psychologie, analysiert auch Gefühle wie Glück und Optimismus. Mit Themen wie Flüchtlingssituation, Klimawandel, Islamismus und EU-Zusammenhalt auf der Agenda von Perspective Daily ist klar, dass der Fokus nicht auf positive Nachrichten verengt werden soll. Probleme sollen sichtbar gemacht und klar benannt, aber nicht als gegeben und unumkehrbar dargestellt werden. Im Aufzeigen neuer Perspektiven und der lösungsorientierten Berichterstattung liegt der Hauptunterschied zum klassischen Journalismus.

Angst vor Fachjargon und Schachtelsätzen müssen die LeserInnen nicht haben. „Die Artikel richten sich an Menschen, die mitdenken. Wissenschaftliche Themen wie z.B. die Energiewende werden herunter gebrochen, so dass sie auch ohne Vorkenntnisse verständlich sind. Wir wollen die Leser bei der Hand nehmen“, ermuntert Han Langeslag künftige LeserInnen und Mitglieder.

Diese Art der Berichterstattung erfordert genau wie die klassische Berichterstattung das journalistische Handwerkszeug. Gründliche, investigative Recherche soll den Artikeln auf Perspective Daily ebenso als Basis dienen wie Forschungsergebnisse oder soziologische Studien. Nah an der wissenschaftlichen Arbeitsweise ist dazu der Anspruch, eine uneindeutige Datenlage oder sich widersprechende Fakten auch als solche transparent zu machen.

Perspektive Daily will und kann so keine sich im Sekundentakt aktualisierende Nachrichtenseite sein. Angepeilt ist mit einem gründlich recherchierten Artikel pro Tag dennoch ein ambitioniertes Ziel, das ab Mitte April 2016 verwirklicht werden soll. Unterstützt werden die GründerInnen dabei von bereits ausgewählten GastautorInnen wie Glücksforscherin Ute Scheub oder Nahost- und Islamismusexperte Dr. Guido Steinberg. Kontakte zu und weitere Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen und NGOs gehören genauso zum Konzept wie prominente Unterstützung von u.a. der Berliner Schauspielerin Nora Tschirner und Gesine Schwan.

Nachtrag 03.01.2017: Webpräsenz von Perspective Daily.7

Zuerst erschienen unter: www.trailer-ruhr.de

Navid Kermani liest aus „Ungläubiges Staunen“ in Bochum

Wenn ein evangelischer Pfarrer einen Muslim einlädt, um in einer auch profan genutzten Kirche über katholische Bildwelten zu sprechen, ist das ungewöhnlich. Wenn der geladene Gast auch noch Navid Kermani ist, passt dann aber doch alles zusammen.

Schwelgend stellt Pfarrer Arno Lohmann, Leiter der evangelischen Stadtakademie Bochum, den Autor vor: Habilitierter Orientalist, gewürdigt mit zahlreichen Auszeichnungen für sein literarisches und kulturelles Schaffen (zuletzt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels) und Engagement für den interreligiösen und interkulturellen Dialog zwischen Europa und der islamischen Welt.

Mit dem Juristen, Kulturwissenschaftler und Goethe-Kenner Dr. Manfred Osten, der in diplomatischer Mission u.a. in Kamerun und im Tschad und fast eine Dekade als Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung tätig war, steht Kermani ein nicht minder kompetenter Gesprächspartner zur Seite.

Leichtfüßig und unterhaltsam

Unbeeindruckt von diesen Verdiensten entwickelt sich die Lesung leichtfüßig und unterhaltsam. In „Ungläubiges Staunen“ setzt sich Navid Kermani mit christlichen Bildwelten auseinander. Der Ansatz ist kein intellektuell-kunsthistorischer, sondern gründet in der Überwältigung und Faszination angesichts von Meisterwerken christlicher Motivik in der Malerei und Sakralarchitektur.

Vor der mehr als zur Hälfte gefüllten Christuskirche Bochum liest Kermani seine Kapitel zu den Themen Liebe und Lust, während er die dazugehörigen Bilder mittels Beamer zeigt. So, wie er von Farbe und Licht in El Grecos „Abschied Christi von Maria“ schwärmt oder seine Sprach- und Atemlosigkeit vor dem Gerhard Richter-Fenster im Kölner Dom schildert,  scheint Liebe der passende Leitfaden.

Doch dabei bleibt es nicht. In El Grecos Werk fällt ihm ein „komisches Schmachten“ auf, das so gar nicht zu der Mutter-Sohn-Beziehung passen will, in Caravaggios „Die Opferung Isaaks“ erkennt er im Vater den „Hausmeister Gottes“ und im Kölner Dom sieht er eher eine Menschenleistung: „Der Dom preist nicht Gott, son­dern die Köl­ner. Ich mag, das, nicht nur als Kölner.“

Die gelesenen Kapitel verraten, wie genussvoll störrisch Kermani in „Ungläubiges Staunen“ seine subjektive Analyse ausbreitet, augenzwinkernd frech, ausdrücklich gegen die kanonische Lesart, aber niemals beleidigend. Dieser Respekt vor der anderen, fremden Religion, macht ihn wie von Manfred Osten angekündigt zu einem „synoptischen Brückenbauer“. Die Christuskirche, vor der am 11.12. der Platz des europäischen Versprechens“ eröffnet wird, ist dafür ein würdiger Ort.

Dabei kann es aber auch an diesem Abend nicht bleiben. Schon lange vor Pegida, Paris und Europas Eintritt in den Krieg gegen den Terror des IS hat der Gottesglaube seine Unschuld verloren. Kermani selbst ist zu wach und kritisch gegenüber seiner eigenen Religion, als dass er dieses Thema meiden würde. Die kurzen Exkurse zwischen den vier vorgetragenen Abschnitten aus seinem Buch streifen auch ernste Themenfelder.

Islam und Islamismus

Da geht es um den Unterscheid zwischen der Theologie und sinnlich erfahrbarer Religiosität, die Körperfeindlichkeit des Christentums und um Islam und Islamismus. Auch hier zeigt sich Kermani als wacher Denker, der mit beiden Welten bis in Details vertraut ist.

Die wörtliche, gewalttätige Auslegung des Korans sei kein Problem der Orthodoxie, sondern eine Reaktion der Muslime auf die Schwäche und Unfähigkeit ihrer religiösen Lehrer, Antworten auf die Herausforderungen der Moderne zu finden. Mehrfach betont Kermani, dass Theologie dazu da wäre, das nicht Erklärbare zu erklären und nicht mit der sinnlich erfahrbaren Religion identisch sei.

Der Koran, so Kermani weiter, sei „ein liturgischer Text“ und kein Text an sich. Die martialische Lesart des Koran durch islamistische Terroristen sei somit auch keine Besinnung auf, sondern der Verlust der Tradition, die die Rezitation der Suren während des Gebets und nicht deren wörtliche Umsetzung fordert. „Es käme ja auch niemand auf die Idee, eine Partitur einfach vorzulesen ohne Musik. Wie die Partitur wird der Koran erst durch Gesang zum Text“, veranschaulicht Kermani. In diesem Kontext erlaubt sich der Optimist eine pessimistische Aussage „Der Glaube, dass Geschichte immer nach vorne geht und sich weiterentwickelt, wurde schon zu oft widerlegt. Ich glaube eher, sie verläuft zyklisch.“

Schlusspointe

Als es um „die ungeübten Knutscher“ in Giottos „Joachim und Anne“ und um Lust als Facette der Liebe geht, schließt die Lesung humorvoll ab. Der Auor beschreibt den ungewöhnlich leidenschaftlichen Kuss des älteren Paares, das das Strohfeuer der Jugendliebe überdauert hat. Lust und Sexualität beschäftigen Kermani. Denn aufgewachsen im protestantischen Siegen nahm er die Protestanten als „gute, aber nicht schöne Menschen“ wahr, bei denen er an „Nächstenliebe, nie an Sex“ dachte. Evangelische Kirchentage beschreibt er als „die unerotischste Veranstaltung“ seines Lebens. Die Begeisterung für alles Wolllüstige habe ihm aber nicht Körperfeindlichkeit des Christentums, sondern erst die allgegenwärtige Pornografie ausgetrieben, wo „alle alles, an allen Orten“ treiben.

Nach der Lesung signiert Kermani geduldig, bis keine Exemplare der mitgebrachten Bücher mehr übrig sind. Er schüttelt Hände und nimmt Bekundungen wie „Ich danke Ihnen, gut, dass es sie gibt!“ sichtlich errötend zur Kenntnis. Würden wir wie Kermani dem Fremden, dem jeweils Andern so offen und neugierig begegnen, ohne die Überzeugung, alles besser zu wissen – die Welt wäre eine andere. Der ökumenische Blick und die Horizonterweiterung, wie sie Manfred Osten eingangs ankündigte, sind zumindest an diesem Abend geglückt.

 Zuerst erschienen unter: www.trailer-ruhr.de

Es kann nicht nur den Einen geben (Leitartikel zum Thema Islam)

„Der Islam gehört zu Deutschland“. Was Ex-Bundespräsident Christian Wulff 2010 sagte, wiederholte Angela Merkel im Januar 2015 bei einer Kundgebung gegen islamistischen Terror, als Reaktion auf den Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Aber diese Aussage ist unsinnig. Den Islam gibt es weder in Deutschland, noch sonst irgendwo. Der Islam fächert sich in verschiedene, einander teilweise spinnefeind gegenüberstehende Glaubensrichtungen und Subbewegungen auf. Das gilt nicht nur global, sondern auch für Deutschland. Selbst herunter gebrochen auf NRW, wo die Mehrheit der Muslime in Deutschland lebt, kann von „dem“ Islam nicht die Rede sein. Das deutsche Allgemeinwissen rund um den Glauben, zu dem sich weltweit etwa rund 1,5 Milliarden Menschen bekennen, wabert irgendwo zwischen den exotischen Märchen von 1001 Nacht und den Enthauptungsvideos des IS.

Wie komplex sich der Islam hierzulande präsentiert, verdeutlicht die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ von 2008. Von der Deutschen Islam Konferenz in Auftrag gegeben, gilt diese erste bundesweite Befragung von Migranten auch 2015 noch als repräsentativ, ebenso wie die aus ihr hervorgegangene Zusatzstudie „Muslimisches Leben in NRW“ (2009). Die eindeutig größte Konfessionsgruppe stellen in NRW die Sunniten (80,4%). Mit großem Abstand folgen Aleviten (9,1%), die derzeit intern diskutieren, ob sie überhaupt zum Islam gehören, hinzu kommen Shiiten (6,1%), Ahmadi (0,4%), Sufi/Mystiker (0,2) und 3,7% „Sonstige“.

Wie der Islam insgesamt von Nicht-Muslimen wahrgenommen wird, darüber gibt eine Sonderauswertung des Religionsmonitors der Bertelsmann-Stiftung Auskunft. Ein Ergebnis der Umfrage von 2012 ist besonders ernüchternd: „Islamfeindlichkeit ist keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern findet sich in der Mitte der Gesellschaft“; das Image der vielfältigen Religion ist seitdem nicht besser geworden.

Diverse Akteure sind in Sachen Islam unterwegs, um das zu ändern. Denn anders als christliche Kirchen ist der Islam weniger hierarchisch. Eine höchste Autorität gibt es ebenso wenig wie einen formellen Aufnahmeakt, die Zahl der fest in Gemeinden organisierten Muslime ist unklar.

In neun Verbänden sind aber rund die Hälfte der Muslime in ganz Deutschland organisiert, vier davon üben den größten Einfluss aus. Mit 700-900 zu vertretenden Gemeinden steht die DITIB zahlenmäßig an der Spitze und würde gerne alle deutschen Muslime repräsentieren. Allerdings sind in ihr allein türkischstämmige Sunniten organisiert und sie ist dem Ministerpräsidentenamt in Ankara unterstellt, Imame und Geld kommen daher aus der Türkei. Auch der Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) vertritt Muslime mit türkischen Wurzeln. Multiethnisch sind der Islamrat der BRD und der Zentralrat der Muslime angelegt, die auch Stimmen von Gläubigen mit afrikanischen, arabischen oder bosnischen Wurzeln vertreten.

Ebenfalls verschiedenen Konfessionen will das erst im April 2015 auf Initiative der Konrad-Adenauer-Stiftung gegründete Muslimische Forum Deutschland Gehör verschaffen, zu deren Mitbegründern Prof. Dr. Mouchanad Khorchide oder Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor gehören. Letztere ist auch Vorsitzende des Liberal Islamischen Bundes. Dieser sieht sich „in der Verantwortung, die mehrheitlich liberalen Positionen des in Europa vorherrschenden Islamverständnisses zu vertreten“, fordert die dogmenfreie Diskussion des Koran und die Gleichstellung der Geschlechter wie die Anerkennung homosexueller Partnerschaften.

Auf kleinerer Ebene ist die Moschee das Zentrum einer jeden Gemeinde. Mal versteckt in Wohnsiedlungen, nicht einmal verraten durch ein Minarett, mal monumental wie die Merkez Moschee in Duisburg-Marxloh, die sich als interreligiöses und interkulturelles Begegnungszentrum versteht. Erst auf Gemeindeebende nähert man sich der Lebenspraxis von Muslimen, denn hier wird nicht nur der religiöse, sondern auch der weltliche Alltag organisiert. Die Aufgaben reichen weit über den Ruf zum Gebet hinaus: Seelsorge, Krankenpflege oder Jugendarbeit sind wie in christlichen Gemeinden zu bewältigen. Moscheegemeinden werden aber nicht wie Kirchen vom Staat anerkannt und unterstützt.

Dafür müsste „der“ Islam zuerst als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden, was aufgrund der beschriebenen Vielseitigkeit schwierig ist. Nicht der eine Islam, aber viele seiner Facetten sind Teil der deutschen Gesellschaft und somit unserer Kultur. Ob ein einzelner Islam oder überhaupt eine weitere, vom Staat anerkannte Religionsgemeinschaft wünschenswert ist, bleibt fraglich. Diskutiert werden sollte, ob nicht sämtliche Religionen ins Private gehören. Vor der Herausforderung, den Islam zu modernisieren, stehen die Muslime aber trotzdem. Denn neben der Fiktion von 1001 Nacht gibt es real eben auch 1000 Peitschenhiebe für Raif Badawi.

Zuerst erschienen in trailer 06/15, online unter: www.trailer-ruhr.de

Leitartikel zum Thema GLÜCK

Wir müssen nur wollen

Bei einem Samenerguss werden im Schnitt zwei bis sechs Milliliter Ejakulat ausgestoßen. Von den darin enthaltenden Spermien landen rund 300 Millionen in der Scheide, wiederum nur ein Teil davon nimmt den Hindernisparcours des Eileiters in Angriff. Nur circa 300 erreichen die Eizelle, das macht 0,0001 Prozent der ursprünglichen Suppe. Was das alles mit Glück zu tun hat? Selbst wenn man sonstige, die Fruchtbarkeit beeinflussende Faktoren außen vor lässt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass neues Leben bei einem Akt zustande kommt, gering. Wenn auch größer als die, sechs Richtige im Lotto zu tippen (0,0000064 %). Obwohl mehr Kinder geboren werden als Lottogewinner jubeln, dürfte sich jeder von uns rein qua Geburt ständig als ausgesprochener Glückspilz fühlen.

Aber auch wenn kein Mangel an existentiellen Dingen wie Wasser, Nahrung, Obdach, Kleidung und an sozialen Annehmlichkeiten wie freundschaftlichen, familiären oder sexuellen Beziehungen besteht, hüpft niemand von uns unablässig von purem Glück beseelt durch Gegend. Im Gegenteil. Laut einer Schätzung der WHO wird die depressive Störung 2020 die weltweit zweithäufigste Erkrankung darstellen. Stehen wir in den westlichen Industrienationen auf Kriegsfuß mit dem Glück? Schließlich gilt Deutschland nicht nur als Land der Dichter und Denker, sondern auch als das der notorischen Nörgler.

Nicht wenn man dem World Happiness Report 2015, der am 23.4. in New York vom Earth Institute der Columbia Universität veröffentlicht wurde, glaubt. In Puncto Glücksempfinden steht die BRD auf Rang 26 von 160 Ländern passabel dar. Am glücklichsten sind dem Ranking zufolge die Schweizer, aber auch Westeuropa insgesamt schneidet sehr gut ab, stellt mit Island, Norwegen, Finnland, den Niederlanden und Schweden noch fünf weitere der zehn glücklichsten Staaten. Einen Eindruck unseres nationalen Glücksempfindens vermittelt der Glücksatlas der Deutschen Post von 2014, dessen Datenbasis Umfragen des Allensbacher Instituts und die repräsentativen Erhebungen des Sozioökonomischen Panels (SOEP) bilden, das seit mehr als 30 Jahren Wiederholungsbefragungen in Privathaushalten durchführt und auch „subjektive“ Daten zur Lebenszufriedenheit sammelt. Deutschland befindet sich demzufolge seit vier Jahren auf einem „Zufriedenheitsplateau“, das Ruhrgebiet und Westdeutschland schneiden im guten Mittelfeld ab, hinter dem noch zufriedeneren Norden und vor dem mürrischen Osten.

Abgesehen von der Geografie: Wo finden wir unser individuelles Glück? Natürlich im Internet. Bei der Eingabe des Schlagwortes „Glück“ in den Amazon-Bücherkatalog werden dem Glückssuchenden 31.537 Ergebnisse geliefert. Die Ratgeberliteratur, die mannigfaltige Wege zum ultimativen Glück verspricht, boomt seit Jahren ebenso wie Seminare bei sogenannten Lifecoaches. Rund ums Thema Glück pulsiert eine ganze Industrie, die weniger nach dem „pursuit of happiness“ der Konsumenten, als nach Vermehrung der eigenen Einkünfte lechzt.

Kann uns die Wissenschaft Antworten liefern? Akademisch versucht sich die Glücksforschung seit den 1980er Jahren als empirische Wissenschaft zu etablieren. Der Soziologe Alfred Bellebaum gilt als Pionier des deutschen Forschungszweigs, in deren Teilbereichen sich u.a. Philosophen, Neurobiologen, Soziologen oder Psychologen mit Problemen der Gegenstandsbestimmung, Methodik, Messbarkeit und der Theoriebildung kämpfen. Die US-Journalistin Barbara Ehrenreich ist eine der bekanntesten Kritikerinnen des Teilbereichs der Positiven Psychologie. In ihrem 2009 veröffentlichten Sachbuch „Smile or Die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“ konstatiert sie, dass das positive Denken das Glück als Mittel zum Zweck instrumentalisiert, um im Sinne des Marktes unser aller Leistungsfähigkeit zu steigern.

So interpretiert, fügt sich das Produkt Glück™ nahtlos in den Kapitalismus ein. Das „Streben nach Glück“ impliziert ja auch die Arbeit, die damit verbunden ist. Glück fällt nicht einfach so vom Himmel, wenn jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Daraus resultiert vielmehr, dass wir alle glücklich sein können – wenn wir uns nur hart genug darum bemühen.

Wie die Schönheit liegt auch das Glück stets im Auge des Betrachters. (Markt)Forschung und Ratgeber können uns nicht sagen, wie glücklich wir sind und auch nicht, wie wir es werden. Fangen wir doch damit an uns gemeinsam darüber zu freuen, dass wir erfolgreich 299.999.999 andere Spermien abgehangen haben, um bis hierhin zu kommen. Wer dann unbedingt noch den Vergleich sucht: Zu den Schlusslichtern im World Happiness Report gehören u.a. die Bevölkerungen Afghanistans und Syriens. Glücklich macht diese Information gewiss nicht, sie regt aber zum Nachdenken an.

Zuerst erschienen in trailer 05/16, online unter: www.trailer-ruhr.de

Leitartikel zum Thema FRIEDEN

Frieden schaffen – auch durch Waffen?

„Es befinden sich weltweit über 550 Millionen Schusswaffen in Umlauf. Das heißt, auf diesem Planeten hat jeder zwölfte Mensch eine Schusswaffe. Das führt zu der einen Frage: Wie bewaffnet man die anderen elf?“ So eröffnet Protagonist Yuri Orlov „Lord of War“, einen bitterbösen Spielfilm über den internationalen, illegalen Waffenhandel. Diesen zu verurteilen fällt nicht schwer. Für die Dealer der tödlichen Waren zählt nicht das Motiv, sondern die finanzielle Liquidität der Empfänger.

Schwieriger ist es da, ein Urteil über den legalen Waffenhandel, auch Rüstungsexport genannt, zu fällen. Immerhin ist Deutschland nach den USA und China der weltweit drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern und Kriegsmaschinerie. Die freie Meinungsbildung zur Causa des legalen Waffenhandels wird dadurch erschwert, dass die Entscheidungen über Rüstungsexporte in Deutschland für die Öffentlichkeit nicht transparent sind. Der Bundessicherheitsrat, der sich aus der Kanzlerin und acht weiteren Mitgliedern, darunter Verteidigungs-, Außen-, Finanz- und Wirtschaftsminister zusammensetzt, entscheidet im stillen Kämmerlein über Rüstungsgeschäfte, Parlament und Volk werden danach vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch die Klage der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul konnte daran nichts ändern. Am 21.10.2014 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Regierung weiterhin keine Auskünfte über noch nicht genehmigte Rüstungsexporte geben müsse: „Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge“, heißt es in Karlsruhe. Diese Klage und die Debatte um fragwürdige Waffengeschäfte haben ihren Ursprung in der Lieferung deutscher Panzer nach Saudi-Arabien – ein Regime, das nicht unbedingt als Bollwerk für die Durchsetzung von Menschenrechten im Nahen Osten gilt. Aber erst am Sonderfall der kurdischen Peschmerga-Kämpfer, die im September dieses Jahres durch die Bundesregierung beschlossen wurde, offenbart sich die eigentliche Krux. Hier geht es nicht nur um eine ökonomische, juristische oder moralische Bewertung, sondern im Kern um die Frage, ob man Frieden überhaupt mit Waffengewalt erzwingen und auch aufrechterhalten soll und kann.

Die Befürworter geben zu bedenken, dass in akuten Situationen manchmal nur noch Waffengewalt das Leben vieler Menschen zu retten imstande ist. Daniel Cohn-Bendit bemerkte vor einiger Zeit in der taz: „Es gibt historische Momente, so traurig das ist, wo Waffen die einzige Möglichkeit sind, um zu überleben.“, überstrapazierte das Argument aber mit dem Zusatz, dass auch der Aufstand im Warschauer Ghetto schließlich Waffen gebraucht habe. Ähnliche Totschlagargumente sind Verweise wie der, dass Nazideutschland kaum ohne Waffengewalt hätte besiegt werden können oder dass gegen Maschinengewehre keine menschlichen Lichterketten und Peace-Fahnen helfen würden. All dies klingt verdächtig nach Waffenlobbyist Wayne LaPierre und seiner Losung: Das Einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Mensch mit einer Waffe.

Und die Gegner? Deren Argumente klingen längst nicht immer wie von bekifften Hippies. Sie verweisen z.B. auf die Gefahr, dass Waffen in die falschen Hände fallen könnten. Diese ist nicht so buchstäblich zu verstehen wie der Vorfall am 22.10., als eines von 28 Paketen, die US-Militärs über Kobane zur Unterstützung der kurdischen Armee abgeworfen hatten, in die Hände des IS fiel. Die Gotteskrieger kämpfen aber häufig schon mit besseren Waffen, die sie auch auf Militärstützpunkten der irakischen Armee erbeutet haben, die wiederum zuvor von den USA ausgestattet wurde. Ein weiteres Gegenargument ist die Unabsehbarkeit der Folgen, gepaart mit der Langlebigkeit der Waffen. Ob die Kurden beispielsweise ihre Waffen irgendwann artig abgeben oder noch Jahrzehnte für die Durchsetzung der eigenen Interessen damit kämpfen werden, wird sich zeigen. Und ob Deutschland ausgerechnet durch Waffenlieferung seiner Verantwortung gerecht wird oder andere die Drecksarbeit erledigen lässt, liegt im Auge des Betrachters.

Hier Stellung zu beziehen ist also nicht leicht. Sogar Gregor Gysi, dessen Partei ja bekanntlich konsequent gegen Rüstungsexporte ist, stolperte im Sommer über diese Frage. Bei den berechtigten Einwänden sollten wir vielmehr ins Grübeln kommen, ob „Ja“ oder „Nein“ zu Waffenlieferungen, insbesondere in Krisengebiete, überhaupt die einzig richtigen Antworten sind. Vielleicht geht es gar nicht darum, ob man Frieden nur mit oder ohne Waffen schaffen kann, sondern ob uns im 21. Jahrhundert denn wirklich gar nichts Besseres einfällt. Was wir brauchen sind Alternativen, nicht noch mehr Waffen.

Zuerst erschienen in trailer 11/14, online unter: www.trailer-ruhr.de