Wechselwirkungen: HIV und Aids in der Filmgeschichte

Filme greifen gesellschaftliche Stimmungen auf und können ihrerseits den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist Jonathan Demmes Drama „Philadelphia“ aus dem Jahr 1993. Tom Hanks erhielt für seine Verkörperung des aidskranken Anwalts, der gegen seine Entlassung klagt, seinen ersten Oscar. Aus der schwulen Community kam seinerzeit Kritik: an der heterosexuell besetzten Hauptfigur und der ohne die Andeutung sexuellen Begehrens inszenierten Liebesbeziehung zwischen Hanks‘ Figur und seinem Partner (gespielt von Antonio Banderas). Dennoch veränderte die erste Hollywood-Produktion zum Thema die Darstellung homosexueller Beziehungen im Mainstream-Kino sowie den gesellschaftlichen Dialog über Aids.

„Philadelphia“ war aber nicht der erste Film, in dem Aids thematisiert wurde. Schon 1984 wurde Manfred Salzgeber auf „Buddies“ von Arthur Bressan Jr. aufmerksam, der zu einem  frühen Zeitpunkt Vorurteile und Irrtümer rund um HIV und Aids aufgriff. Kein deutscher Verleiher traute sich an den Vertrieb, woraufhin Salzgeber selbst einen Verleih gründete und „Buddies“ 1985 in die westdeutschen Kinos brachte. Heute ist Edition Salzgeber der Traditionsverleih für queeres Kino in Deutschland. Bill Sherwoods „Parting Glances“ von 1986 (Steve Buscemi in seiner ersten Hauptrolle) und „Longtime Companion“ von Norman René (1989) waren zwei weitere, einfühlsame Filme zu der Thematik, an der viele der Pioniere persönliches Interesse hatten. Arthur Bressan Jr., Bill Sherwood, Manfred Salzgeber und Norman René – alle starben an den Folgen von Aids.

Erst seit den späten 1990er Jahren kam im Kino die Botschaft an, dass Aids nicht ausschließlich schwule Männer, Drogensüchtige und Prostituierte, sondern alle Menschen betrifft. In Larry Clarks Independent-Aufreger „Kids“ (1995) wird HIV durch heterosexuellen Sex übertragen, in Almut Gettos „Fickende Fische“ (2002) ist der Protagonist durch eine Bluttransfusion HIV-positiv. Kommerziell und bei der Kritik erfolgreiche Produktionen der letzten Jahre wie „Dallas Buyers Club“ (2013) oder „120 BPM“ (2017) werfen mit ebenso spannend wie emotional erzählten Geschichten den Blick zurück auf die frühe Aids-Ära und zeugen von der allmählichen Historisierung des Themas.

Aktuell ist in den Kinos Carla Simóns einfühlsames Debüt „Fridas Sommer“ zu sehen, in dem eine Sechsjährige 1993 nach dem plötzlichen Tod der Mutter zur Familie ihres Onkels ziehen und neben der Trauer auch Vorurteile und Ausgrenzung bewältigen muss. Denn es ist unklar, ob Frida sich bei ihrer Mutter angesteckt hat. HIV muss hier nicht explizit erwähnt werden. Die Zeit, in der die Geschichte spielt und die Panik anderer Eltern, als Frida sich beim Spielen das Knie blutig schrammt, rufen die fast 40-jährige Geschichte von HIV und Aids in unserem kollektiven Gedächtnis auf.

Heute ist die Krankheit gut therapier-, jedoch nicht heilbar, Neuinfektionen gibt es nach wie vor. Medizinische Aufklärung bleibt daher wichtig. Seit Ausbreitung des Virus vor fast 40 Jahren haben sich aber Vorurteile und Diskriminierung verringert und das Verständnis für Betroffene ist deutlich empathischer. Davon zeugt die Entwicklung der Darstellung von Aids im Film. Andersherum dürften die Filme zum Thema einen Anteil an dieser positiven Entwicklung gehabt haben.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 08/18 und online auf:
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