Frauen sind erst der Anfang: Diversität im Film: ein weiter Weg

Manchmal markieren Erscheinungstermine unüberwindbare Deadlines und scheren sich nicht darum, ob gerade die Berlinale Bären oder die Academy Oscars verleiht. So erging es mir mit der Märzausgabe. Die Berlinale liegt nun so lange zurück, dass einige der dort gezeigten Filme schon im April in unseren Kinos starten. Darunter ist zum Beispiel Christian Petzolds neues Werk „Transit“: Ein politischer Flüchtling versucht mittels falscher Identität vor den Nazis von Südfrankreich nach Amerika zu fliehen. Basierend auf Anna Seghers Anfang der 1940er im Exil verfassten Roman, siedelt Petzold seine Geschichte im Marseille der Gegenwart an und macht sie dadurch zu einer zeitlosen Parabel. „Jede Flüchtlingsgeschichte ist anders. Jede Flüchtlingsgeschichte ist gleich“, schrieb dazu das US-amerikanische Filmmagazin „Indiewire“.

Ebenfalls im April geht auch Greta Gerwigs Coming-of-Age-Wunder „Lady Bird“ an den Start. Die moderne Mumblecore-Variante einer Stadtneurotikerin zeichnet für Drehbuch und Regie verantwortlich, Soirse Ronan spielt einen Teenager in den 1990ern in Sacramento. „Lady Bird“ wurde gleich in fünf Kategorien für den Oscar nominiert: Beste Regie, Bester Film, Bestes Originaldrehbuch, Beste Hauptdarstellerin, Beste Nebendarstellerin – und ging in allen leer aus. Gerwig war erst die fünfte Frau, die in der Kategorie Beste Regie nominiert wurde. Nach Lina Wertmüller, Jane Campion, Sofia Coppola und Kathryn Bigelow, die den Oscar dann gewann. Bei einer Nominierung blieb es auch für Rachel Morrison („Mudbound“). Da bisher keine einzige Frau in der Kategorie Beste Kamera überhaupt eine Chance auf einen Oscar erhielt, ist das bereits ein kleiner Sieg.

Richtig Spaß machte diese Verleihung aber nicht. Allein Frances McDormands flammende Rede, die sie nach Empfang des Goldjungen für „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ hielt, entschädigte für die Augenringe bis zum Kinn am nächsten Morgen. Außerdem lernten wir von McDormand den Terminus „inclusion rider“: Eine Klausel, die US-SchauspielerInnen in ihre Verträge aufnehmen können, um geschlechtliche wie ethnische Diversität vor wie hinter der Kamera einzufordern. Die Gleichstellung und Repräsentation von Frauen am Set ist da erst der Anfang. Stacy Smith, Professorin an der Universität von Kalifornien, hatte bereits 2014 in einem Artikel im „Hollywood Reporter“ darauf aufmerksam gemacht. Schauspielerin Brie Larson, „Black Panther“-Star Michael B. Jordan und Matt Damons und Ben Afflecks Produktionsfirma „Pearl Street Films“ haben offiziell verlauten lassen, den „inclusion rider“ in ihre Verträge aufzunehmen.

Wenig Probleme mit Diversität hat das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, das in diesem Jahr zum 35. Mal stattfindet. Nahezu alle der rund 100 gezeigten Filme stammen von Frauen und / oder haben eine starke Frauenfigur als Protagonistin. Mit einem speziellen Preis für Bildgestaltung werden außerdem explizit zwei Kamerafrauen gewürdigt und der diesjährige Fokus „Über Deutschland“ beschäftigt sich nicht nur in vielen Formaten mit Diversität, sondern lebt diese auch. Der Schwerpunkt ist dieses Jahr in Köln, aber auch im Kino im U werden ausgewählte Filme zu sehen sein.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 04/18 und online auf:
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NRW-Premiere von „Das schweigende Klassenzimmer“ in der Lichtburg Essen

Bitterkalt ist es auf der Kettwiger Straße. Von Minusgraden und dem schneidenden Wind ungerührt tummeln sich wie bei jeder Premiere in der Lichtburg Kinoliebhaber hinter der Absperrung. Ein paar bibbernde Fotografen und ein WDR-Team harren ebenfalls aus, bis die Gäste eintreffen. Regisseur Lars Kraume, der vor zwei Jahren schon mit seinem preisgekrönten „Der Staat gegen Fritz Bauer“ in Essen war, kommt mit Lena Klenke und Leonard Scheicher, alle vepackt in dicke Winterjacken. „Das ist ja noch kälter als in Berlin hier“, fröstelt es Scheicher. Die Weltpremiere von „Das schweigende Klassenzimmer fand eine Woche zuvor während der Berlinale statt. Der eigentliche Star des Abends ist aber Dietrich Garstka. In der 2006 veröffentlichten, gleichnamigen Buchvorlage verarbeitete er seine eigene Geschichte von Flucht und Neuanfang.

Die Handlung des Films setzt Ende 1956 ein. Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) erfahren bei einem Ausflug nach Westdeutschland durch die Wochenschau zufällig, wie unterschiedlich die Berichterstattung über den Ungarischen Volksaufstand in Ost- und Westdeutschland ausfällt. Zurück in ihrer Heimat Stalinstadt verfolgen sie heimlich mittels des Westsenders „Rias“ gemeinsam mit KlassenkameradInnen die Entwicklung der Ereignisse. Sie hören, wie die Sowjetunion brutal gegen die vom Westen als Freiheitskämpfer, vom Osten als faschistische „Konterrevolutionäre“ verurteilten Ungarn vorgeht. Die Mehrheit der Abiturklasse beschließt, im Unterricht eine solidarische Schweigeminute für die Opfer des Aufstands abzuhalten.

Das ruft zunächst den Schuldirektor, dann eine strenge Kreisschulrätin und schließlich den Volksbildungsminister auf den Plan. Die Solidaritätsbekundung wird selbst zur „Konterrevolution“ erklärt. Der Anführer des Protest soll denunziert werden, andernfalls droht der gesamten Klasse der kollektive Ausschluss vom Abitur. Das bedeutet: keine Aufstiegschancen, sondern schuften als ArbeiterIn. Was als jugendlicher Überschwang begann, zwingt die SchülerInnen dazu, ihre eigenen Überzeugungen und das Regime, in dem sie leben, zu hinterfragen und Position zu beziehen.

Kraume widmet sich damit wie schon in seinem letzten Film einem Stück deutsch-deutscher Geschichte. Wie in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist auch in „Das schweigende Klassenzimmer“ das authentische Setting bis in den kleinsten Winkel der Mise-en-scène perfekt. Mit der Figur Bauers stand ein Zeitzeuge der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie Trauma und Verlust einer ganzen Generation im Mittelpunkt…

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Abschluss der CineScience-Reihe „Helden im Film“ im Filmstudio Essen

Bonnie Tyler suchte einen, David Bowie wollte selbst einer sein – zumindest für einen Tag. Aber was genau ist das eigentlich für ein Stoff, aus dem die Helden in Film gemacht sind? Wie werden sie inszeniert? In welcher Welt und Gesellschaft können sie überhaupt über sich hinaus wachsen und zu HeldInnen werden?

All diesen Fragen ist die CineScience-Reihe des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen in Kooperation mit dem Filmstudio Glückauf im letzten halben Jahr nachgegangen. Neben dem klassisch amerikanischen (Action)Helden (hier fehlt die weibliche Form bewusst), dem Wissenschaftler als Filmheld und den Sheroes der Filmgeschichte, schließt die Reihe mit einer Analyse zu AntiheldInnen. Verena Keysers und Nora Schecke vom KWI haben sich als Patinnen und Moderatorinnen des Abends Amerikanist Markus Wierschem und Filmwissenschaftler Alexander Schultz von der Universität Paderborn eingeladen.

Mit einer Fülle von Filmausschnitten und Detailwissen analysieren sie sich durch mehr als 50 Jahre Filmgeschichte. Dabei konzentrieren sie sich auf das US-amerikanische Kino und entwickeln mit dem Publikum gemeinsam die eine oder andere Hypothese dazu, was ein/e AntiheldIn ausmacht. Die ersten Antihelden entwickelten sich in der Spätphase des US-amerikanischen Film Noir Mitte der 1950er Jahre. Das Genre entstand unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs. die Welt wurde stets düster und zynisch gezeichnet. Diesem Pessimismus stand nur ein wenn auch gebrochener Held gegenüber.

Wierchem und Schultz erklären, wie sich in der Spätphase des Genres die Figur des Helden zu wandeln beginnt. Exemplarische Ausschnitte aus Robert Aldrichs „Rattennest“ („Kiss me deadly“) stellen darin den Privatdetektiv Mike Hammer …

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Medienwissenschaftlerin Jutta Zaremba über Gender in Videospielen & Gamerinnen

Frau Zaremba, zocken Frauen anders als Männer?
Jutta Zaremba: Die Gretchen-Geschlechterfrage… Man kann das höchstens grob beantworten, weil es nicht DIE Spielerin gibt. Wir reden hier von einer Altersspanne zwischen circa 8 bis 80 Jahren! Bislang zeichnen sich eher einige bei Mädchen und Frauen beliebtere Games-Genres ab, zum Beispiel Lebenssimulationen wie „SIMS“, Rollenspiele wie „Final Fantasy“, Action-Adventures wie „American McGee‘s Alice“ oder Musik- und Bewegungsspiele wie „SingStar“ oder „Wii“. Gleichzeitig gibt es auch zahlreiche E-Sportlerinnen, die sich in Teams zusammenschließen, um intensiv und im Wettbewerb Shooter zu spielen.

Spielen Frauen weniger, weil sie Games weniger interessieren oder interessieren sie die Games nicht, weil sie darin nicht repräsentiert werden?
Das unterstellt ja, dass Frauen weniger gamen, was nicht stimmt! In der BRD sind fast die Hälfte aller Spielenden weiblich, in den USA ungefähr 41 Prozent. Und es spielen übrigens mehr Frauen über 18 Computerspiele als Jungen unter 18. Für ganz entscheidend halte ich das Stichwort „bedroom culture“. Das ist ein Begriff, den die britische Theoretikerin und Feministin Angela McRobbie 1975 zum Thema „Girls and Subcultures“ ins Spiel gebracht hat: Es kommt darauf an, in welcher grundsätzlichen Spielekultur man aufgewachsen ist, durch welche Spiele, Spielsachen und Spielformen man also seit der Kindheit geprägt ist.

Was macht eine emanzipierte, feministische Protagonistin aus?
Wie sieht denn Ihre Wunschvorstellung aus? Diese Frage wird seit fast 20 Jahren von Frauen aus dem Gaming-Umfeld diskutiert und zeigt, dass die jeweilige Perspektive die Vorstellungen bestimmt. Das businessorientierte US-Portal „Womengamers“ hat Bewertungen von Protagonistinnen vorgenommen, nach folgenden Aspekten: Ihre Rolle im Computerspiel (zentral und aktiv oder nur erotische Nebenfigur), ihr Standing dem Geschehen gegenüber, ihr Stehvermögen im Kampf, ihr Aussehen, ihre Intelligenz und Stimme sowie Vermarktungsversuche des Spiels hinsichtlich Spielerinnen.

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Das ganze Interview ist erschienen auf www.choices.de

 

Kritik zu „Manifesto“ mit Cate Blanchett (R: Julian Rosefeldt, 2017)

Audiovisuelle Partitur

„I do manifest because I have nothing to say“ – dieser Satz aus Julian Rosefeldts ursprünglich als 13-Kanal-Installation für Museen konzipiertem Werk „Manifesto“ ist durchaus augenzwinkernd gemeint. In der Installation schallt Cate Blanchett mehrstimmig in verschiedenen Rollen von zwölf Leinwänden herab.

In der linearen Kinofassung geht der polyphone Rausch verloren, dafür bleibt Zeit, in die von Kameramann Christoph Krauss vorwiegend on location in Berlin komponierten Sequenzen einzutauchen. Die Monologe, die Blanchett u. a. als Nachrichtensprecherin, Obdachlose, Puppenspielerin, Punk oder Brokerin proklamiert, bestehen aus gekürzten und neu editierten Manifesten aus den Bereichen der bildenden Kunst, Architektur, Literatur und Film. Einige der rezitierten Statements zu Dada, Futurismus, Fluxus oder Dogma korrespondieren mit den Settings. Andere funktionieren als ironischer Kommentar zu den Situationen, die gleichermaßen alltäglich wie fremdartig wirken.

Julian Rosefeldt vertraut dabei sowohl auf die künstlerische und literarische Kraft der einzelnen Texte als auch auf Cate Blanchett. In nur elf Drehtagen streifte sie sich mit Leichtigkeit unterschiedlichste Akzente, Gesten und diverse Habitus über. Statt Kunsttheorie in Bilder zu gießen, gelingt Rosefeldt eine audiovisuelle Partitur, die Lust macht, die Ursprungstexte – übrigens alle von Männern verfasst und daher bewusst durch eine Schauspielerin performed – aufzuspüren und deren Bedeutung für die Gegenwart selbst zu ergründen.

Zuerst erschienen in:  Missy Magazine

Sexualtherapeutin Silke Niggemeier über BDSM als erotische und sexuelle Praxis

Wann und wo beginnt die Geschichte von SM?
Silke Niggemeier
: In der Moderne und der westlichen Welt liegen die Ursprünge in der schwulen Leder-Bewegung in den USA der 1960er Jahre. Deswegen sind auch viele Begriffe aus dem Englischen übernommen worden. BDSM – was SM detaillierter beschreibt – steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Darüber hinaus besteht eine historische Verbindung zur AIDS-Hilfe, mit der auch heute noch viele SM-Stammtische kooperieren. Abgesehen davon ist SM schon seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kultur, wie Quellen belegen.

Was muss bei Erotik und Sexualität im SM-Bereich beachtet werden?
Der Grundpfeiler ist Respekt. Danach kommt ein Credo, das auch aus der Leder-Schwulenbewegung stammt. Es lautet: Safe, Sane and Consensual, kurz SSC. Also sicher, bei geistiger Gesundheit und einvernehmlich. Mit Sicherheit ist dieselbe Sicherheit gemeint, die auch bei jedem anderen Date gilt. Wer sich als Top [dominanter Part, Anm. der Redaktion] oder als Sub [sich unterwerfender Part] in eine Spielsituation begibt und nicht dafür sorgt, dass er abgesichert ist, hat ein Problem mit Sicherheit ganz allgemein. Auch hier gilt: „Trau, schau wem!“

Wie sieht so eine Absicherung aus?
Indem mich eine dritte Person covered. Dazu informiere ich vorher diese Person darüber, wo ich hingehe und melde mich auch wieder ab, wenn alles vorbei ist. Damit ist sichergestellt, dass ich aus einer Spielsituation gesund herauskomme. Meine Kontaktperson kann auch zwischendurch anrufen und fragen, ob alles ok ist. Da kann dann ein Codewort vereinbart werden. Zum Beispiel: Wenn ich „Hey Mama“ sage, weiß mein Kontakt, dass ich Hilfe benötige. Außerdem kann man sich erst mal in der Öffentlichkeit treffen, etwa beim Stammtisch. Da kann ich auch beobachten, wie der/die gewünschte Partner*in auf bestimmte Themen reagiert und ob er oder sie überhaupt öffentlich in Erscheinung tritt, das eigene Gesicht zeigt. Prinzipiell ist jeder One-Night-Stand, bei dem Fremde miteinander Vanilla-Sex haben – also Sexualität ohne SM – ebenso riskant.

Über die Praxis hinaus, was unterscheidet SM noch von „Vanilla“-Sex?
Zum SM gehört mehr als zu jeder anderen Art von Sexualität oder Erotik Kommunikation. Reden, reden, reden! So schrecklich die „Fifty Shades of Grey“-Bücher sind, dort gibt es einen Vertrag zwischen dem Top und dem Sub. Solche Verträge, die die Regeln einer Spielsituation oder Beziehung beschreiben, gibt es tatsächlich, sie sind jedoch nicht rechtlich bindend. Im Internet finden sich unzählige Varianten davon und ich rate gern dazu, sich mit so einem Vertrag mal hinzusetzen und diesen als Basis für ein Gespräch zu nehmen, was die Partner voneinander wollen, brauchen und was eben gar nicht infrage kommt.

Ist der machtvolle Manager privat eher unterwürfig oder ist das nur ein Klischee?
Ich glaube, dazu gibt es keine Zahlen. Es ist ein Klischee, aber vielleicht nicht ohne Grund. Es gibt bestimmt den Manager, der sich auspeitschen lässt. Genauso wie es im Alltagsleben dominante Männer gibt, die auch in ihrem Sexualleben dominant sind. Ich kenne tatsächlich mehr Frauen in Verantwortungspositionen als Männer, die im SM Sub sind. Männer sind oft im Alltag ähnlich positioniert, wie in ihrer erotischen Rolle. Auch hier besteht ein Kontrast. Es sind meist sehr toughe Frauen, auf ihre Art Managerinnen, mit Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit, die im Alltag ständig ihren Mann stehen müssen und sich dann im privaten SM-Bereich fallen lassen können. Es ist der Spaß am Rollentausch, der selbst gewählt ist und daher als befreiend empfunden wird. Das ist für mich eine sehr emanzipierte Form von Erotik, bei der ich selbst entscheide, wann ich mich zum Spaß als „kleines Weibchen“ unterwerfe und wann ich in meinen Alltag zurückkehre, stark bin und mein Leben regiere.

Was ist mit Dominas?
Da muss zwischen klassischen Dominas und sogenannten Bizarr-Ladies unterschieden werden. Letztere haben meist auch sexuellen Körperkontakt. Klassische Dominas haben den mit ihren Kunden nicht. Da gibt es sehr tolle Frauen, die Workshops anbieten, Vorträge halten, hervorragend vernetzt sind und das privat leben. Gute Dominas benötigen viel Empathie, psychologische Grundkenntnisse und medizinisches Fachwissen um die menschliche Anatomie. Diese Kompetenzen einer guten Domina sind jeden Cent wert.

Das ungekürzte Interview ist zuerst erschienen auf trailer-ruhr.de.

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Ich bin dagegen: Besser unterstützen als boykottieren

Hoffen wir, dass das nur wieder eine seiner Phasen ist. So wie Ende der 1990er Jahre, als sich Daniel Day-Lewis für fünf Jahre aus dem Filmbusiness zurückzog, um sich in Italien dem Schuhhandwerk zu widmen. Denn der einzige Schauspieler, der bisher drei Academy Awards als bester Hauptdarsteller in Empfang nehmen durfte („Mein linker Fuß“, „There Will Be Blood“ und „Lincoln“), will seine Karriere nun beenden. Sein Abschiedsfilm soll „Der seidene Faden“ sein, in dem er an der Seite von Vicky Krieps einen Designer im London der 1950er Jahre spielt. Regisseur Paul Thomas Anderson versucht sich hier auch erfolgreich als Kameramann und schafft ein Werk voll altmodischer Eleganz und visueller Perfektion, zugleich unser Film des Monats.

Ein eher unfreiwilliges Karriere-Aus ereilt gerade Kevin Spacey. Im Strudel der #MeToo-Welle wurde er nicht nur aus der Netflix-Erfolgsserie „House of Cards“ geschmissen. Ridley Scott schnitt ihn zudem kurz vor der Premiere in einem Gewaltakt aus seinem neuen Werk „Alles Geld der Welt“, ersetzte ihn kurzerhand durch Christopher Plummer. An der Frage, ob solch statuierte Exempel etwas an der Situation von Frauen (und Männern, wie die Vorwürfe gegen Spacey zeigen) in Filmbranche und Gesellschaft ändert, scheiden sich die Geister, genauso wie an den prominentesten Beispielen Woody Allen und Roman Polanski. #MeToo hat den Kreis jetzt radikal erweitert, in Deutschland zum Beispiel um Dieter Wedel. Drei Ex-Schauspielerinnen werfen ihm im ZEIT Magazin sexuelle Nötigung vor. Dürfen Meilensteine des Kinos wie Allens „Manhattan“ oder Polanskis „Der Pianist“ trotz der gegen ihre Regisseure erhobenen Vorwürfe weiterhin gezeigt, geguckt und gemocht werden?

Sollten wir AutorIn und Werk nicht trennen? Wer entscheidet darüber, ob Vorwürfe stimmen, wenn Aussage gegen Aussage steht und die meisten sexuellen Übergriffe nie juristisch verhandelt werden? Welche/r KonsumentIn will da prophylaktisch boykottieren oder sich gar zum Richter aufschwingen? Hinzu kommt, dass erfolgreiche Boykotte niemals nur Einzelpersonen treffen, denn Film ist immer Teamwork. Und schert sich Hollywood überhaupt um das deutsche Publikum, das im Europavergleich eher kinofaul ist?

Ich habe darauf keine abschließende Antwort. Sinnvoller wäre es, bewusst Filme von Regisseurinnen und solche mit starken Frauenfiguren zu supporten. Im Februar zum Beispiel Barbara Alberts Historiendrama „Licht“, das sich der blinden Wiener Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis widmet. Diese lebte zwar im 18. Jahrhundert, das Biopic funktioniert bei Albert aber auch als Emanzipationsgeschichte einer Frau mit Behinderung. Oder der Rache-Western „Marlina – Die Mörderin in vier Akten“, der schon im Januar gestartet ist. Die indonesische Regisseurin Mouly Surya erobert damit eines der männlichsten Genres überhaupt. Titelheldin Marlina kann es nicht nur mühelos mit John Wayne aufnehmen, sondern wäre auch in einer Girls-Gang mit Beatrice Kiddo oder Shoshanna Dreyfus gut aufgehoben. Statt sich von vier Verbrechern ausrauben und vergewaltigen zu lassen, setzt sie sich zur Wehr und mutiert mit einem Kopf unter dem Arm zur Heroine aller unterdrückten Frauen Indonesiens. Nicht nur ein feministischer, auch ein cinematographischer Genuss und eine Abwechslung von den Sehgewohnheiten des westlichen Kinos.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 02/18 und online auf:
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Filmscreening & Diskussion zu „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ von Carola Hauck

Die Geburt eines Kindes ist ein überwältigendes Erlebnis, sowohl für Mütter als auch Väter. Wenn ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickt, ist dieses Ereignis begleitet von Glücksgefühlen, die kinderlose Menschen zwar erahnen, aber schwer fassen oder beschreiben können.

Die Geburt des ersten Kindes, die drei Mütter in Carola Haucks Dokumentation „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ schildern, könnte sich nicht stärker von diesem Idealbild unterscheiden. In Interviews – gemeinsam mit ihrem Partner oder allein – berichten sie von dem Trauma dieser Geburt. Da ist wie wohl bei allen Erstgebärenden die Unsicherheit einer völlig neuen Erfahrung: Wie schlimm werden die Schmerzen sein? Wie lange wird es dauern? Und vor allem: Wird alles gut gehen, mit mir und dem Kind?

Die Frauen schildern, wie sie nach dem Blasensprung in der Klinik ankamen, alleine blieben mit unheilvoll piependen CTGs und schmerzenden Venenzugängen im Arm. Sie erzählen, wie sich anfängliche Nichtbeachtung in Ungeduld der Beleghebammen und ÄrztInnen wandelte. Sie berichten von der PDA, die sie nicht wollten und die ihren Unterkörper derart lähmte, dass sie kein Gefühl und keine Verbindung zu den Wehen und dem eigenen Körper spürten. Sie erinnern sich, wie ihre Wünsche nach einer natürlichen Geburt einfach übergangen und als unzurechnungsfähige Phantastereien abgetan wurden – ohne dass eine medizinische Indikation das nötig gemacht hätte.

Die Krankenhäuser, in denen diese Frauen ihr erstes Kind zur Welt gebracht haben, sind keine Kliniken aus einem Horrorfilm, das Personal nicht grausam oder sadistisch. Aber zwischen überarbeitetem Personal, reglementierten Abläufen und forensischen Unsicherheiten und der Ausnahmesituation der Mütter, klafft ein tiefer Graben. Hauck will nicht die medizinischen Errungenschaften wie PDA oder Kaiserschnitt verteufeln. Sie geht der Frage nach, was Geburten sicher macht, wodurch eine Geburt gestört wird und welche Folgen sogenannte Interventionen während der Geburt (Verabreichung wehenhemmender und weheneinleitender Mittel, Kaiserschnitt, Zangen- oder Saugglockengeburt) für Mutter, Kind und die Gesellschaft haben können.

Neben den eindrücklichen und sehr intimen Erlebnissen der Mütter kommen auch ExpertInnen zu Wort, die es anders machen. Darunter die mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete, „bekannteste Hebamme der Welt“ Ina May Gaskin oder Rainhild Schäfers, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Gesundheit Bochum. Dazu kommen Neonatalogen, Perinatologen und ein Ostheopath. An anatomischen Modellen und in Trickfilmanimationen wird gezeigt, welche Interventionen während der Geburt möglich und oftmals nur vermeintlich notwendig sind.

Erschreckend ist dabei für Laien, wie viele medizinische Erkenntnisse bei der Mehrzahl der Geburten, von denen 98 % in Krankenhäusern stattfinden, scheinbar ignoriert werden….

Lesen Sie hier den vollständigen Text.

Der Artikel ist erschienen auf www.trailer-ruhr.de

Interview mit Klimaforscher Felix Ekardt über die Herausforderungen eines nachhaltigen Lebensstils

Herr Ekardt, wir sägen mit unserem Lebensstil an dem Ast, auf dem wir sitzen. Warum fällt es uns so schwer, nachhaltiger zu leben?
Felix Ekardt: Viele denken, es würde am Wissen scheitern, das stimmt aber nur begrenzt. Die, die am meisten wissen, haben tendenziell den größten ökologischen Fußabdruck.  Menschen sind häufig von Eigennutzenkalkülen getrieben, Politiker wollen kurzfristig wiedergewählt werden, Unternehmer wollen ihre Produkte absetzen. Wir alle wollen hier und heute unser Leben leben. Da sind der Klimawandel oder Nachhaltigkeitsziele zeitlich weit weg.

Wir handeln also bewusst wider besseren Wissens?
Was oft vergessen wird: Menschen entscheiden nicht immer bewusst und kalkulierend. Ein Großteil unserer Verhaltensantriebe ist uns wenig oder gar nicht bewusst. Das betrifft etwa unsere Normalitätsvorstellungen. Ein Lebensstil mit der täglichen Autofahrt zur Arbeit, regelmäßigen Urlaubsflügen und einem großen Stück Fleisch ist in Ländern wie Deutschland normal. Dazu kommen unsere Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung. Eine Rolle spielt auch die menschliche Neigung, mit dem Widerspruch zwischen Einstellungen und Verhalten zu leben. Wir reden uns das Ganze schön, fühlen uns in Europa und Deutschland als Umweltvorreiter, dabei sind wir genau das Gegenteil.

Von wem geht Wandel aus?
Gesellschaftlicher Wandel geschieht immer in einem Wechselspiel verschiedener Akteure. Ob man jetzt in erster Linie eine andere Politik, ein anderes Konsumentenverhalten oder anders investierende Unternehmen braucht, ist eine Henne-Ei-Diskussion. Bestimmte Emotionen werden sich wohl nie ändern, aber Normalitätsvorstellungen können sich wandeln. Es muss nicht so sein, dass alle meine Facebook-Freunde jährlich nach Malaysia fliegen, ganz andere Normalitäten sind denkbar….

Das Interview ist erschienen im choices-Magazin 12/17 und auf www.choices.de 

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Interview mit Konflikt- und Gewaltforscher Prof. Andreas Zick über Streitkultur und Gesellschaftsdialog

Herr Zick, in Bezug auf den demokratischen Konflikt sprechen Sie von einer „Kultur der Provokation“. Was ist damit gemeint?
Andreas Zick: In der Konfliktforschung analysieren wir Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen. Konflikte entstehen, wenn die unterschiedlichen Interessen von Gruppen aufeinanderprallen. Meist setzt eine Provokation eine Konfliktdynamik in Gang und diese ist eingebettet in eine Kultur, damit Konflikte regulierbar bleiben. Kulturen der Provokationen finden wir in vielen Konflikten, wie zum Beispiel politischen Debatten. Konflikte sollen ja eine Veränderung herbeiführen und die Provokation motiviert dazu, sich in Bewegung zu setzten. Das heißt, eine Gruppe oder Partei möchte mittels Provokation die andere dazu animieren, sich zu bewegen.

Hat sich diese Kultur der Provokation in den letzten Jahren verändert?
Sehr deutlich sogar. Gewissermaßen ist die Kultur der politischen Provokation erodiert, weil die Provokation an vielen Stellen der Wut und dem Populismus gewichen ist. Seit 14 Jahren führen wir am Bielefelder Institut für Gewalt- und Konfliktforschung große, repräsentative Umfragen zu gesellschaftlichen Konflikten durch. Dabei interessiert uns, ob und inwieweit auch Vorurteile und antidemokratische Meinungen in Provokationen einsickern. Uns interessiert, wer in der Gesellschaft abgewertet und ausgegrenzt wird, wie und warum solch menschenfeindliche Mechanismen entstehen. Das berührt auch den Zustand der Demokratie. In den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung haben wir dann 2011 danach gefragt, wie rechtsextreme Strömungen in der Mitte der Gesellschaft verhaftet sind und ob das ein Beleg dafür ist, dass die Gesellschaft insgesamt antidemokratischer wird. Unsere Ergebnisse decken sich mit dem Empfinden, dass sich bestimmte politische Milieus erst polarisiert, dann radikalisiert haben. Die üblichen Provokationen weichen rechtspopulistischer und -extremer Agitation.

Durch rechtspopulistische Milieus?
Vor allem dort hat sich die Kultur der Provokation in eine des Widerstands verwandelt. Menschen, die rechtspopulistisch unterwegs sind, Kritik an den Eliten äußern und gegen alles Fremde argumentieren glauben, dass ihr Protest notwendige Provokation ist, um das System zu verändern. Die Provokation hat sich radikalisiert und verbunden mit einer Idee des Widerstandes gegen die Eliten, die das Volk angeblich nicht repräsentieren. Das wäre nicht neu, aber sie hängt zunehmend von Abgrenzungen vermeintlicher Fremder ab…

Das Interview ist erschienen im trailer-Magazin 01/18 und auf:
www.trailer-ruhr.de

Hier geht es zur vollständigen Onlinefassung.