Frauen sind erst der Anfang: Diversität im Film: ein weiter Weg

Manchmal markieren Erscheinungstermine unüberwindbare Deadlines und scheren sich nicht darum, ob gerade die Berlinale Bären oder die Academy Oscars verleiht. So erging es mir mit der Märzausgabe. Die Berlinale liegt nun so lange zurück, dass einige der dort gezeigten Filme schon im April in unseren Kinos starten. Darunter ist zum Beispiel Christian Petzolds neues Werk „Transit“: Ein politischer Flüchtling versucht mittels falscher Identität vor den Nazis von Südfrankreich nach Amerika zu fliehen. Basierend auf Anna Seghers Anfang der 1940er im Exil verfassten Roman, siedelt Petzold seine Geschichte im Marseille der Gegenwart an und macht sie dadurch zu einer zeitlosen Parabel. „Jede Flüchtlingsgeschichte ist anders. Jede Flüchtlingsgeschichte ist gleich“, schrieb dazu das US-amerikanische Filmmagazin „Indiewire“.

Ebenfalls im April geht auch Greta Gerwigs Coming-of-Age-Wunder „Lady Bird“ an den Start. Die moderne Mumblecore-Variante einer Stadtneurotikerin zeichnet für Drehbuch und Regie verantwortlich, Soirse Ronan spielt einen Teenager in den 1990ern in Sacramento. „Lady Bird“ wurde gleich in fünf Kategorien für den Oscar nominiert: Beste Regie, Bester Film, Bestes Originaldrehbuch, Beste Hauptdarstellerin, Beste Nebendarstellerin – und ging in allen leer aus. Gerwig war erst die fünfte Frau, die in der Kategorie Beste Regie nominiert wurde. Nach Lina Wertmüller, Jane Campion, Sofia Coppola und Kathryn Bigelow, die den Oscar dann gewann. Bei einer Nominierung blieb es auch für Rachel Morrison („Mudbound“). Da bisher keine einzige Frau in der Kategorie Beste Kamera überhaupt eine Chance auf einen Oscar erhielt, ist das bereits ein kleiner Sieg.

Richtig Spaß machte diese Verleihung aber nicht. Allein Frances McDormands flammende Rede, die sie nach Empfang des Goldjungen für „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ hielt, entschädigte für die Augenringe bis zum Kinn am nächsten Morgen. Außerdem lernten wir von McDormand den Terminus „inclusion rider“: Eine Klausel, die US-SchauspielerInnen in ihre Verträge aufnehmen können, um geschlechtliche wie ethnische Diversität vor wie hinter der Kamera einzufordern. Die Gleichstellung und Repräsentation von Frauen am Set ist da erst der Anfang. Stacy Smith, Professorin an der Universität von Kalifornien, hatte bereits 2014 in einem Artikel im „Hollywood Reporter“ darauf aufmerksam gemacht. Schauspielerin Brie Larson, „Black Panther“-Star Michael B. Jordan und Matt Damons und Ben Afflecks Produktionsfirma „Pearl Street Films“ haben offiziell verlauten lassen, den „inclusion rider“ in ihre Verträge aufzunehmen.

Wenig Probleme mit Diversität hat das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, das in diesem Jahr zum 35. Mal stattfindet. Nahezu alle der rund 100 gezeigten Filme stammen von Frauen und / oder haben eine starke Frauenfigur als Protagonistin. Mit einem speziellen Preis für Bildgestaltung werden außerdem explizit zwei Kamerafrauen gewürdigt und der diesjährige Fokus „Über Deutschland“ beschäftigt sich nicht nur in vielen Formaten mit Diversität, sondern lebt diese auch. Der Schwerpunkt ist dieses Jahr in Köln, aber auch im Kino im U werden ausgewählte Filme zu sehen sein.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 04/18 und online auf:
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NRW-Premiere von „Das schweigende Klassenzimmer“ in der Lichtburg Essen

Bitterkalt ist es auf der Kettwiger Straße. Von Minusgraden und dem schneidenden Wind ungerührt tummeln sich wie bei jeder Premiere in der Lichtburg Kinoliebhaber hinter der Absperrung. Ein paar bibbernde Fotografen und ein WDR-Team harren ebenfalls aus, bis die Gäste eintreffen. Regisseur Lars Kraume, der vor zwei Jahren schon mit seinem preisgekrönten „Der Staat gegen Fritz Bauer“ in Essen war, kommt mit Lena Klenke und Leonard Scheicher, alle vepackt in dicke Winterjacken. „Das ist ja noch kälter als in Berlin hier“, fröstelt es Scheicher. Die Weltpremiere von „Das schweigende Klassenzimmer fand eine Woche zuvor während der Berlinale statt. Der eigentliche Star des Abends ist aber Dietrich Garstka. In der 2006 veröffentlichten, gleichnamigen Buchvorlage verarbeitete er seine eigene Geschichte von Flucht und Neuanfang.

Die Handlung des Films setzt Ende 1956 ein. Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) erfahren bei einem Ausflug nach Westdeutschland durch die Wochenschau zufällig, wie unterschiedlich die Berichterstattung über den Ungarischen Volksaufstand in Ost- und Westdeutschland ausfällt. Zurück in ihrer Heimat Stalinstadt verfolgen sie heimlich mittels des Westsenders „Rias“ gemeinsam mit KlassenkameradInnen die Entwicklung der Ereignisse. Sie hören, wie die Sowjetunion brutal gegen die vom Westen als Freiheitskämpfer, vom Osten als faschistische „Konterrevolutionäre“ verurteilten Ungarn vorgeht. Die Mehrheit der Abiturklasse beschließt, im Unterricht eine solidarische Schweigeminute für die Opfer des Aufstands abzuhalten.

Das ruft zunächst den Schuldirektor, dann eine strenge Kreisschulrätin und schließlich den Volksbildungsminister auf den Plan. Die Solidaritätsbekundung wird selbst zur „Konterrevolution“ erklärt. Der Anführer des Protest soll denunziert werden, andernfalls droht der gesamten Klasse der kollektive Ausschluss vom Abitur. Das bedeutet: keine Aufstiegschancen, sondern schuften als ArbeiterIn. Was als jugendlicher Überschwang begann, zwingt die SchülerInnen dazu, ihre eigenen Überzeugungen und das Regime, in dem sie leben, zu hinterfragen und Position zu beziehen.

Kraume widmet sich damit wie schon in seinem letzten Film einem Stück deutsch-deutscher Geschichte. Wie in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist auch in „Das schweigende Klassenzimmer“ das authentische Setting bis in den kleinsten Winkel der Mise-en-scène perfekt. Mit der Figur Bauers stand ein Zeitzeuge der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie Trauma und Verlust einer ganzen Generation im Mittelpunkt…

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Abschluss der CineScience-Reihe „Helden im Film“ im Filmstudio Essen

Bonnie Tyler suchte einen, David Bowie wollte selbst einer sein – zumindest für einen Tag. Aber was genau ist das eigentlich für ein Stoff, aus dem die Helden in Film gemacht sind? Wie werden sie inszeniert? In welcher Welt und Gesellschaft können sie überhaupt über sich hinaus wachsen und zu HeldInnen werden?

All diesen Fragen ist die CineScience-Reihe des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen in Kooperation mit dem Filmstudio Glückauf im letzten halben Jahr nachgegangen. Neben dem klassisch amerikanischen (Action)Helden (hier fehlt die weibliche Form bewusst), dem Wissenschaftler als Filmheld und den Sheroes der Filmgeschichte, schließt die Reihe mit einer Analyse zu AntiheldInnen. Verena Keysers und Nora Schecke vom KWI haben sich als Patinnen und Moderatorinnen des Abends Amerikanist Markus Wierschem und Filmwissenschaftler Alexander Schultz von der Universität Paderborn eingeladen.

Mit einer Fülle von Filmausschnitten und Detailwissen analysieren sie sich durch mehr als 50 Jahre Filmgeschichte. Dabei konzentrieren sie sich auf das US-amerikanische Kino und entwickeln mit dem Publikum gemeinsam die eine oder andere Hypothese dazu, was ein/e AntiheldIn ausmacht. Die ersten Antihelden entwickelten sich in der Spätphase des US-amerikanischen Film Noir Mitte der 1950er Jahre. Das Genre entstand unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs. die Welt wurde stets düster und zynisch gezeichnet. Diesem Pessimismus stand nur ein wenn auch gebrochener Held gegenüber.

Wierchem und Schultz erklären, wie sich in der Spätphase des Genres die Figur des Helden zu wandeln beginnt. Exemplarische Ausschnitte aus Robert Aldrichs „Rattennest“ („Kiss me deadly“) stellen darin den Privatdetektiv Mike Hammer …

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Kritik zu „Manifesto“ mit Cate Blanchett (R: Julian Rosefeldt, 2017)

Audiovisuelle Partitur

„I do manifest because I have nothing to say“ – dieser Satz aus Julian Rosefeldts ursprünglich als 13-Kanal-Installation für Museen konzipiertem Werk „Manifesto“ ist durchaus augenzwinkernd gemeint. In der Installation schallt Cate Blanchett mehrstimmig in verschiedenen Rollen von zwölf Leinwänden herab.

In der linearen Kinofassung geht der polyphone Rausch verloren, dafür bleibt Zeit, in die von Kameramann Christoph Krauss vorwiegend on location in Berlin komponierten Sequenzen einzutauchen. Die Monologe, die Blanchett u. a. als Nachrichtensprecherin, Obdachlose, Puppenspielerin, Punk oder Brokerin proklamiert, bestehen aus gekürzten und neu editierten Manifesten aus den Bereichen der bildenden Kunst, Architektur, Literatur und Film. Einige der rezitierten Statements zu Dada, Futurismus, Fluxus oder Dogma korrespondieren mit den Settings. Andere funktionieren als ironischer Kommentar zu den Situationen, die gleichermaßen alltäglich wie fremdartig wirken.

Julian Rosefeldt vertraut dabei sowohl auf die künstlerische und literarische Kraft der einzelnen Texte als auch auf Cate Blanchett. In nur elf Drehtagen streifte sie sich mit Leichtigkeit unterschiedlichste Akzente, Gesten und diverse Habitus über. Statt Kunsttheorie in Bilder zu gießen, gelingt Rosefeldt eine audiovisuelle Partitur, die Lust macht, die Ursprungstexte – übrigens alle von Männern verfasst und daher bewusst durch eine Schauspielerin performed – aufzuspüren und deren Bedeutung für die Gegenwart selbst zu ergründen.

Zuerst erschienen in:  Missy Magazine

Ich bin dagegen: Besser unterstützen als boykottieren

Hoffen wir, dass das nur wieder eine seiner Phasen ist. So wie Ende der 1990er Jahre, als sich Daniel Day-Lewis für fünf Jahre aus dem Filmbusiness zurückzog, um sich in Italien dem Schuhhandwerk zu widmen. Denn der einzige Schauspieler, der bisher drei Academy Awards als bester Hauptdarsteller in Empfang nehmen durfte („Mein linker Fuß“, „There Will Be Blood“ und „Lincoln“), will seine Karriere nun beenden. Sein Abschiedsfilm soll „Der seidene Faden“ sein, in dem er an der Seite von Vicky Krieps einen Designer im London der 1950er Jahre spielt. Regisseur Paul Thomas Anderson versucht sich hier auch erfolgreich als Kameramann und schafft ein Werk voll altmodischer Eleganz und visueller Perfektion, zugleich unser Film des Monats.

Ein eher unfreiwilliges Karriere-Aus ereilt gerade Kevin Spacey. Im Strudel der #MeToo-Welle wurde er nicht nur aus der Netflix-Erfolgsserie „House of Cards“ geschmissen. Ridley Scott schnitt ihn zudem kurz vor der Premiere in einem Gewaltakt aus seinem neuen Werk „Alles Geld der Welt“, ersetzte ihn kurzerhand durch Christopher Plummer. An der Frage, ob solch statuierte Exempel etwas an der Situation von Frauen (und Männern, wie die Vorwürfe gegen Spacey zeigen) in Filmbranche und Gesellschaft ändert, scheiden sich die Geister, genauso wie an den prominentesten Beispielen Woody Allen und Roman Polanski. #MeToo hat den Kreis jetzt radikal erweitert, in Deutschland zum Beispiel um Dieter Wedel. Drei Ex-Schauspielerinnen werfen ihm im ZEIT Magazin sexuelle Nötigung vor. Dürfen Meilensteine des Kinos wie Allens „Manhattan“ oder Polanskis „Der Pianist“ trotz der gegen ihre Regisseure erhobenen Vorwürfe weiterhin gezeigt, geguckt und gemocht werden?

Sollten wir AutorIn und Werk nicht trennen? Wer entscheidet darüber, ob Vorwürfe stimmen, wenn Aussage gegen Aussage steht und die meisten sexuellen Übergriffe nie juristisch verhandelt werden? Welche/r KonsumentIn will da prophylaktisch boykottieren oder sich gar zum Richter aufschwingen? Hinzu kommt, dass erfolgreiche Boykotte niemals nur Einzelpersonen treffen, denn Film ist immer Teamwork. Und schert sich Hollywood überhaupt um das deutsche Publikum, das im Europavergleich eher kinofaul ist?

Ich habe darauf keine abschließende Antwort. Sinnvoller wäre es, bewusst Filme von Regisseurinnen und solche mit starken Frauenfiguren zu supporten. Im Februar zum Beispiel Barbara Alberts Historiendrama „Licht“, das sich der blinden Wiener Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis widmet. Diese lebte zwar im 18. Jahrhundert, das Biopic funktioniert bei Albert aber auch als Emanzipationsgeschichte einer Frau mit Behinderung. Oder der Rache-Western „Marlina – Die Mörderin in vier Akten“, der schon im Januar gestartet ist. Die indonesische Regisseurin Mouly Surya erobert damit eines der männlichsten Genres überhaupt. Titelheldin Marlina kann es nicht nur mühelos mit John Wayne aufnehmen, sondern wäre auch in einer Girls-Gang mit Beatrice Kiddo oder Shoshanna Dreyfus gut aufgehoben. Statt sich von vier Verbrechern ausrauben und vergewaltigen zu lassen, setzt sie sich zur Wehr und mutiert mit einem Kopf unter dem Arm zur Heroine aller unterdrückten Frauen Indonesiens. Nicht nur ein feministischer, auch ein cinematographischer Genuss und eine Abwechslung von den Sehgewohnheiten des westlichen Kinos.

Dieser Text erschien im trailer ruhr-Magazin 02/18 und online auf:
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Filmscreening & Diskussion zu „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ von Carola Hauck

Die Geburt eines Kindes ist ein überwältigendes Erlebnis, sowohl für Mütter als auch Väter. Wenn ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickt, ist dieses Ereignis begleitet von Glücksgefühlen, die kinderlose Menschen zwar erahnen, aber schwer fassen oder beschreiben können.

Die Geburt des ersten Kindes, die drei Mütter in Carola Haucks Dokumentation „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ schildern, könnte sich nicht stärker von diesem Idealbild unterscheiden. In Interviews – gemeinsam mit ihrem Partner oder allein – berichten sie von dem Trauma dieser Geburt. Da ist wie wohl bei allen Erstgebärenden die Unsicherheit einer völlig neuen Erfahrung: Wie schlimm werden die Schmerzen sein? Wie lange wird es dauern? Und vor allem: Wird alles gut gehen, mit mir und dem Kind?

Die Frauen schildern, wie sie nach dem Blasensprung in der Klinik ankamen, alleine blieben mit unheilvoll piependen CTGs und schmerzenden Venenzugängen im Arm. Sie erzählen, wie sich anfängliche Nichtbeachtung in Ungeduld der Beleghebammen und ÄrztInnen wandelte. Sie berichten von der PDA, die sie nicht wollten und die ihren Unterkörper derart lähmte, dass sie kein Gefühl und keine Verbindung zu den Wehen und dem eigenen Körper spürten. Sie erinnern sich, wie ihre Wünsche nach einer natürlichen Geburt einfach übergangen und als unzurechnungsfähige Phantastereien abgetan wurden – ohne dass eine medizinische Indikation das nötig gemacht hätte.

Die Krankenhäuser, in denen diese Frauen ihr erstes Kind zur Welt gebracht haben, sind keine Kliniken aus einem Horrorfilm, das Personal nicht grausam oder sadistisch. Aber zwischen überarbeitetem Personal, reglementierten Abläufen und forensischen Unsicherheiten und der Ausnahmesituation der Mütter, klafft ein tiefer Graben. Hauck will nicht die medizinischen Errungenschaften wie PDA oder Kaiserschnitt verteufeln. Sie geht der Frage nach, was Geburten sicher macht, wodurch eine Geburt gestört wird und welche Folgen sogenannte Interventionen während der Geburt (Verabreichung wehenhemmender und weheneinleitender Mittel, Kaiserschnitt, Zangen- oder Saugglockengeburt) für Mutter, Kind und die Gesellschaft haben können.

Neben den eindrücklichen und sehr intimen Erlebnissen der Mütter kommen auch ExpertInnen zu Wort, die es anders machen. Darunter die mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete, „bekannteste Hebamme der Welt“ Ina May Gaskin oder Rainhild Schäfers, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Gesundheit Bochum. Dazu kommen Neonatalogen, Perinatologen und ein Ostheopath. An anatomischen Modellen und in Trickfilmanimationen wird gezeigt, welche Interventionen während der Geburt möglich und oftmals nur vermeintlich notwendig sind.

Erschreckend ist dabei für Laien, wie viele medizinische Erkenntnisse bei der Mehrzahl der Geburten, von denen 98 % in Krankenhäusern stattfinden, scheinbar ignoriert werden….

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Projekt „Kultur@Gefängnis“ zeigt die Dokumentation „Fighter“ in der JVA Werl

Die Zuschauer stehen in kleinen Gruppen zusammen, unterhalten sich angeregt über das, was sie gerade gesehen haben. Es könnte der übliche Ausklang eines Kinoabends sein. Erst als ein JVA-Beamter die Gespräche  unterbricht wird klar, dass es sich hier um keine übliche Filmvorführung handelt. „Wir müssen jetzt zum Ende kommen“, sagt er bestimmt und zückt demonstrativ seinen Schlüsselbund.Das Projekt „Kultur@Gefängnis“ ist Teil der Dortmunder Plattform „Labsa“, bei der sich  internationale KünstlerInnen treffen. Projektleiterin Betty Schiel organisiert neben Filmabenden auch Workshops und andere Kulturveranstaltungen in Gefängnissen der Region. Für den Abend in der JVA Werl, eine Kooperation mit dem Kinofest Lünen, hat sie vorab mit der Insassenvertretung die Dokumentation „Fighter“ von Susanne Binninger ausgewählt.

Drei der Protagonisten des Films, Andreas Kraniotakes, Khalid und Mohammed Taha, sind ebenfalls vor Ort. Ihnen, Mike Wiedemann als Vertreter der Kinofests und der Presse wird hier kein roter Teppich ausgerollt. Mobiltelefone müssen im Auto bleiben, alles andere kommt in Schließfächer, die Kamerataschen dürfen gerade noch mit herein. Metalldetektor, Abtasten, dann wird der Tross Meter für Meter durch die Gänge der JVA geleitet. Massive Türen werden aufgeschlossen und hinter uns wieder verriegelt. Es geht vorbei an Zellen, in drei Stockwerken übereinander angeordnet, wie man es aus amerikanischen Gefängnisfilmen kennt.

Der älteste Raum der 1908 in Betrieb genommenen Haftanstalt, die Kapelle, dient als provisorisches Kino und ist mit ihren kunstvollen Holzsteelen, Kirchenfenstern und Marienbildern an der Wand ein Kontrast zu Mauern und funktionaler Architektur. Erst nach und nach kommen die rund 120 Insassen in den Saal, die sich für die Veranstaltung angemeldet haben. Ein paar Gedanken und Vorurteile schleichen mir durch den Kopf. Ich bleibe an einigen Gesichtern hängen, schaue mich misstrauischer um als die JVA-Beamten, die am Rand stehen. Sicherer als hier dürfte es in diesem Moment nirgendwo sein, das ungute Gefühl bleibt trotzdem.

„Fighter“ begleitet Kämpfer der deutschen Mixed Martial Arts-Szene (MMA) durch ihren Alltag. Die Regisseurin hat die Protagonisten mehrere Monate begleitet, Vertrauen aufgebaut. Wenn Lom-Ali Eskijew vor dem Wiegetag schmerzlich auf Süßigkeiten verzichtet und hungernd hofft, die letzten Kilos zu verlieren, ist sie ebenso nah dran wie bei Training und Wettkämpfen, wie bei Siegen und Niederlagen….

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Emanzipiert auf’s Maul (Diskussion über Heldinnen im Film)

Seit der Fall des Produzenten Harvey Weinstein öffentlich wurde, ist sexualisierte Gewalt in Hollywood und andernorts wieder ein Thema. Oft wird dabei erwähnt, dass sich die kreative Gemeinschaft der Traumfabrik betont liberal gibt, was Frauenrechte betrifft aber noch in der Steinzeit lebe.

Aber sind die Filme und die darin verhandelten Geschlechterrollen progressiver als die Besetzungscouch? Film- und Medienwissenschaftlerin Véronique Sina von der Universität Tübingen und Alexander Nolte vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) diskutieren im Filmstudio Glückauf diese Frage. Unter dem Titel „Weibliche Helden“, ein Teil der CineScience-Reihe „Helden im Film“, die das KWI in Zusammenarbeit mit dem Filmstudio veranstaltet, nehmen sie vier Szenen aus Kultfilmen von 1979 bis 2010 genauer unter die Lupe.

Warum 2017 noch über Feminismus im Film geredet werden muss, zeigt beispielsweise der Bechdel-Test. Mit ihm lässt sich oberflächlich aber simpel testen, inwieweit Frauen in Filmen stereotyp dargestellt werden. Drei Fragen werden an den Film gestellt: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen diese Frauen miteinander und ist der Gegenstand dieses Gesprächs etwas anderes als ein Mann? Wer damit die alte „Star Wars“-Trilogie oder die „Harry Potter“-Reihe konfrontiert, gelangt zu dem Ergebnis: durchgefallen. Dabei liegt die Latte nicht eben hoch. Denn würden die Frauen wenigstens über Schminke, Diäten oder Kinder reden, wäre der Test schon bestanden.

Sina und Nolte haben für den Abend erfolgreiche, bekannte Filme mit einer starken Protagonistin ausgewählt. Zum Auftakt präsentieren sie zwei Filmausschnitte aus den ersten beiden Teilen der „Alien“-Saga, Ridley Scotts „Alien“ von 1979 und „Aliens“ von James Cameron (1986). Sigourney Weaver überlebt in beiden als unkaputtbare Ellen Ripley nicht nur alle männlichen Crewmitglieder, sondern rettet am Ende auch noch ein Kätzchen bzw. ein Kind….

Der Text ist Online als Beitrag der Reihe „Foyer“ im trailer-Magazin auf www.trailer-ruhr.de erschienen.  Hier geht’s zur Online-Fassung.

Weltpremiere von Sönke Wortmanns „Sommerfest“ am 21.6. in Bochum

Bochum, 21. Juni: Am längsten Tag des Jahres drängeln sich bei perfektem Sommerwetter viele Menschen durch das Bochumer Bermudadreieck. Wo andere Premieren die Stargäste auf dem roten Teppich abschirmen, herrscht vor dem Casablanca und dem Union-Kino reges Gewusel. Die Weltpremiere von Sönke Wortmanns neuem Film „Sommerfest“, nach einem Roman des Bochumer Urgesteins Frank Goosen, findet aufgrund des großen Andrangs zeitgleich in den zwei gegenüberliegenden Kinos statt.

Publikum, Filmschaffende und Feierwütige auf dem Weg in die nächste Kneipe sind kaum auseinander zu halten. Goosen selbst schlendert fast unauffällig vorbei und berichtet kurz, dass er sehr zufrieden mit der Verfilmung sei, die den Ton des Buches auf den Punkt treffe. Hauptdarsteller Lucas Gregorowicz, seit seinem Durchbruch mit der Kifferkomödie „Lammbock“ 2001 gut gealtert, kommt mit Anna Bederke, die im Film seine Jugendliebe spielt. Bederke stammt nicht aus dem Pott, habe sich aber beim Dreh in Bochum sofort „eingemeindet gefühlt“ und findet, dass die Betriebstemperatur ihrer Heimat Hamburg durchaus mit der des Ruhrgebiets vergleichbar s

Frank Goosen, Bochumer Urgestein und Autor der Romanvorlage, bei der Premiere.

Auch Stefan Arndt (X Filme Creative Pool), Tom Spieß (Little Shark Entertainment), Dr. Barbara Buhl (WDR) und Manuela Stehr (X Verleih) sind gekommen, um die Premiere zu feiern. Allein Regisseur Sönke Wortmann ist sichtlich nervös. Verständlich, denn das Ruhrgebiet ist für seine bisweilen distanzlose Offenheit bekannt. Was dem Publikum nicht schmeckt, wird hier auch nicht gefressen….

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Internationales Frauenfilmfestival Dortmund | Köln 2017

Ein Bild ist in den letzten Monaten in den Sozialen Netzwerken stark verbreitet worden: Es zeigt eine ältere Frau, die ein Schild mit der Aufschrift „I can’t believe I still have to protest this fucking shit“ hält. Aufgenommen wurde das Motiv vermutlich im Oktober 2016 bei den erfolgreichen Demonstrationen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen.

Den Macherinnen des Internationalen Frauenfilmfestivals (IFFF) dürfte dieser Satz im 30. Jahr des Bestehens auch gelegentlich durch den Kopf gehen. Die Intention des IFFF, feministische Diskurse über Film zu stärken, weibliche Filmschaffende zu vernetzen und zu fördern, ist noch immer notwendig und aktuell. Das zeigt auch der dritte Diversitätsbericht des Bundesverbandes Regie: 2015 hat mit einem deutschlandweiten Frauenanteil von nur 15,7% im Kinobereich eine so schlechte Bilanz wie seit fünf Jahren nicht mehr.

Wie gewohnt geht es beim IFFF aber nicht nur um die Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Filmindustrie. Politische Entwicklungen und gesellschaftskritische Ansätze, die vor allem aber nicht nur Frauen betreffen, spiegeln sich in allen Beiträgen. Vom 4.-9. April sind mehr als 100 Filme unterschiedlicher Genres, Längen und Formate zu sehen. Im Wettbewerb konkurieren acht Filme aus Brasilien, Frankreich, Polen, Belgien und Südafrika miteinander, darunter auch Sally Potters bitterböse Ensemblefarce „The Party“ mit Kristin Scott Thomas, Bruno Ganz und Patricia Clarkson, mit der das IFFF am 4.4. um 18.30 Uhr im Dortmunder Cinestar offiziell eröffnet. Hinzu kommen Specials, Performances und Diskussionen.

Der diesjährige Schwerpunkt „IN CONTROL…of the situation / Alles unter Kontrolle“ setzt sich aus elf kuratierten Programmreihen zusammen. Leitmotiv ist der Widerspruch zwischen analoger und digitaler Überwachung, Vermessung und Archivierung unserer Körper und Daten einerseits und dem Ohnmachtsgefühl angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt andererseits. Kontrollwahn trifft Kontrollverlust, aber wer übt über wen Kontrolle aus? Die filmische Reflexion von Flucht und Vertreibung, bezogen auf aktuelle und historische Migrationsbewegungen, im regionalen bis globalen Kontext, zieht sich wie ein zweiter roter Faden durch das Programm.

Ästhetisch wie politisch knüpft der Schwerpunkt an die Ausstellung „Ich bin eine Kämpferin – Frauenbilder der Niki de Saint Phalle“ im Museum Ostwall und somit eine Künstlerin an, die stets Macht über das eigene Bild zu erlangen versuchte. In Kooperation mit dem Museum Ostwall findet am 5.4. ab 10 Uhr ein Symposium im Kino im U statt, ab 17.30 Uhr startet dort das dazugehörige Film- und Kurzfilmprogramm.

Die vielfältigen, feministischen Strömungen unsere Zeit präsentieren sich in Dortmund aber auch humorvoll und bieten ermutigende Momente der Selbstermächtigung. Die lange Kurzfilmnacht (Fr. 7.4. ab 20.30 Uhr im sweetSixteen) zeigt Musikvideos und (experimentelle) Kurzfilme, die Schwerpunkt-Reihe „In this together“ stärkt mit der filmischen Begegnung von AktivistInnen aus drei Kulturkreisen den Glauben an die Unerschöpflichkeit kreativer Protestmethoden und gegen das Ungeborene, das in dem Splatter-Juwel „Prevenge“ Mordbefehle aus der Fruchtblase gibt, sieht Rosemaries Baby wie ein harmloser Hosenscheißer aus.

Das vollständige Programm ist Online auf der Homepage des IFFF verfügbar:
www.frauenfilmfestival.eu/programm

Internationales Frauenfilmfestival Dortmund | Köln | 4.-9.4. | div. Kinos in Dortmund | Festivalzentrum: Dortmunder U | www.frauenfilmfestival.eu

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